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Vor einigen Tagen habe ich hier einen Solidaritätsaufruf gestartet, weil eine Kolleg_in auf eine krasse Art und Weise, wie sie mir noch vor ein paar Jahren undenkbar war, angegriffen wurde. Nun habe ich die Antwort erhalten. Der rechte Autor Akif Pirinçci überzieht nun auch mich mit Schmähungen und wüsten Beleidigungen.

Mir fällt auf, dass seit einigen Jahren rechtskonservative und rechtsradikale Schreibende jede Hemmung verlieren und in verbal äußerst gewaltvoller Art gegen Andersdenkende vorgehen. Ausgangspunkt waren die Machwerke des rechten Autors und SPD-Politikers Thilo Sarrazin. Die Schriften von ihm, Pirinçci & Co führen zu einem immer roheren und aggressiveren gesellschaftlichen Klima. Von einer verunglimpfenden Hassrede, unter der sich sogleich willfährige Kommentatoren äußern, die dann sogar konkrete physisch gewalttätige Übergriffe ins Gespräch bringen, bis hin zu tatsächlich gewalttätigen Übergriffen ist es nur ein kurzer Weg, ist es nur eine Frage der Zeit.

Debatte, Diskurs hat immer konkrete Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Gesellschaft. Insofern gilt es für alle, denen etwas an einer demokratischen Gesellschaft liegt, in der verfassungsrechtliche Standards gelten, jetzt gegenzusteuern. Es geht darum, dass nicht weiter und in immer radikalerer Weise die Grundbedingungen politischer Streitkultur erodieren und auf diese Weise die Grundfesten demokratischer Gesellschaftsordnung sabotiert und schließlich zerstört werden.

Abseits von inhaltlichen Streitfragen, die wir innerhalb und zwischen verschiedenen demokratischen gesellschaftlichen Gruppierungen und wissenschaftlichen Fachdisziplinen haben können, gilt es, sich gemeinsam, solidarisch dafür einzusetzen, dass weiterhin Aushandlung und Streiten in dieser Gesellschaft und in der Wissenschaft möglich bleibt. Schmähungen und Hassreden nehmen uns nämlich die Möglichkeit, tatsächlich tiefgehend reflektieren und miteinander streiten zu können. Da rechtskonservative und rechtspopulistische Kräfte zunehmend an Einfluss gewinnen – das zeigen die Wahlergebnisse und die Verkaufserfolge von Büchern –, müssen wir an konkreten Strukturen arbeiten, mit denen wir aktiv gegensteuern können. Ziel muss es sein, dass Menschen nicht allein gelassen und einfach Schmähreden überlassen werden, an die sich in E-Mails und Blog-Beiträgen dann sogar sehr gewaltvolle Drohungen anschließen. Konkret:

- Kommen wir Menschen zu Hilfe, die angegriffen werden! Wenn sich viele Menschen solidarisieren, funktionieren Angriffe und Mobbing nicht. Damit funktioniert es dann auch nicht, dass gesellschaftliche Richtungsfragen individualisiert und Andersdenkende eine_r nach der_dem anderen angegriffen werden.

- Schaffen wir in den Wissenschaften Strukturen, um uns solidarisieren zu können! Angriffe gegen soziologische, sexologische und gesellschaftswissenschaftliche Beiträge werden immer häufiger. Wir haben noch keine Struktur, um solche Angriffe gemeinsam zurückzuweisen und vernünftige gesellschaftliche Diskussion einzufordern. Daher müssen wir in gesellschaftlichen Organisationen und in allen wissenschaftlichen Fachorganisationen Strukturen etablieren, mit denen Angriffe, Schmähungen und Hass rasch zurückgewiesen werden können.

- Neben dem solidarischen Miteinander, auch über inhaltliche Streifragen hinweg, sollten wir Konzepte erarbeiten, wie wir eine offene und positive Diskussions- und Streitkultur stärken können, in der fachwissenschaftliche und gesellschaftliche Debatten so geführt werden, dass die Persönlichkeitsrechte des_der Diskussionspartner_in gewahrt bleiben.

Aktuell würde ich mich über Solidarisierungen freuen. Das reicht aber nicht aus, sondern wir müssen strategische Konzepte erarbeiten.

Heinz-Jürgen Voß