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Die ökonomische Abhängigkeit von WissenschaftlerInnen ist augenfällig. Stets wenn es darum geht, Foirschungsprojekte einzuwerben oder eine Verlängerung zu erhalten, ist man darauf angewiesen, "gute", "verwertbare" Ergebnisse vorzuweisen. Dazu gibt es allerlei Handwerkszeug - die Auswahl der Methode, die Zuspitzung der Forschungsfrage etc. Aber es wird auch direkt manipuliert, wie der Artikel im "Neuen Deutschland" plastisch am Beispiel der Pharmaindustrie zeigt:

"Aus negativen Testergebnissen werden positive: Arzneimittelindustrie manipuliert Studien und nimmt Behandlungsfehler bei den Patienten in Kauf

Pharmakonzerne nehmen immer mehr Einfluss auf wissenschaftliche Publikationen und klinische Studien. Experten fordern Konsequenzen.

Manipulationen durch die Pharmaindustrie werden zunehmend zu einem Problem klinischer Forschung und von Fachpublikationen. Nun fordern Experten eine striktere Politik von den Redaktionen. Sollte sich herausstellen, das Forschungsarbeiten auf manipulierten Daten beruhen, müssten die entsprechenden Studien zurückgezogen werden, um weiteren Schaden zu vermeiden." weiter beim "Neuen Deutschland"

Da weiterführende Debatten zur Verbindung von Queer und Kapitalismuskritik sehr notwendig sind, ist es sehr schön, dass audioarchiv.blogsport.de einen diesbezüglichen Vortrag mitgeschnitten und zugänglich gemacht hat.

Der Vortrag "Queer & Kapitalismuskritik" ("Geschlecht und kapitalistische Produktionsweise") fand im Rahmen der von der AG queer Weimar organisierten Veranstaltungswoche zum Internationalen Tag gegen Homophobie statt.

Hier kann man sich den Vortrag herunterladen und anhören.

Ich möchte Euch gern auf eine Argumentationshilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung gegen antifeministische Argumentationen hinweisen. So einige der antifeministischen Argumentationsweisen werden in den Blick genommen und zurückgewiesen - und damit lohnt sich ein Blick in die Broschüre. Hier ist sie online.

Here you will finde the english version of motion "safeguarding the rights of intersex people" submitted by the Alliance 90/The Greens parliamentary group.

(Die deutschsprachige Version findet sich hier verlinkt und hier als pdf-Datei.)

In Lübeck findet vom 20. bis 22. Mai das dritte Symposium on Disorders of Sex Development ("...über Störungen der Geschlechtsentwicklung") statt. Es treffen sich Wissenschaftler/innen des europäischen Netzwerks Disorders of Sex Development, das Prof. Olaf Hiort (Lübeck) seit drei Jahren leitet und das von der Europäischen Kommission mit einer Fördersumme von drei Millionen Euro gefördert wird. Proteste gegen die Tagung sind angekündigt.

In der Ankündigung der Tagung werden zwar die "medizinischen" Behandlungen von Kleinkindern uneindeutigen Geschlechts problematisiert - diese Behandlungen stehen von Seiten der betroffen gemachten Menschen seit den 1990er Jahren massiv in der Kritik. In der Ankündigung heißt es: "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung sind seltene, meist vererbbare Fehlbildungen der Hoden, Eierstöcke oder der äußeren Geschlechtsmerkmale. Die Ursache lässt sich bislang nur bei etwa der Hälfte der Patienten herausfinden. Bei betroffenen Kindern müssen oftmals schwierige Entscheidungen getroffen werden, in welchem Geschlecht die Kinder aufwachsen und welche Behandlungen vorgenommen werden sollen. Früher wurde oftmals auf Geheimhaltung gedrängt, und es wurden frühe radikale Operationen durchgeführt. Diese Umgangsweisen und Behandlungsmethoden sind zu recht kritisiert worden."

Aber von diesen Behandlungsmethoden wurde bis heute nicht grundsätzlich abgerückt. Genau wie auch die Sprache bleibt: Es wird von "Fehlbildungen" gesprochen, da wo (vermeintlich) nicht so häufige Ausbildungen des Genitaltraktes gemeint sind. Menschen werden also nach wie vor nicht in ihren individuellen Merkmalen beschrieben, dort wo nötig ggf. ein lebens- oder gesundheitsbedrohlicher Zustand behandelt, sondern es wird eine geschlechtliche Norm aufgebaut - interessanter Weise gerade über die "Fehlbildungen". Werden wir doch endlich tolerant - auch in Biologie und Medizin! (In der Biologie und Medizin der 1920er Jahre war vielen Wissenschaftlern bewusst, dass ihre Modell- und Theoriebildungen eine massive Abstraktion bedeuten und der sich tatsächlich bei Menschen zeigenden - auch geschlechtlichen - Vielfalt bei Menschen nicht gerecht werden. Helga Satzinger legte in "Differenz und Vererbung" sehr gut dar, wie verbunden mit dem deutschen Faschismus, solche auf Vielfalt orientierenden Ansichten aus der Forschung verdrängt wurden und sich simpelste Theorien durchsetzten. Die entstandene Lücke zu den konkurrierenden Theorien konnte nach 1945 nicht wieder aufgeholt werden; erst seit den 1980er Jahren rückt Komplexität wieder etwas mehr in den Blick.)

Interessant ist aber immerhin, dass selbst Hiort darauf verweist, dass nur bei etwa der Hälfte der Untersuchten eine "eindeutige Diagnose" gestellt werden kann. So schließt auch Hiort die Einladung zur Tagung mit den Worten, dass mit den von ihm durchgeführten weiteren Hormonuntersuchungen mehr Einblicke in die Geschlechtsentwicklung zu erwarten wären. Doch: Hormone werden seit nunmehr etwa 100 Jahren im Hinblick auf Geschlechtsentwicklung untersucht, Günter Dörner aus der DDR stand massiv in der Kritik, weil er sie mit der Entwicklung von (Homo)Sexualität in Verbindung gebracht hatte - er rückte später selbst von dem Standpunkt ab und erhielt für seine Forschungen und Lebensleistung das Bundesverdienstkreuz der BRD... Es stellen sich andere Fragen: Warum konnten über so lange Zeit keine eindeutigen Mechanismen der Geschlechtsentwicklung beschrieben werden? Warum muss ein Forschungsprojekt dennoch so aufgehübscht werden, dass nun in den nächsten wenigen Jahren nennenswerte Erkenntnisse zu erhalten wären? - sicherlich um die nächste Förderung rechtfertigen zu können.

Links: Pressemitteilung beim IDW.

Ein Überblick über Forschungen der Geschlechtsentwicklung, mit einem verlinkten Aufsatz. Dort finden sich auch Tipps zum Weiterlesen.

Erfrischend ist das Buch "Living Dolls: Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen" (ISBN 9783810523778, 19,95 EUR); und die Autorin Natasha Walter wendet sich darin auch Theorien des oft propagierten biologischen Determinismus zu. Sie rezipiert Metastudien, befragte eigens Wissenschaftler_innen und kommt zu dem Schluss, dass das populär vermittelte Bild deutlicher geschlechtlicher Sprachunterschiede und deutlicher Differenzen im logischen Denken wissenschaftlich nicht haltbar ist und dass selbst Hormone als Ursache ausfallen. Hier nun kurz zu den entsprechenden Betrachtungen in "Living Dolls":

Sprache: "Mark Liberman ist Phonetikprofessor und schreibt einen witzigen, geistreichen Blog namens Language Blog. Gleich nach dem Erscheinen von Brizendines Buch [in deutscher Sprache: "Das weibliche Gehirn", Anm. HV] erblickte er ein Exemplar in einem Buchladen." (S.206) Er ging den Verweisen im Buch nach und folgerte: "Ich las das Buch und prüfte die Quellenangaben. Ich war überrascht - das Buch nimmt reichlich Bezug auf wissenschaftliche Literatur, doch an den Stellen, die ich nachschlug, stützten die zitierten Quellen die umstrittenen Behauptungen des Textes kaum oder gar nicht." (Liberman, nach: Walter 2011: S.207) So erwies sich die Behauptung von Brizendine, nach der eine Frau 20.000 Wörter pro Tag, ein Mann hingegen nur 7.000 Wörter pro Tag spreche, als nicht haltbar. So untersuchte eine Forschungsgruppe um Mathias Mehl (Arizona University) die sprachlichen Äußerungen von 400 Menschen - und kam zu ganz anderen Ergebnissen, nämlich, "dass es diesbezüglich keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen gab. Frauen sprachen im Durchschnitt etwas mehr als 16.000 Wörter täglich, Männer etwas weniger, doch der Unterschied war statistisch nicht aussagekräftig." (S.207) Eine Metaanalyse, die die Ergebnisse von 165 Studien zu sprachlichen Fähigkeiten zusammenfasste, kam zu winzigen geschlechtlichen Unterschieden, hingegen zu großen innerhalb eines Geschlechts selbst: "Die Sprachfähigkeiten variieren innerhalb jedes Geschlechts in riesiger Bandbreite, doch zwischen den Geschlechtern bestand kaum ein Unterschied." (S.209)

Mathematik / logisches Denken: ..."Eine Studie in den USA untersuchte jüngst die Ergebnisse von sieben Millionen Schülern in zehn Bundesstaaten und stellte fest: 'Jetzt, wo die Anmeldungszahlen für Kurse in höherer Mathematik ausgeglichen sind, treten keine [geschlechtlichen, Anm. HV] Unterschiede in der Testleistung auf." (S.220)

Hormone: Sowohl zu Oxytocin, das aktuell für emotionales Verhalten populär als ursächlich beschrieben wird, bespricht Walter den keineswegs eindeutigen Forschungsstand, als auch für Testosteron. Hier kurz zu Testosteron in einer Studie, wiederum nach Walter: "43 gesunde Männer bekamen über zehn Wochen entweder eine hohe Dosis Testosteron oder ein Placebo verabreicht. Die Männer, welche unwissentlich das Hormon erhielten, erlebten sich nach eigenen Angaben nicht reizbarer als sonst. Laut Beurteilungen von Beobachtern, darunter Eltern und Ehefrauen, zeigten sich auch keine Veränderungen von Affektivität oder Verhalten hin zu mehr Wut oder Agressionsbereitschaft. In einer zweiten Studie dagegen erhielten die Teilnehmer ein Placebo und zusätzlich die Information, es sei Testosteron. Daraufhin berichteten die Männer von stärkerer Wut, Reizbarkeit und Impulsivität." (S.233) Der "Glaube" an Wirkung scheint also bedeutsam zu sein... Auch zur frühen Wirkung von Testosteron in der Embryonalentwicklung zeigten Studien äußerst widersprüchliche Ergebnisse - und, dass sei hier kurz erwähnt wirkt Testosteron embryonal auf alle Embryonen - sowohl auf "Mädchen", als auch auf "Jungen". Sowohl bei "Mädchen", als auch bei "Jungen" können dabei sehr hohe Testosteron-Werte wirken, keinesfalls mit den populär so gern angenommenen Auswirkungen.

Also die Lektüre von Walters Buch lohnt auch bezüglich biologischer Voreingenommenheiten. Geschlechtliche Unterschiede erweisen sich aus ihrem Blick in die Wissenschaftsliteratur und aus Ihren Befragungen von Wissenschaftler_innen nicht als biologisch determiniert (vorgegeben), sondern als Resultat gesellschaftlicher Behandlung. Die Aussagen sind jeweils mit Quellen belegt - und es sei angeregt, auch einen Blick in diese zu werfen.

Als - populär aufgearbeiteter - umfassender reflektierender Blick auf Forschungen zu Geschlechterdifferenzen und -gleichheiten bzgl. des Gehirns und der Gehirnleistung zu empfehlen ist das von Neurowissenschaftlerinnen herausgegebene Buch: "Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken und Männer ihnen Recht geben. Über Schwächen, die gar keine sind" (ISBN 3423344008; gebraucht ab 4 EUR).

Lange Zeit war eine Sicht verbreitet, dass das Gen SRY den wesentlichen Faktor bei der Ausbildung von Hoden und insgesamt des Genitaltraktes darstelle - entsprechend wurde es auch benannt: "sex determining region Y" bzw. "Geschlechtsdeterminierende Region Y". Bereits Anfang der 1990er Jahre musste diese Sicht revidiert werden, aber noch immer hält sie sich in populären Ansichten.

Im Folgenden stelle ich einen kurzen populär verständlichen Artikel zur Verfügung, der die Bedeutung von SRY als vermeintliches Schlüsselgen der Geschlechtsdetermination (so bezeichnet werden die ersten Phasen der Geschlechtsentwicklung) diskutiert und andere Konzepte vorschlägt. Der Artikel ist im Dezember 2009 in der Zeitschrift "Gen-ethischer Informationsdienst" (spezial) erschienen - ich danke der Redaktion herzlich für die Genehmigung der Veröffentlichung!
"Angeboren oder entwickelt? Zur Biologie der Geschlechtsentwicklung"

Ausführliche Darstellungen, bei denen alle bislang diskutierten Faktoren der Geschlechtsdetermination diskutiert werden, finden sich in dem Buch "Making Sex Revisited".

Immer wieder kommt die Frage nach "Homosexualität" bei den verschiedenen Tierarten auf. Wenn es auch nicht geht, den Begriff "Homosexualität" auf andere Tierarten als den Menschen anzuwenden (sie verweist auf eine Identitätsform, die sich seit dem 19. Jahrhundert etablierte), so konnte doch bereits bei vielen Tierarten gleichgeschlechtliches Verhalten gezeigt werden, dass auch nicht einfach auf Sex reduziert werden kann. 2007 gab es hierzu im Naturhistorischen Museum der Universität Oslo eine interessante Ausstellung, die auch touren soll - vielleicht ist sie auch einmal in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.


Delphine bei der Penetration des Atemloches, Quelle.

Interessant ist sie allemal: So gaben die Organisator_innen in Interviews an, die auch in der deutschsprachigen Presse weite Verbreitung fanden, dass bspw. 80% der Zwergschimpansen "bisexuell" seien, dass 20% der Möwen "homosexuell" seien und dass bei 40% der Zwergkakadus "homosexuell" seien. Insgesamt konnte bislang bei 1500 Tierarten gleichgeschlechtlicher Sex gezeigt werden. Interessant ist dies allemal, wird doch damit die verbreitete These widerlegt, dass Tiere nur Sex zu zwecken der Fortpflanzung hätten. «Wir wissen ja nicht, was sie denken. Aber es ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat.», so Petter Bøckman.

Ein paar Eindrücke der Ausstellung gibt es hier:
n-tv Online: Homosexuelle Tiere"Wider die Natur?"

Wissenschaftlich fundiert kann man hier weiterlesen:
Bruce Bagemihl (1999): Biological Exuberance: Animal Homosexuality and Natural Diversity. St. Martin's Press (Hardcover).
Joan Roughgarden (2004 / 2009): Evolution's Rainbow: Diversity, Gender, and Sexuality in Nature and People. University of California Press.
Smilla Ebeling (2006): Alles so schön bunt. Geschlecht, Sexualität und Reproduktion im Tierreich. In: Ebeling, Kirsten Smilla, Schmitz, Sigrid (Hrsg.): Geschlechterforschung und Naturwissenschaften – Einführung in ein komplexes Wechselspiel. Wiesbaden. VS Verlag.

Genderqueer.de hat mit Verweis auf naturenews einen deutlichen und guten Kommentar veröffentlicht: Warum werden nicht Menschen vielfältiger Merkmale beim Sport zugelassen?

Auch Anne Fausto-Sterling hat u.a. in "Gefangene des Geschlechts" deutlich geziegt, wie unterschiedliche Leistungen von Frauen und Männern auf unterschiedliche Trainingsbedingungen zurückzuführen sind. So wurde Frauen beim Marathon eine vergleichbare Leistung zu der der Männer abgesprochen - entsprechend durften sie erst seit den 1960er Jahren an Wettkämpfen teilnehmen und hat sich seitdem der Abstand radikal von mehr als einer Stunde, auf 10 Minuten reduziert (- wohlgemerkt bei den Weltrekordler_innen im Spitzensport, Menschen die nicht so trainieren, sind selbstverständlich weit davon entfernt bzw. schaffen die Strecke nicht einmal). Plastisch führt Fausto-Sterling aus, dass bei gleicher Sozialisation von früh an, gleiche Trainingsleistungen erreicht würden.

Auch bei naturenews wird auch diese Frage benannt - und werden unterschiedliche Sichtweisen deutlich:

"Why not accept different androgen levels as natural genetic variation?
Some experts, including Genel, argue that, as other kinds of physiological variation, such as height or oxygen-carrying capacity, are accommodated in sport, perhaps natural variations in hormone levels should be accepted too. Others, such as Collins, argue that androgen levels are the main reason for the difference in men and women's sporting performance, and so it makes sense to take these levels into account when deciding eligibility.
Collins and Genel agree, however, that despite the high numbers of female elite athletes with AIS, there isn't any direct evidence that such disorders give them an unfair advantage. "It's impossible to test," says Collins."

Und ein früherer Beitrag zum weiterlesen.

Bündnis 90 / Die Grünen haben im Bundestag einen richtungsweisenden Antrag eingebracht, der die Rechte von Intersexuellen stärken und die derzeitige gewaltätige und menschenverachtende Behandlungspraxis überwinden will. Damit knüpfen Bündnis 90 / Die Grünen an Initiativen der Bundestagsfraktion Die.Linke an.

Der Antrag im Wortlaut: (English version: „safeguarding the rights of intersex people“)

Der Bundestag wolle beschließen:
Intersexuelle Menschen sollen als ein gleichberechtigter Teil unserer vielfältigen Gesellschaft anerkannt und dürfen in ihren Menschen- und Bürgerrechten nicht eingeschränkt werden. Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, bei denen Chromosomen und innere oder äußere Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend einem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können oder die in sich uneindeutig sind. Wissenschaftlichen Studien zufolge werden in Deutschland etwa 150 bis 340 Kinder pro Jahr geboren, die als intersexuell klassifiziert werden können. Die Gesamtzahl der Betroffenen mit schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung liegt nach Angaben der Bundesregierung bei etwa 8.000 bis 10.000 (BT-Drs. 16/4786). Die Verbände der Intersexuellen sprechen allerdings von einer deutlich höheren Zahl der Betroffenen. Trotz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ignoriert die deutsche Rechtsordnung die Existenz intersexueller Menschen, die sowohl juristisch als auch gesellschaftlich ausgegrenzt bleiben.

Der Bundestag fordert die Bundesregierung daher dazu auf,
· die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz so zu ändern, dass ein Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde auch der Existenz von intersexuellen Menschen Rechnung tragen kann;
· einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die gesetzlichen Grundlagen für offizielle statistische
Erhebung so geändert werden, dass bei der Angabe „Geschlecht“ nicht nur zwei Antworten
möglich sind;
· sicherzustellen, dass das prophylaktische Entfernen und Verändern von Genitalorganen auch
bei intersexuellen Kindern unterbleiben soll;
· gemeinsam mit den Ländern ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder, deren Eltern, betroffene Heranwachsende und Erwachsene, zu schaffen und dabei die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen; F 142/112
· gemeinsam mit den Ländern eine Beratungsstelle für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe (Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Hebammen etc.) zur medizinischen, psychologischen und gesellschaftlichen Aufklärung über das Thema Intersexualität einzurichten;
· den Dialog mit den zuständigen Bundes- und Landeskammern der Ärzte und Psychotherapeuten sowie der Hebammenverbände aufzunehmen, mit dem Ziel das Curricula in Ausbildungsund Prüfungsordnungen um das Thema Intersexualität, in den ebenso Perspektive der intersexuellen Menschen vorkommt, zu ergänzen und es verstärkt im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsangeboten zu berücksichtigen;
· bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass das Thema Intersexualität ein fester Bestandteil des
Schulunterrichts, beispielsweise in den Fächern Biologie, Sozialkunde oder Ethik wird;
· bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewahrung der Krankenakten
bei Operationen im Genitalbereich auf 30 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden;
· weitere wissenschaftliche interdisziplinäre Forschungen zum Thema Intersexualität mit einem
interdisziplinären Ansatz und auch unter Beteiligung von Kultur-, Gesellschaftswissenschaften
wie der Betroffenenverbände zu fördern.

Berlin, den 7. April 2011

Der vollständige Antrag mit samt der Antragsbegründung findet sich hier.