Bündnis 90 / Die Grünen haben im Bundestag einen richtungsweisenden Antrag eingebracht, der die Rechte von Intersexuellen stärken und die derzeitige gewaltätige und menschenverachtende Behandlungspraxis überwinden will. Damit knüpfen Bündnis 90 / Die Grünen an Initiativen der Bundestagsfraktion Die.Linke an.
Der Antrag im Wortlaut: (English version: „safeguarding the rights of intersex people“)
Der Bundestag wolle beschließen:
Intersexuelle Menschen sollen als ein gleichberechtigter Teil unserer vielfältigen Gesellschaft anerkannt und dürfen in ihren Menschen- und Bürgerrechten nicht eingeschränkt werden. Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, bei denen Chromosomen und innere oder äußere Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend einem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können oder die in sich uneindeutig sind. Wissenschaftlichen Studien zufolge werden in Deutschland etwa 150 bis 340 Kinder pro Jahr geboren, die als intersexuell klassifiziert werden können. Die Gesamtzahl der Betroffenen mit schwerwiegenderen Abweichungen der Geschlechtsentwicklung liegt nach Angaben der Bundesregierung bei etwa 8.000 bis 10.000 (BT-Drs. 16/4786). Die Verbände der Intersexuellen sprechen allerdings von einer deutlich höheren Zahl der Betroffenen. Trotz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse ignoriert die deutsche Rechtsordnung die Existenz intersexueller Menschen, die sowohl juristisch als auch gesellschaftlich ausgegrenzt bleiben.
Der Bundestag fordert die Bundesregierung daher dazu auf,
· die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz so zu ändern, dass ein Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde auch der Existenz von intersexuellen Menschen Rechnung tragen kann;
· einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die gesetzlichen Grundlagen für offizielle statistische
Erhebung so geändert werden, dass bei der Angabe „Geschlecht“ nicht nur zwei Antworten
möglich sind;
· sicherzustellen, dass das prophylaktische Entfernen und Verändern von Genitalorganen auch
bei intersexuellen Kindern unterbleiben soll;
· gemeinsam mit den Ländern ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder, deren Eltern, betroffene Heranwachsende und Erwachsene, zu schaffen und dabei die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen; F 142/112
· gemeinsam mit den Ländern eine Beratungsstelle für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe (Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Hebammen etc.) zur medizinischen, psychologischen und gesellschaftlichen Aufklärung über das Thema Intersexualität einzurichten;
· den Dialog mit den zuständigen Bundes- und Landeskammern der Ärzte und Psychotherapeuten sowie der Hebammenverbände aufzunehmen, mit dem Ziel das Curricula in Ausbildungsund Prüfungsordnungen um das Thema Intersexualität, in den ebenso Perspektive der intersexuellen Menschen vorkommt, zu ergänzen und es verstärkt im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsangeboten zu berücksichtigen;
· bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass das Thema Intersexualität ein fester Bestandteil des
Schulunterrichts, beispielsweise in den Fächern Biologie, Sozialkunde oder Ethik wird;
· bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewahrung der Krankenakten
bei Operationen im Genitalbereich auf 30 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden;
· weitere wissenschaftliche interdisziplinäre Forschungen zum Thema Intersexualität mit einem
interdisziplinären Ansatz und auch unter Beteiligung von Kultur-, Gesellschaftswissenschaften
wie der Betroffenenverbände zu fördern.
Berlin, den 7. April 2011
Der vollständige Antrag mit samt der Antragsbegründung findet sich hier.