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Wenn man denkt, dass es nicht schlimmer kommen kann, so erlebt man in „unserer Community“ doch einen neuen Tiefschlag. Ein solcher Tiefschlag ist gewiss der Roman „Stephan: Fragment einer Leidenschaft“, der 2018 im Männerschwarm Verlag erschienen ist und die nun auf Queer.de veröffentlichte Besprechung. Konkret geht es um eine schwule Erzählung aus Nazi-Deutschland, für die es in der Queer.de-Besprechung heißt, dass sie „…von Seite zu Seite sympathischer“ werde. Ausgekramt und veröffentlicht wurde ein bisher unveröffentlichter Roman von dem „Giftgas-Experten“ Rudolf Hanslian. Ein Blick auf dessen weitere Veröffentlichungen macht deutlich, dass er durch seine „berufliche Tätigkeit“ massive Mitschuld an den Giftgas-Verbrechen der Deutschen schon im Ersten Weltkrieg und dann auch in der Nazi-Zeit trägt. Sein Hauptwerk ist „Der chemische Krieg“ (1925), das auch in Nazi-Deutschland 1937 neu aufgelegt wurde und in dem es unter anderem um Gasangriff und Gasabwehr geht. Des Weiteren veröffentlichte Hanslian „Die Gaswaffe“ (1928, als Aufsatz), „Zur Geschichte des Gaskrieges“ (1929, als Aufsatz), „Die Entwicklung der chemischen Waffe in der Nachkriegszeit“ (1933, als Aufsatz), „Der deutsche Gasangriff bei Ypern am 22. April 1915: Eine kriegsgeschichtliche Studie“ (1934) und „Vom Gaskampf zum Atomkrieg: die Entwicklung der wissenschaftlichen Waffen“ (1951). Seit 1949 gab er die „Apothekerzeitung“ heraus. In „Der chemische Krieg“ werden unter anderem chemische Kampfstoffe und ihre Wirkung ausführlich behandelt, wie auch im vom Fritz Bauer Institut herausgegebenen Band „Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (2004) kritisch bearbeitet wird. Im Aufsatz „Zur Geschichte des Gaskrieges“ (1929) versucht Hanslian den „erste[n], wenn auch unzulängliche[n] Einsatz von chemischen Kampfmitteln“ – unzutreffend – den französischen Truppen in die Schuhe zu schieben.

Einen durch seine wissenschaftliche Arbeit und Publikationstätigkeit dermaßen problematischen Propagandisten des Gaskrieges der Deutschen unkritisch zu würdigen, entsetzt mich. So heißt es bei Queer.de: „So ist der Roman einerseits bedeutendes historisches Dokument eines Zeitzeugen, der die Schwulenverfolgung unter den Nazis selbst erleben und erleiden musste.“ Und weiter: „Hanslians Stil, voller Pathos, Platon- und von Platen-Zitaten, schwülstigen Beschreibungen der Berge und dozierenden Reden ist zweifellos gewöhnungsbedürftig, am Ende jedoch verzeihlich und von Seite zu Seite sympathischer. Rudolf Hanslian hat seinen Roman geschrieben, um aufzuklären und um Identifikationsfläche zu sein.“

Eine solche Person in der Geschichte einfach als Opfer der „Schwulenverfolgung unter den Nazis“ einzuordnen und als „Identifikationsfläche“ anzubieten, ist blanker Hohn – einerseits gegenüber den Opfern der chemischen Kriegsführung, andererseits gegenüber den in diesen Tagen thematisierten Stonewall-Aufständen und ihren Protagonist*innen!

Heinz-Jürgen Voß

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Forschung_im_QueerformatForschung im Queerformat: Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.)
09/2014, 312 Seiten, 24,99 Euro
ISBN 978-3-8376-2702-2
Informationen hier, beim Transcript-Verlag

Ich möchte zur Lektüre und Diskussion anregen:
Das Buch „Forschung im Queerformat“ leistet das, was ein guter wissenschaftlicher Tagungsband machen soll. Es bringt unterschiedliche Perspektiven zueinander und in Diskussion. Und es zeigt auch, dass einige Perspektiven auf der Konferenz weitgehend ausgeschlossen blieben und ermöglicht damit, dass die Organisator_innen von Folgeveranstaltungen solche Ausschlüsse vermeiden. Besonders hervorheben möchte ich zwei Beiträge: Der Aufsatz von Saideh Saadat-Lendle und Zülfukar Çetin „Forschung und Soziale Arbeit zu Queer mit Rassismuserfahrungen“ fokussiert und kritisiert die rassistischen und identitären Zuschreibungen in den Studien der vermeintlichen ‚Opferberatung‘ Maneo, in der Simon-Studie und in LSVD-Kampagnen. Mit Blick auf den Kongress zeigen sie, wie Expertisen von Selbstorganisationen insbesondere von Personen of Color von den Organisator_innen als wissenschaftlich nicht relevant klassifiziert und aus dem Erkenntnisprozess der Konferenz ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig regen sie eine klare Lösung an: „Da sich ein ganzer Block dieses Kongresses mit der ‚Partizipativen Forschung‘ auseinandergesetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Reflexion über unsere Kritik in Bezug auf die Auswahl der Referent_innen des Kongresses die zukünftige Praxis […] zugunsten eines partizipativen Ansatzes beeinflussen kann.“ (S. 248) Der zweite Beitrag, der hier Erwähnung finden soll, ist der Aufsatz „Cruzando Fronteras – zur Heteronormativität von Grenz- und Migrationsregimen am Beispiel von Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“, der von Elisabeth Tuider und Ilka Quirling verfasst wurde. Sie geben dort einen Überblick über wichtige postkoloniale Arbeiten zum Thema und juristische aufenthaltsrechtliche Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Sie zeigen, wie Letztere von „normative[n] Vorstellungen von ‚normaler‘ Sexualität, Familie, Geschlecht und Einwanderung“ (S. 266) geprägt sind sowie „Herkunftsländer homogenisiert und kulturalisiert, nicht selten als ‚traditionell‘ und damit explizit heterosexuell skizziert“ (ebd.) werden. Das wirkt sich exemplarisch so aus, dass einer Antragstellerin – einer Trans*frau – nicht geglaubt wird, dass sie von vier Polizisten vergewaltigt wurde und u.a. deshalb fliehen musste, weil der Sachbearbeiter das Herkunftsland als homophob erkennt, so dass es – so der Sachbearbeiter – „absolut unvorstellbar [sei], dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er [sic! – gemeint ist sie, die Asyl-Antragstellerin, Anm. HV] angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten“ (nach: S. 262). Neben der abstrusen Wertung, geht aus der zitierten Passage die Transphobie des Sachbearbeiters hervor, ebenso die problematische Wirkung, die sich aus starrem Identitätsdenken ergibt.

zum Band

Offenlegung: Die Autor_in dieses Beitrags war selbst auf der Konferenz vertreten und hat auch zum Band beigetragen.