Springe zum Inhalt

Vor einiger Zeit erschien in der populären Zeitschrift "Die Zeit" ein lesenswerter Beitrag zu neueren Theorien in der Genforschung. Auf diesen sei hier verwiesen. Aus dieser Perspektive, die hier populär aufbereitet ist, ergeben sich auch einige Anschlussmöglichkeiten für ein besseres Verständnis von Geschlechtsentwicklung (insbesondere Geschlechtsdetermination).

"Erbgut in Auflösung

Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Menschen, der zu Beginn unseres Lebens festgelegt wird. Von dieser Idee muss sich die Wissenschaft verabschieden. In Wirklichkeit sind unsere Erbanlagen in ständigem Wandel begriffen." mehr unter zeit.de

Hier nun ein kurzer einführender Text in das Buch "Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive". Er ist in der Zeitschrift Analyse & Kritik (Nr. 547) erschienen - und ich danke herzlich für das Einverständnis zur Online-Veröffentlichung!

Alles bio? Auch aus biologischer Sicht gibt es mehr als zwei Geschlechter

Was für "gesellschaftliches Geschlecht" (gender) verbreitete Annahme ist - nämlich, dass es gesellschaftlich hergestellt ist -, ist für "biologisches Geschlecht" (sex) hoch umstritten. So erntete Judith Butlers bereits 1990 erschienenes Buch "Gender trouble" breite Kritik. Nach Butler werden auch körperliche Merkmale erst durch eine gesellschaftliche Brille gelesen. Auch deren Beschreibungen unterlägen gesellschaftlichen Deutungen, die die Wahrnehmungen prägen würden. Das, was an körperlichen Merkmalen benannt wird, wie es benannt wird und wie es mit weiteren Deutungen belegt wird, sei bereits gesellschaftlich beschränkt und beschränke sich daran anschließende Deutungsmöglichkeiten.Weiterlesen » » » »

Der Auftakt der "Geschlechterkritischen Tage" mit interessanten Veranstaltungen findet am 30. Mai im UJZ Korn statt. Viele Geschlechter werden thematisiert und sie werden mit Forderung nach Abschaffung des Kapitalismus zusammengebracht. Cool! Mehr Infos und das ganze Programm hier

Harald Martenstein schreibt häufiger Beiträge in vermeintlich linksliberalen Medien, die sich aber gerade bei Geschlechterfragen selbst als koservativer als die FAZ herausstellen. So im Tagesspiegel - und nun frisch auch in DIE ZEIT.

Dort schreibt er u.a.:
"Es gibt neue Religionen. Zwischen Männern und Frauen existieren, auch im Verhalten und im Alltag, eine ganze Reihe Unterschiede, die biologisch bedingt sind und nichts mit Gesellschaft zu tun haben, sie können auch nicht wegerzogen werden. Diejenige Strömung der Gender Studies, die diese offensichtliche Tatsache leugnet, hat etwa so viel mit Wissenschaft zu tun wie der Voodoo-Kult auf Haiti. Gender-Professorinnen sollten folglich nicht aus dem Wissenschaftsetat finanziert werden, sondern aus der Kirchensteuer." ( vollständig hier

Und eine kurze Antwort:
Lieber Harald Martenstein, ein durchaus amüsanter Artikel und er setzt eine ganze Reihe ähnlicher Artikel in ZEIT fort. Ist die ZEIT bei Gender-Fragen tatsächlich so konservativ wie der PAPST? Oder sind die Beiträge - so auch Ihrer - ironisch gemeint? In jedem Fall möchte ich Sie gerne auf "Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive" hinweisen ( Link ). Dort weise ich nach, dass die Biologie lange nicht nachweisen konnte, was der Geschlechtsunterschied eigentlich ist - und dass sie mittlerweile dort ankommt, dass es viele Geschlechter gibt. Mir scheint es so zu sein, dass das strikte Festhalten an zwei Geschlechtern einer Religion gleichkommt - und nicht die Kritik daran. Auf Anregungen von Ihnen, einen Verriss des Buches, eine Rezension oder auch eine fundierte Diskussion mit Ihnen wäre ich gespannt - und ich würde mich sehr darüber freuen. Herzliche Grüße! Heinz-Jürgen Voß

[Mal nicht zu biologischem Geschlecht, aber wichtig! :]

Out of place: Schwuler Imperialismus - Gay imperialism

Mittlerweile ist es in der Bundesrepublik Deutschland fast schon Mode geworden, Argumente der "Frauenrechte" und "Schwulenrechte" (mehr als Schwule - bspw. Lesben, Transgender - werden meist nicht genannt) anzuführen, um militärisches Eingreifen und Krieg zu rechtfertigen. In jedem Fall erscheint es als legitim einen vermeintlich "zivilisierten Westen" gegen andere Gesellschaften zu setzen.

Aus dieser zirkulär befestigten Denkstarre sollte bereits aufschrecken, wenn man von Roland Koch und Angela Merkel Argumente "für Frauenrechte" und "für Schwulenrechte" vorgeführt bekommt. Warum hat die rechte CDU, die sich gegen Eingetragene Lebenspartnerschaft stemmte (von anderen Lebensweisen ganz zu schweigen) und die nun bezüglich Eingetragener Lebenspartnerschaft jede Verbesserung blockiert, ein Interesse an "Schwulenrechten"? Warum hat die gleiche rechte CDU, die finanzielle Vergünstigungen aufrecht erhält und neue einführt, die traditionell die Erwerbsarbeit und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen behindern - wie das Ehegattensplitting und die neue Herdprämie -, ein Interesse an "Frauenrechten"? ...und warum gehen sonst emanzipatorisch argumentierende Leute feministischer und schwuler Bewegungen dieser CDU auf den Leim?

Das Interesse geht auf andere Motive zurück, die kolonialistischen Argumente eines vermeintlich "zivilisierten Westens" verselbständigen sich in der Diskussion - und mittlerweile fallen die Argumente bei einer denkfaulen schwulen (aber auch bei einer lesbischen und einer sich als "queer" bezeichnenden") Community auf fruchtbaren, Abgrenzung gewohnten Boden. Viele in dieser schwulen Community merken gar nicht mehr, wie sie selbst an rassistischen Diskriminierungen mitarbeiten, dabei selbst nur Mittel zum Zweck sind und sie selbst daran teilnehmen auch die eigene Diskriminierung (Homophobie) aufrecht zu erhalten und zu befestigen.

Für diese Debatte wären die Beiträge aus dem britischen Buch "Out of place" hilfreich, das aber mittlerweile schon wieder aus dem Druck genommen wurde (zu den Gründen vgl. u.a. hier, hier und hier). Ein wichtiger Beitrag ist aber online - und er sei wärmstens zur Lektüre empfohlen: hier - und wer lieber deutschsprachig liest und genauer zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland lesen will, der- und demjenigen sei der Beitrag von Jin Haritaworn in "Verqueerte Verhältnisse" (Rezensionen hier und hier) empfohlen.

Hier sei mal eine Diskussion importiert, aus dem Blog "Theorie als Praxis". Wie die Überschrift schon andeutet: Es geht darum, ob es in biologischen Theorien AUSSCHLIESSLICH zwei Geschlechter gibt. Diese Frage wäre zu ergänzen und in Zweifel zu ziehen, dass es überhaupt zwei Geschlechter gibt. Auch der Beitrag geht in diese Richtung und weist auf einiges Lesenswertes hin, wie zwei Geschlechter in der Biologie hergestellt werden - und wie auch anderes denkbar ist.

Hier zum Beitrag:

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/26/gibt-es-ausschliesslich-zwei-geschlechter/

Und auch hier gehts weiter:

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/23/heute-gesehen-238/

Am 20. und 21. August 2009 wurde in vielen Medien über die südafrikanische Sportlerin Caster Semenya berichtet, die sich einem Geschlechtstest unterziehen muss, nachdem sie eine Goldmedaille gewonnen hatte. So sicher, wie es dabei oft dargestellt wurde, weiß "die Biologie" gar nicht, wie sich Geschlecht ausbildet. Chromosomale, genetische, epigenetische, hormonelle und weitere Faktoren müssen zusammenkommen, damit sich spezifische Merkmale ausbilden. Seit dem 18. Jh., zudem in materialistischen Auffassungen, werden Entwicklungsprozesse zentral gesetzt. Für biologisches Geschlecht heißt dies, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, dass erst durch deren Kommunikation und Wechselwirkung Merkmale spezifisch ausgebildet werden. Das Resultat steht also nicht fest, steht nicht in "Chromosomen" oder "Genen" "geschrieben", sondern bildet sich erst heraus. Das heißt auch, dass auch Annahmen vermeintlicher Zweigeschlechtlichkeit und der Annahme, dass Biologie und Medizin "wahres Geschlecht" bestimmen könnten, zu widersprechen ist: Geschlecht bildet sich erst heraus, Merkmale entstehen individuell unterschiedlich, der Ausgang ist offen - und nicht binär "weiblich" oder "männlich".

Krass ist, dass sich vermeintliche "Expertinnen" anmaßen, einem Menschen zu sagen, dass sie ein anderes Geschlecht habe, als sie lebt - und dabei in Kauf nehmen, deren Leben nachhaltig negativ zu beeinflussen. Derzeit ist Geschlecht - weiblich oder männlich - gesellschaftlich bedeutsam und werden Menschen ohne eindeutiges Geschlecht (Intersexuelle) oft medizinisch operiert. Oft werden diese "medizinischen Behandlungen" von Betroffenen rückblickend als traumatisierend, als Gewalt, als Vergewaltigung beschrieben - ihr Leben wurde und wird noch immer zerstört. An solchen menschenrechtsverletzenden Eingriffen trägt auch Biologie anteil, die vortäuscht, dass sie wüsste, wie Geschlecht entstehe und dass es nur "weiblich" oder "männlich" gebe. Das weiß sie, bei genauer Betrachtung ihrer Ergebnisse, nicht und kann damit auch keinem Menschen sagen, welches Geschlecht sie hat.

Wenn es im Labor einmal nicht mehr weiter geht, kommen Wissenschaftler/innen auf zunächst abwegig erscheinende Ideen. Zugleich wird durch solche Ideen deutlich, wie Wissenschaft funktioniert, wie Ideen in wissenschaftliche Fachsprache gekleidet werden können und so auf Resonanz stoßen, - und das gilt duchaus auch für zunächst 'ernsthaft' erscheinende Wissenschaft.

Hier gehts zu einem Artikel von 'Spiegel-Online', aus dem auch andere Beispiele deutlich werden, in denen 'Erkenntnisse' kreiiert wurden:

http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,618218,00.html

Etwas kritische und ironische Distanz zu Wissenschaft und deren 'Erkenntnissen' hilft weiter.

Christiane Völling war mit einer Klage vor dem Kölner Landgericht erfolgreich. Sie hatte eine (männlich sozialisierte) Chirurgin* auf Schmerzensgeld verklagt, die ihr vor 30 Jahren innere, als geschlechtlich betrachtete Merkmale entfernt hatte. Das Gericht sprach ihr am 6. Februar 2008 ein Anrecht auf Schmerzensgeld zu, dessen Höhe in einem weiteren Prozess zu verhandeln sei. Als Begründung für die Entscheidung führte das Gericht an, dass Völling durch die Medizinerinnen nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Weiterlesen » » » »

Viele von uns sind es gewohnt ganz selbstverständlich banal, binär zu denken. Wir unterscheiden gut und böse, schwarz und weiß, Natur und Kultur, Mann und Frau. Erst im nächstem Atemzug und auf Ansprache sind wir in der Lage unsere Unterteilungen an Hand ausgewählter Merkmale zu begründen und ggf. auch Schattierungen und Abweichungen aufzuzeigen. Wenden wir uns hier der Dichotomie ‚Männer’ und ‚Frauen’ etwas genauer zu. Weiterlesen » » » »