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Gespraeche_ueber_Rassismus_Cetin_TasRezension von:
Gespräche über Rassismus – Perspektiven und Widerstände; hg. von Zülfukar Çetin und Savaş Taş.

Das von Zülfukar Çetin und Savaş Taş herausgegebene Buch "Gespräche über Rassismus – Perspektiven und Widerstände" versammelt Gespräche mit und Beiträge von Aktivist_innen, Wissenschaftler_innen und Künstler_innen gegen Rassismus: Iman Attia; María do Mar Castro Varela; Maisha Eggers; Mutlu Ergün-Hamaz; Elsa Fernandez; Noa Ha; Nivedita Prasad; Isidora Randjelović; Marianna Salzmann; Yasemin Shooman; Vassilis S. Tsianos; Deniz Utlu; Women in Exile; Koray Yılmaz-Günay; Anna-Esther Younes; Halil Can; Ayşe Güleç.

[...] Wird aus dem Beitrag von Ayşe Güleç ganz plastisch deutlich, wie wichtig die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus ist, so ist der Band in seiner Gesamtheit bemerkenswert. Versammelt sind Beiträge von rassismuserfahrenen Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen und Künstler_innen, die theoretisch und praktisch fundierte, klare Analysen vorlegen und Anregungen für weitere theoretische und aktivistische Auseinandersetzungen mit und Kämpfe gegen Rassismus geben. Für People of Color könnte der Band eine Art Positionsbestimmung sein, für Personen der weißen Mehrheitsgesellschaft sollte es ein Band sein, eigene Vorannahmen zu reflektieren und die im Band eröffneten Zugänge aufzunehmen, zu lesen und zuzuhören. Neben der Thematisierung des aktuellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland, der sich aus einer langen, gerade auch kolonial geprägten Vergangenheit seit dem 16. Jahrhundert speist, zielen die Beiträge auf eine Verständigung über Begrifflichkeiten. [...]

zur ganzen Rezension

Sexuelle_Vielfalt_Geschlechter_Lewandowski_KoppetschRezension von:
"Sexuelle Vielfalt und die UnOrdnung der Geschlechter", hg. von Sven Lewandowski, Cornelia Koppetsch

Seitdem Sexualität aus dem Verborgenen heraustritt und auch in Gesellschaft offen und öffentlich verhandelt wird, ändern sich auch die sexualwissenschaftlichen Diskussionen. Einerseits wurden durch die breitere Thematisierung des Sexuellen Veränderungen erreicht, die dazu führen, dass sexualisierte Gewalt nun aufgedeckt werden kann – und nicht unter der Tabu-Decke bleibt. Andererseits wird es nötig, vielfältige geschlechtliche und sexuelle Identitäten anzuerkennen – Öffentlichkeit und Sichtbarkeit als Voraussetzung für selbstbestimmtes geschlechtliches und sexuelles Leben (aber möglicherweise auch als Basis für die Einhegung der Vielfalt in Kategorie, Sicherheit und Hegemonie).

Mit der Sexualität tritt auch Sexualwissenschaft zunehmend aus dem Nischendasein. Wies die Schließung der Frankfurter Sexualwissenschaft zunächst in eine andere Richtung, so zeigt sich mit aktuellen Förderprogrammen, dass ein gesellschaftlicher Wandel dahingehend stattfindet, sexualisierte Gewalt auch mit Blick auf die strukturellen Bedingungen über institutionelle Förderprogramme zu thematisieren und Akzeptanzförderung gegenüber lesbischen, bisexuellen und schwulen Begehrensweisen sowie trans*- und inter*geschlechtlichen Identitäten zu betreiben. Das geschieht sicherlich auch, um die eklatanten Diskriminierungen gegen und hohen Suizidversuchsraten unter LGBTTI-Jugendlichen zu verringern.

Interessanter Effekt der breiteren Debatte ist einerseits die stärkere Entrüstung einiger – erzkonservativer und rechtspopulistischer – gesellschaftlicher Kreise über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Rüdiger Lautmann stellt prägnant fest: „Was für akademisch-subkulturelle Kreise noch geduldet worden war, ja als schick galt, erhitzte nun die Gemüter, als es in den Kernbereich konservativen Selbstverständnisses vordrang: in Familie, Schule und Kirche.“ (S. 29) Hintergrund der Entrüstung ist dabei aber möglicherweise weniger die thematisierte Vielfalt, als vielmehr, dass nun Sexualität auch in den sexuellen Bereichen gesehen wird, wo sie zuvor kaum Thema war: Sexualwissenschaft schwenkt zunehmend auf Heterosexualität, die dort gelebten sexuellen Praktiken, das Zusammenleben in langjährigen Paarbeziehungen, dortige sexuelle Aktivität oder in anderen Fällen eintretende sexuelle Zurückhaltung sowie zwischen festen Paaren gelebte Beziehungskonstellationen. weiter bei socialnet

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Rezension von: Agatha Merk (Hg.): Cybersex: Psychoanalytische Perspektiven (Buchreihe: Beiträge zur Sexualforschung). Gießen 2014: Psychosozial-Verlag. (257 Seiten, EUR 29,90, ISBN-13: 978-3-8379-2252-3, Link zum Buch beim Verlag)

Verfasst von: Heinz-Jürgen Voß; Die Rezension erschien zuerst in: Sexuologie - Zeitschrift für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft, 21 (3-4): 200-203. (Vielen Dank an die Zeitschrift für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.)

 

„Was an der Pornografie macht eigentlich Angst? …

…vielleicht eben gerade das Außermoralische, das, was den dunklen Kern des Individuums aus dem Gesellschaftlichen entrückt; das, was das Verhältnis zur ‚Wirklichkeit‘ uneindeutig macht.“ (Michael Pfister, S. 249)

Ich möchte den Band von hinten beginnen. Cybersex – herausgegeben von Agatha Merk – ist, das sei vorweggenommen, vielschichtig, punktuell widersprüchlich und lesenswert. Es wird das Themenfeld der Internetsexualität eröffnet, so wie es oft geschieht: Auf problematische Fallbeschreibungen fokussierte Betrachtungen[1] fügen stets im Nachgang an, dass es sich bei Cybersex um ein Massenphänomen handele, dass mittlerweile von jüngeren Männern und Frauen nahezu ausnahmslos genutzt werde. In mehreren der Beiträge werden konkrete Zahlen zum Nutzungsverhalten genannt, so führen etwa Jérôme Endrass et al. in ihrem Text Pornografiekonsum und (sexuelle) Aggression aus, dass unter den 18- bis 30-Jährigen 98 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen Pornografie im Internet nutzten.

Eine Betrachtung des Bandes von hinten erlaubt eine kulturwissenschaftlich ‚geerdete‘ Einordnung; so wird es möglich, das Internet und die Sexualität im Internet ‚nüchtern‘ in ihrem kulturgeschichtlichen Kontext zu verstehen und auf Besonderheiten zu untersuchen. Ebenfalls thematisch eingefügt, entwickeln die übrigen Beiträge eine Gesamtschau, wobei der Cybersex insbesondere im Hinblick auf die therapeutische Praxis diskutiert wird.

 

Von der Glasmalerei der Kirchenfenster zum Cybersex

„Mit dem Bildschirm […] ging zum ersten Mal seit dem 14. Jahrhundert wieder ein Bildträger kulturell in Führung, der das Bild von außen aus dem Raum leuchtend, strahlend zu uns kommen lässt. Im 14. Jahrhundert war das der Glasmalerei an den Fenstern zunächst der romanischen Kirchen und dann der großen gotischen Kathedralen gelungen. Sie avancierte innerhalb weniger Jahrzehnte zum ästhetisch und massenmedial dominanten Bildträger.“ (Reimut Reiche, S. 215) Dieser Vergleich wirkt erst einmal ziemlich fern. Er ist es aber keineswegs. Einerseits verweist er auf wichtige Träger von Informationen (Medien), die andererseits in ein moralisches Gefüge eingebunden sind. Gibt es bezüglich der Glasmalerei eine klare herrschaftliche Instanz, die bestimmt, welche Vorstellungen abgebildet werden, so finden sich – auch von dieser Instanz beauftragt – an eben denselben kirchlichen Bauwerken, nur an den Außenseiten, oft Darstellungen von denjenigen Dingen, die als ‚abstoßend‘, als ‚sündig‘ angesehen werden und die durch ihre Verbannung an die Außenmauern aus dem Inneren der Kirchen ferngehalten werden sollen.Weiterlesen » » » »

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Forschung_im_QueerformatForschung im Queerformat: Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.)
09/2014, 312 Seiten, 24,99 Euro
ISBN 978-3-8376-2702-2
Informationen hier, beim Transcript-Verlag

Ich möchte zur Lektüre und Diskussion anregen:
Das Buch „Forschung im Queerformat“ leistet das, was ein guter wissenschaftlicher Tagungsband machen soll. Es bringt unterschiedliche Perspektiven zueinander und in Diskussion. Und es zeigt auch, dass einige Perspektiven auf der Konferenz weitgehend ausgeschlossen blieben und ermöglicht damit, dass die Organisator_innen von Folgeveranstaltungen solche Ausschlüsse vermeiden. Besonders hervorheben möchte ich zwei Beiträge: Der Aufsatz von Saideh Saadat-Lendle und Zülfukar Çetin „Forschung und Soziale Arbeit zu Queer mit Rassismuserfahrungen“ fokussiert und kritisiert die rassistischen und identitären Zuschreibungen in den Studien der vermeintlichen ‚Opferberatung‘ Maneo, in der Simon-Studie und in LSVD-Kampagnen. Mit Blick auf den Kongress zeigen sie, wie Expertisen von Selbstorganisationen insbesondere von Personen of Color von den Organisator_innen als wissenschaftlich nicht relevant klassifiziert und aus dem Erkenntnisprozess der Konferenz ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig regen sie eine klare Lösung an: „Da sich ein ganzer Block dieses Kongresses mit der ‚Partizipativen Forschung‘ auseinandergesetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Reflexion über unsere Kritik in Bezug auf die Auswahl der Referent_innen des Kongresses die zukünftige Praxis […] zugunsten eines partizipativen Ansatzes beeinflussen kann.“ (S. 248) Der zweite Beitrag, der hier Erwähnung finden soll, ist der Aufsatz „Cruzando Fronteras – zur Heteronormativität von Grenz- und Migrationsregimen am Beispiel von Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“, der von Elisabeth Tuider und Ilka Quirling verfasst wurde. Sie geben dort einen Überblick über wichtige postkoloniale Arbeiten zum Thema und juristische aufenthaltsrechtliche Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Sie zeigen, wie Letztere von „normative[n] Vorstellungen von ‚normaler‘ Sexualität, Familie, Geschlecht und Einwanderung“ (S. 266) geprägt sind sowie „Herkunftsländer homogenisiert und kulturalisiert, nicht selten als ‚traditionell‘ und damit explizit heterosexuell skizziert“ (ebd.) werden. Das wirkt sich exemplarisch so aus, dass einer Antragstellerin – einer Trans*frau – nicht geglaubt wird, dass sie von vier Polizisten vergewaltigt wurde und u.a. deshalb fliehen musste, weil der Sachbearbeiter das Herkunftsland als homophob erkennt, so dass es – so der Sachbearbeiter – „absolut unvorstellbar [sei], dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er [sic! – gemeint ist sie, die Asyl-Antragstellerin, Anm. HV] angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten“ (nach: S. 262). Neben der abstrusen Wertung, geht aus der zitierten Passage die Transphobie des Sachbearbeiters hervor, ebenso die problematische Wirkung, die sich aus starrem Identitätsdenken ergibt.

zum Band

Offenlegung: Die Autor_in dieses Beitrags war selbst auf der Konferenz vertreten und hat auch zum Band beigetragen.

sierck_budenzauber_inklusionUdo Sierck
Budenzauber Inklusion
mit farbigen Illustrationen von Nati Radtke
AG SPAK, 2013, 145 Seiten, 16 Euro,
ISBN 978-3-940865-57-1

„Die Untersuchung [eine Studie, auf die Sierck genauer eingeht; Anm. HV] rührt an einem Tabu der Behindertenhilfe, das in den Sonntagsreden zur Inklusion nicht vorkommt. Physische und psychische Gewalt werden von behinderten Frauen und Männern benannt, aber von den selbsternannten Experten in Behindertenverbänden oder kommunalen Trägern nicht zum vorrangigen Thema gemacht.“ (S.45)

Udo Sierck nimmt in seinem aktuellen Buch „Budenzauber Inklusion“ die aktuelle ‚Behindertenpolitik‘ in der Bundesrepublik Deutschland in den Blick. ‚Inklusion‘ sei das ‚Zauberwort‘ dieser Politik und es werde der Eindruck weitreichender Veränderung erweckt, dabei zeige sich, dass ‚Inklusion‘ oft einfach ein neues Wort für weiterhin schlechte Politik sei, in der Normen sogar verstärkt wirkten und Menschen ausgegrenzt würden. Er fordert ein, dass nicht mehr vermeintliche Expert_innen der Behindertenhilfe und aus wissenschaftlichen Disziplinen die Richtungen der politischen Kämpfe angeben, sondern dass die Selbstorganisationen behinderter Menschen als die zentrale Expertinnen anerkannt werden. Dafür gibt Sierck einerseits einen Überblick über die Behindertenbewegung, die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, und erläutert aber auch die unterschiedliche Sprecher_innen-Position: „Denn ‚Nichtbehinderte können sich aussuchen, über ihre Verletzbarkeit nachzudenken, Behinderte nicht.‘“ (S.101)

Auch die Paralympics und aktuelle Fragen zur Optimierbarkeit von Körpern beleuchtet Sierck kritisch. Behinderung werde dabei im Sinne eines Freakings verhandelt – Machbarkeiten würden erprobt und in Medien „Spiele der Wunder“ … „man darf staunen“ … „Meet the Superhumans“ (S.78) angekündigt. Sierck folgert: „Die Paralympics haben Erfolg, weil sie sich an den herrschenden Kriterien für Erfolg orientieren und dafür den Körper bis an die Grenze des Machbaren drangsalieren.“ (S.80)

Der seit Ende der siebziger Jahre in der emanzipatorischen Behindertenpolitik engagierte, ausgebildete Diplom-Bibliothekar Udo Sierck hat seit den 1980er Jahren zahlreiche Bücher veröffentlicht. Zuletzt unter anderem „Behinderung: Chronik eines Jahrunderts“ (2012, Beltz Juventa) und das hier kurz eingeführte – und unbedingt empfehlenswerte – Buch „Budenzauber Inklusion“ (2013, AG SPAK).

schmidt_was_sind_gene_nichtKirsten Schmidt
Was sind Gene nicht? Über die Grenzen des biologischen Essentialismus
Transcript-Verlag, 2014, 348 Seiten, 29,99 Euro

ISBN 978-3-8376-2583-7

„Der genetische Essentialismus erscheint […] weit weniger plausibel, als ursprünglich angenommen. Es scheint, als könnte er durch eine kurze Darstellung der neuesten empirischen Befunde der modernen Biologie widerlegt und endgültig in den Giftschrank wissenschaftlich überholter philosophischer Konzepte verbannt werden.“ (S. 9)

Kirsten Schmidt ist Diplom-Biologin und wurde mit der Arbeit „Tierethische Probleme der Gentechnik“ im Jahr 2007 promoviert. Sie war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich „Ethik in Medizin und Biowissenschaften/Angewandte Ethik“ am Institut für Philosophie an der Universität Bochum. Ihre neue, aus einem DFG-Forschungsprojekt hervorgegangene Studie „Was sind Gene nicht? Über die Grenzen des biologischen Essentialismus“ basiert somit auf einer interdisziplinären fachlichen Perspektive, bei der biologische (u.a. molekulargenetische) Kenntnisse insbesondere mit ethischen kombiniert sind.

Mit einer Fülle von Material kommt die Autorin in „Was sind Gene nicht?“ zu der Einschätzung, dass auf Grund der molekularbiologischen (auch molekulargenetischen) Beschreibungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in der Biologie längst nicht mehr von dem populär verbreiteten Genkonzept ausgegangen werde, nachdem ein ‚Gen‘ eine exakt fixierbare Einheit und die Essenz eines Lebewesens darstelle. Vielmehr würden Gene als veränderliche Faktoren wahrgenommen, die erst im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren in der Zelle und in komplexer Regulation existierten. Kurz gesagt: „Gene sind keine dauerhaften materiellen Entitäten, sondern temporär existierende Prozesse.“ (S. 11) Mit dieser Formel geht Schmidt auch davon ab, Gene lediglich in Netzwerken und im Zusammenspiel mit anderen zellulären Faktoren betrachten zu wollen – und sie dabei immer noch als fixe Einheiten zu betrachten. Stattdessen schlägt sie vor, ‚Gene‘ selbst als Prozess zu denken und damit unter anderem in den Blick zu bekommen, dass sie häufig nicht als strukturelle Einheiten nebeneinander auf der DNA 'vorliegen', sondern die einzelnen Sequenzen eines Gens oft über die DNA ‚verstreut‘ sind und zudem erst durch chemische Modifikationen (unter anderem alternatives Spleißen) eine funktionale Einheit entsteht, die temporär vorhanden ist und weiteren Veränderungen in der Zelle unterliegt. Schmidt schreibt: „Gene ‚tragen‘ keine Information. Vielmehr konstituiert umgekehrt der Syntheseprozess, mit seinem Zusammenspiel unterschiedlicher genischer, extragenischer und nicht-genetischer Elemente, das Gen, das uns lediglich rückblickend als eine bereits vor dem Prozess existierende und auf der DNA lokalisierbare Entität erscheint.“ (S. 231)

Schmidt argumentiert für ein Prozessdenken, statt von Vorgegebenheiten auszugehen; um dem Prozesscharakter auch sprachlich Rechnung zu tragen, schlägt sie vor, den Begriff Gen nicht mehr als Substantiv, sondern als Verb zu verwenden (im Sinne ‚ich gene‘, genau wie ‚ich verdaue‘). Ihre Argumentation führt sie schlüssig entlang des wissenschaftlichen Forschungsstands der Molekulargenetik, der Systembiologie (u.a. Proteomic) sowie der Epigenetik. Dabei hat sie stets auch die geschichtliche Entwicklung der biologischen Spezialdisziplinen im Blick, was gerade bzgl. der Epigenetik bei einigen der Lesenden Kenntnislücken schließen dürfte, da diese Disziplin derzeit oftmals fälschlich als ‚neu‘ postuliert wird (vgl. S. 259-286).

Schmidts Ergebnisse decken sich mit denen, die sich auch bzgl. der biologisch-medizinischen Theorien zur Geschlechtsentwicklung feststellen lassen. Bzgl. Geschlecht ließ sich festhalten: „Deutlich wird, dass DNA keinen beständigen, unveränderlichen ‚Text‘ darstellt, den es nur zu ‚lesen‘ gilt, vielmehr ist sie innerhalb des Organismus in Veränderung begriffen. Außerdem wird bereits hier ersichtlich, dass Prozesse notwendig sind, um in der Zelle bzw. im Organismus aus einer DNA-Sequenz erst einmal verwertbare ‚Information‘ für eine RNA-Sequenz zu machen…“ (Voß: Making Sex Revisited. Bielefeld 2010: S. 298)

Hintergrund der Untersuchung Schmidts zu genetischem Essentialismus sind hingegen nicht Geschlechterfragen, sondern die feste Einteilung von Organismen in Arten. Da die Arteinordnung wesentlich über genetische Merkmale – die DNA-Sequenz – getroffen werde, müsse diese Abgrenzung wanken, wenn gerade nicht von einem fixen und beständigen genetischen Material als Essenz der Individuen und der Arten ausgegangen werden kann. Die genetische ‚Information‘ wird in den jeweiligen Individuen erst in einem Prozess; – eine Deckungsgleichheit innerhalb einer Art, wie sie mit dem Konzept fixer, unveränderlicher Gene postuliert wurde, sei so nicht möglich. Hiervon ausgehend eröffnet Schmidt gentechnische Überlegungen, ob die Übertragung von menschlichen Zellen zur Erzeugung transgener Mäuse zulässig sein könnte. Hier führt sie auf eine deutlich bejahende Position hin – eine kritisch zu diskutierende Einschätzung, weil es um die Grundfrage geht, was den Menschen zum Menschen macht.

Im Zusammenhang mit dem band "Gendermedizin: Prävention, Diagnose, Therapie" (hg. von Alexandra Kautzky-Willer) sollen im folgenden einige grundlegende Problematiken aktueller 'gendermedizin' in die Debatte gebracht werden:

"Die ‚Gendermedizin‘ ist im Begriff, zu einem antiemanzipatorischen Projekt zu werden. Menschen werden als durch und durch vergeschlechtlicht gedacht, die Ursachen nicht in gesellschaftlicher Ungleichbehandlung gesucht, sondern essentialisiert. Der von Alexandra Kautzky-Willer herausgegebene Sammelband macht diese Entwicklung deutlich. Gleichwohl zeigen sich in ihm vereinzelt auch reflektierte Betrachtungen, die soziale Faktoren in der Analyse zumindest zulassen. Ist der Band als Lehrbuch gedacht und soll er erste Orientierungsmöglichkeiten und Handlungsempfehlungen für die Praxis bieten, so wird er beidem nicht gerecht. Vielmehr handelt es sich um einen theoretisch gehaltenen Sammelband für Wissenschaftler/-innen mit lediglich vereinzelten Anregungen für die medizinische Praxis." weiter

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oguntoye_eine_afro_deutsche_geschichte_Selten habe ich eine solch gute Arbeit gelesen, wie die 1997 als Buch erschienene Magisterarbeit "Eine afro-deutsche Geschichte: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950", von Katharina Oguntoye. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Interviews, die die Historikerin mit Mitgliedern der Familie Diek geführt hat. Vor diesem Hintergrund rollt sie die Geschichte Schwarzer Deutscher und Schwarzer Menschen in Deutschland auf. Hierzu wertete die Autorin gedruckte Quellen aus und sichtete einen umfassenden Archivbestand, der sich in Teilen als ertragreiche Anlage im Anhang des Buches findet. Auf dieser Basis entsteht ein differenziertes und umfassendes Bild.

Da das Buch, erschienen im Verlag Christine Hoffmann, leider nur noch über Bibliotheken erhältlich zu sein schein, sei an dieser Stelle gleichzeitig auf die daraus hervorgegangene Ausstellung "Spurensuche" und den bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichten Aufsatz Oguntoyes "Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945" hingewiesen. Wem immer möglich oder wer gar an einer sozialwissenschaftlichen oder historischen Untersuchung (Magisterarbeit / Dissertation) arbeitet, sollte aber schon allein für das beispielhafte methodische Vorgehen auf Oguntoyes Buch zurückgreifen!

Katharina Oguntoye:Eine afro-deutsche Geschichte: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950
Berlin: Verlag Christine Hoffmann
ISBN 3-929120-08-9 / 209 Seiten

Ebenfalls von der Autorin empfehlenswert:
Oguntoye, Katharina / Opitz [Ayim], May / Schultz, Dagmar (1997
[Erstausgabe 1986]): Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf
den Spuren ihrer Geschichte. (neu aufgelegt 2012)

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[aktualisiert: Mai 2021]

"Queer und (Anti-)Kapitalismus", verfasst von Salih Alexander Wolter und Heinz-Jürgen Voß, ist mittlerweile bereits in der zweiten Auflage. Es eröffnet Zugänge herrschaftskritisch queer zu denken und verweist zentral und grundlegend auf die Arbeiten von Personen of Color. Im Folgenden findet sich eine Übersicht über die erschienenen Besprechungen zum Buch „Queer und (Anti-)Kapitalismus“, die fortlaufend aktualisiert wird:

Rezensionen:

Auf queer bookster heißt es zum Buch unter anderem: "Fazit: Dieses Sachbuch hat Highlights für alle Leserinnen – von klassischen Marxistinnen über intersektionale Feminist*innen von heute bis hin zu weißen queers, die sich endlich mal kritisch mit der eigenen Community auseinandersetzten wollen. Ja, die Sprache ist vorrausetzungsvoll und akademisch, doch viele Begriffe, gerade auch Selbstbezeichnungen, werden erklärt. Ein Grundverständnis von linker Theorie kann helfen, doch vor allem macht »Queer und (Anti-)Kapitalismus« Lust auf mehr kritische, Schwarze, queere Kritik!" Vollständig hier online.

In die Reihe "Educate yourself" zum Frauenkampftag 2021 hat @diversmagazin, neben anderen lesenswerten Büchern, auch "Queer und (Anti-)Kapitalismus" aufgenommen - und schreibt: "Das Buch untersucht intersektionale Verschränkungen und fragt, wie Geschlecht und Sexualität – stets verwoben mit Rassismus – im Kapitalismus bedeutsam sind, aufkommen und funktional werden. Sehr theoretisch und komplex, dafür aber auch nicht super lang." Hier gehts zur gesamten Liste.

"Literaturlärm" rezensiert in ihrem* neusten Podcast "Queer und (Anti-)Kapitalismus". Sehr schön zu hören, was das Buch Interessierten heute - 2021 - bringen kann!

Frigga Haug hat in der Zeitschrift Das Argument eine umfassende und würdigende Rezension zu "Queer und (Anti-)Kapitalismus" veröffentlicht. In der, mit Bezug zu Spinoza, auch dieses Mal sehr lesenswerten Zeitschrift heißt es zum Buch von Salih Alexander Wolter und mir unter anderem: Das Buch empfiehlt "programmatisch postkoloniale Autorinnen dringlich zur Lektüre und nimmt auch die BRD 'als postkoloniales Gebilde' (13) in der 'neokolonialen Ordnung' kritisch ins Visier, an der alle (auch alternative weiße prekarisierte queers), teilhaben 'als Komplizen'. [...] Die Analyse von Nord und Süd als globale Perspektive gewinnt zugleich eine klarere Sicht auf die Lage der Frauen in der Welt, die (wieder mit Spivak) noch 'keine Sprache haben' und auf Migration und Ausbeutung." Die mehrseitige Besprechung, die auch einige Anregungen zum Weiterdenken enthält, findet sich in Das Argument, Heft 307, bestellbar hier.

Kübra Atasoy besprach das Buch für die Zeitschrift der österreichischen HochschülerInnenschaft - Unique. Atasoy schreibt: "Wie sie bereits mit ihrem Vorgängerbuch Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“ bewiesen, verstehen sich die beiden Autoren* Salih Alexander Wolter und Heinz- Jürgen Voß darauf, Debatten zuzuspitzen und gleichzeitig zu versachlichen. Gemeinsam mit Zülfükar Çetin stellten sie darin dar, wie die ,Beschneidungsdebatte‘ auf antisemitische und antimuslimische Argumentationen zurückgreift und machten deutlich, wer überhaupt an dieser Debatte teilnehmen kann. Die Stärke ihres neuen Buches ist gleichzeitig seine Schwäche: Mit Queer und (Anti-)Kapitalismus haben sie zwar die Grundlage für eine – besonders im deutschsprachigen Raum – längst notwendig gewordene Diskussion über die Vielfalt an Ausschlussmechanismen im Kapitalismus geschaffen. Das Buch kann und soll die Diskussion aber nicht ersetzen. Salih Alexander Wolter zeichnet in seinem Abschnitt des Buches die lange Geschichte der zahlreichen Ausschlüsse nach, von denen Frauen*, Queers, People of Color und Arbeiter*innen innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen stets betroffen waren. Wolter bietet damit eine Einführung in postkoloniale und queere Themen, die er mit Beispielen aus dem Bereich des Aktivismus zu unterstreichen weiß. Heinz-Jürgen Voß behandelt die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus, Geschlechterverhältnissen und Kolonialisierung. Themen, die häufig unter den Tisch fallen, finden hier Platz, wie zum Beispiel der deutsche Kolonialismus oder die Funktion der Biologie bei der gesellschaftlichen Zurichtung von Menschen, deren Beleuchtung eines von Voß , Kerngebieten ist. Statt sich auf starre Erklärungsmuster zu versteifen, stellen Wolter und Voß Fragen: Sie zeigen auf, was ,Ökonomiekritik‘ mit Kapitalismus nicht mehr zu tun hat und wie Kämpfe, die ihren Kern nicht benennen können, zahnlos werden."

Antje Meichsner rezensierte das Buch "Queer und (Anti-)Kapitalismus" bei Coloradio (Dresden) und führt unter anderem aus: "Beide Autor_innen fächern die Diskurse um Queer bzw. Geschlechterverhältnisse und Kapitalismus differenziert auf und unterfüttern ihre Aussagen mit spannend zu lesenden Quellen aus der Bewegungsgeschichte. Sie zeigen aufs Klarste, worum es geht und zwar um Phänomene des Alltags in ihrer historischen Bedingtheit, ihrer Eingebundenheit in Theorie und in ihrem globalen Zusammenhang. Sie gehen folgende Fragen nach: Wem nützen die geschlechtlichen und sexuellen Zurichtungen der Menschen im Kapitalismus, und was lässt sich aus den historischen und aktuellen Kämpfen für queere Kapitalismuskritik lernen?" Online bei freie-radios.net.

Bei der Mädchenmannschaft schreibt Lisa unter anderem: "Das Buch weist eine komplexe Analyse dessen auf, wie sich verschiedene Ausschlussfaktoren (v.a. Klasse, Geschlecht und 'Rasse') gegenseitig bedingen und eine funktionale Rolle im globalen Kapitalismus spielen. Dabei nehmen die Autor_innen Bezug auf marxistische Theorie und postkolonialen Feminismus, betonen aber vor allem weitreichende theoretische Erkenntnisse und politische Erfahrungen von People of Color. […] Auf knappen 158 Seiten […] gelingt den Autor_innen eine tiefgehende Untersuchung und erkenntnisreiche Abhandlung, die aufgrund ihrer Komplexität und Fülle an Aspekten und Perspektiven ein breites Publikum anspricht und auch ein zweites und drittes Lesen nicht weniger interessant macht." zur vollständigen Besprechung

Lisa Krall besprach das "Queer und (Anti-)Kapitalismus in der zeitschrift analyse & kritik. Sie schreibt u.a.: "In dem kürzlich veröffentlichten Band knüpfen Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter an die Debatte über queere Ökonomiekritik an und konzentrieren sich auf zwei Aspekte: Erstens zeigen sie kontinuierlich anhand verschiedener historischer und politischer Beispiele die Verbindung von Kapitalismus, Sexismus und Rassismus auf. Zweitens betonen sie, dass es bereits seit den 1960er Jahren ein Anliegen Schwarzer Queers und Women of Color ist, auf diese Verschränkungen hinzuweisen, dass sie jedoch bis heute kaum wahrgenommen werden. Sie analysieren, wie sich verschiedene Ausschlussfaktoren (Klasse, »Rasse«, Geschlecht) gegenseitig bedingen und eine funktionale Rolle im globalen Kapitalismus spielen. Dabei nehmen sie Bezug auf marxistische Theorie und postkolonialen Feminismus, betonen aber vor allem weitreichende theoretische Erkenntnisse und politische Erfahrungen von People of Color. Die LeserInnen tauchen direkt ein in die vielschichtigen Zusammenhänge der Entstehung eines globalen Kapitalismus, historischer Kolonialisierung und aktueller Migrationspolitik sowie sich wandelnder Geschlechter- und sexueller Verhältnissen. Auf knappen 143 Seiten gelingt Voß und Wolter eine tiefgehende, wenn auch dichte Untersuchung und erkenntnisreiche Abhandlung, die aufgrund ihrer Komplexität und Fülle an Aspekten und Perspektiven ein breites Publikum anspricht und auch ein zweites und drittes Lesen nicht weniger interessant macht." zur Besprechung

Ulrike Kümel schreibt auf Queer.de unter anderem: ""Queer" ist für viele Schwule einfach Lifestyle. Wie sich "Queer" zum Kapitalismus verhält, dafür bieten die Autoren des Bandes "Queer und (Anti-)Kapitalismus" einen vielschichtigen Zugang. Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter untersuchen leicht lesbar und dennoch auf hohem wissenschaftlichen Niveau aktuelle queere Forderungen und ihre Stellung in der allgemeinen Politik. Dabei spielt Rassismus eine große Rolle. Ausgehend von Straßenkämpfen 1966 in San Francisco und den legendären Kämpfen in der New Yorker Christopher Street drei Jahre später, erläutern die beiden Autoren die historischen Ausgangspunkte queeren Widerstands. Dabei arbeiten sie heraus, dass gerade die wichtigsten AktivistInnen der Kämpfe aus dem kollektiven schwul-lesbischen Erinnern ausgelöscht sind: Nicht-weiße Transgender und Drag Queens of Color, obdachlose Jugendliche, gerade aus der Arbeiterklasse, waren etwa in der Auseinandersetzung mit der Polizei in der ersten Reihe. Namentlich Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson werden vorgestellt. Rivera wurde trotz ihres Einsatzes bereits beim CSD 1973 von Schwulen und Lesben als Trans*-Person beschimpft und sogar geschlagen. [...] Seit Werner Hinzpeters Schöne schwule Welt (1997) und Eike Stedefeldts Schwule Macht (1998) hat niemand mehr so konkret die Akteure der schwul-lesbischen Szene – wie etwa LSVD und Queer Nations – analysiert und kritisiert." zur Besprechung

Verqueert schreibt auf freitag.de und auf verqueert.de: „Queer-feministische Ökonomiekritik ist in der Diskussion. Das Buch ‚Queer und (Anti-)Kapitalismus‘ befeuert sie. Seit längerer Zeit besteht gegenüber 'Queer' der Vorwurf, dass es sich im deutschsprachigen Raum um eine Theorie ohne Bodenhaftung handele. Statt konkrete gesellschaftliche Ungleichheiten klar zu benennen, vernebele 'Queer Theorie' die Sicht: Rassismus, Klassenverhältnisse, Geschlechterverhältnisse gerieten aus dem Blick.
Wird aber aus etwas anderer Richtung geschaut, wird anderes deutlich: Wegweisende gesellschaftskritische queere Ansätze wurden und werden auch im deutschsprachigen Raum entwickelt, insbesondere von People of Color. Auch im globalen Kontext waren (und sind) queere Theorie und politische Kämpfe immer im Kontext der Kämpfe gegen Rassismus und Klassenunterdrückung zu sehen. Einen Ein- und Überblick geben nun Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter in dem Band ‚Queer und (Anti-)Kapitalismus‘. Sie bieten einen gründlichen Blick auf Geschichte - und zukünftige Perspektive. Und sie sind immer nah an der Praxis.“
(hier und hier online)

ak[due]ll - Studentische Zeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet schreibt zum Buch und kündigt seine Vorstellung am 26. November in Duisburg/Essen an. Dabei diskutiert die_der Autor_in, unter Rückgriff auf ein kurzes schriftliches Interview mit Voß auch das gemeinsame Anliegen von Salih Alexander Wolter und Heinz-Jürgen Voß: Das Buch "...zeichnet das gemeinsame Entstehen von Rassismus, Sexismus und Kapitalismus nach, um schließlich aktuelle politische Perspektiven zu diskutieren. Dabei ist den beiden Autoren wichtig, die Arbeiten und aktivistischen Kämpfe von Queers of Color – also solchen, die von Rassismus betroffen sind – sichtbarer zu machen. Voß hält hier einen Perspektivwechsel für notwendig. [...] Voß hält es für unerklärlich, 'wie etwa ein aktueller deutscher Einführungsband zu Intersektionalität ohne Verweis auf die Schwarze deutsche Frauenbewegung, ihren Aktivismus und ihre Schriften auskommt und ein aktueller Einführungsband in die Geschlechtersoziologie Rassismus nur kurz im Unterkapitel zur Nazi- Zeit behandelt und Kolonialismus nur in zwei knappen Absätzen abgehandelt wird.' Stattdessen werde es oft schon als Beleidigung aufgefasst, wenn nur einmal eine weiße Person nicht zitiert werde." (hier vollständig online)

Katja Krolzik-Matthei hält im sexualwissenschaftlichen SINA-Newsletter fest: Voß und Wolter belegen "nachdrücklich [...], wie die weiße Frauen- und Queerbewegung People of Color (PoC), deren Bedeutung in der Bewegungsgeschichte und deren Belange (systematisch) […] ausblenden". Krolzik-Matthei urteilt: "Das Buch bewegt sich auf einem theoretisch höchst anspruchsvollen Niveau und weist eine sehr hohe Dichte an faktenbasierter Information auf. Dennoch: Die Lektüre von Queer und (Anti-) Kapitalismus kann dazu verhelfen, Maßstäbe und Ziele von queer-feministischem Aktivismus zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurichten und zu formulieren." (Volltext, im SINA-Newsletter)

Florian Geisler schreibt auf dem Portal für Politikwissenschaft: "Was passiert eigentlich, wenn man plötzlich in der Mitte einer Gesellschaft ankommt, von der man bisher nur Ablehnung erfahren hat und die man im Gegenzug auch selbst stets rundheraus abgelehnt hat? Wie geht man damit um, wenn eine Gemeinschaft, die scheinbar aus Prinzip Menschen verfolgt und ausschließt, die eigene Gruppe plötzlich im Mainstream willkommen heißt? Heinz‑Jürgen Wolter und Salih Alexander Voss gehen aus dieser Perspektive der Frage nach, wie weit sich die verschiedenen Strömungen der Frauen‑, Lesben‑, Schwulen‑ und Queer‑Bewegungen auf die ihrer Ansicht nach trügerische neue Akzeptanz der spätkapitalistischen Mehrheitsgesellschaft einlassen können. Habe die neoliberale Leistungsgesellschaft am Ende gar das Zeug dazu, ihren Bürgerinnen und Bürgern, zumindest was deren Sexualität und äußere Erscheinung angeht, alle Freiheiten zu gewähren? Ganz und gar nicht, meinen die Autoren und widmen sich einer gründlichen Kritik der ihrer Meinung nach weichgespülten Ökonomiekritik, also dem neuen „angesagten Label“ (9), das in manchen Kreisen des Queer‑Aktivismus die unbequemen Kapitalismusanalysen verdrängt habe. Diesem „Homonationalismus“ (19) und dessen Protagonisten aus dem „weißen schwulen establishment“ (22) begegnen die Autoren mit einer gelungenen Mischung aus kompakt erzählter Geschichte der Queer‑Bewegung und Einführung in die Intersektionalität, der Theorie mehrdimensionaler Diskriminierung. Diese Theorie sei dringend nötig, denn „Diskriminierung ist mittlerweile zum Grundpfeiler schwuler Subkultur geworden“ (136), so der Vorwurf. Wolter und Voss demonstrieren, warum Diskriminierung als Normalzustand eben nicht nur rassistisch, klassistisch, sexistisch oder homophob ist, sondern manchmal auch alles in einem. Sie begründen so, warum es dem Queerfeminismus nach wie vor „ums Ganze“ (134) gehen müsse. " zur Besprechung

Gundula Hase rezensierte das Buch für Die andere Welt und schreibt dort unter anderem: "Das Buch ist eine schonungslos offene Kritik, mit der Salih Alexander Wolter und Heinz-Jürgen Voß die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse analysieren und kritisieren. [...Sie] arbeiten heraus, wie das weltweite kapitalistische System fortwährend Menschen als ‚verschieden‘ und stets als ‚besser/schlechter‘ konstruiert, um Unterdrückung und Ausbeutung aufrechtzuerhalten. [...Da] das Buch leicht verständlich und gut strukturiert geschrieben ist, ist es auch für Uneingeweihte bestens nachvollziehbar - also: ein Buch für alle Interessierten."

Im Gießener Anzeiger und in der Oberhessischen Zeitung heißt es zum Buch von Salih Alexander Wolter und Heinz-Jürgen Voß: " 'Statt beim derzeit angesagten Label 'queer-feministische Ökonomiekritik' unterzuschlüpfen, hat sich das Autorenteam beim Schreiben von 'Queer und (Anti-)Kapitalismus' dafür entschieden, den Kapitalismus beim Namen zu nennen. Es handelt sich demanch um ein 'systemisches Herrschaftsverhältnis' und nicht um eine 'Fiktion' mit 'Freiräumen'. Vorgeschlagen wird daher, dass (queere) Kapitalismus-Kritik grundlegend auf den Analysen und Kämpfen aus dem globalen Süden und von People of Color aufbaut." (hier online und hier)

Zu "Queer und (Anti-)Kapitalismus" heißt es in der Siegessäule (Dezember 2013) u. a.: Das Buch bietet einen "Überblick, vom Marxismus hin zum Poststrukturalismus, zu queeren und postkolonialen Theorien. Ein großes Unterfangen, das die beiden mittels kleiner, leicht lesbarer Formate gut meistern". (zur Rezension im Heft, S. 26)

"Die Autor*innen argumentieren streng historisch und verweisen […] auf queere Geschichte selbst", hebt Jonas Eickholl in der Queerulant_in (Heft 6, Januar 2014) hervor. Genau dies sei "eine große Stärke des Buchs […]: queere Geschichte mit marxistischer Theorie zu vereinen und darzustellen". (Queerulant_in, Nr. 6, S. 42)

Buchhandlung Löwenherz: "Die spannende Frage, inwieweit erfolgreiche lesbisch-schwule Emanzipation mit dem neoliberalen Umbau der Weltwirtschaft Hand in Hand ging, untersuchen Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter in ihrem neuesten Buch. Eine anspruchsvolle Lektüre, heilsam in einem niveaulosen [österreichischen] Wahlkampf, auch wenn man nicht alle Standpunkte der Autoren teilt." ...heißt es auf der Facebook-Seite der Buchhandlung (Eintrag vom 26.9.2013).

Utrumque schreibt auf Mädchenblog unter anderem: „[D]as Buch ist insbesondere dazu geeignet, eben jene klassizistischen Praktiken der Linken im Allgemeinen und er queer-Bewegung im Speziellen sicht- und streitbar zu machen, die unter anderem dazu führen, dass die wichtigen, gewaltvollen Kämpfe von marginalisierten Personen innerhalb der Bewegung oft verschwiegen und deren Erfolge sich selbst auf die Fahnen geschrieben werden. Insgesamt liegt hier ein Buch vor, das dem Anstoß der Reflexion dient – und ja ganz offensichtlich bereits im Rahmen dieser Rezension erste kritische Thesen provoziert.“ (hier online)

Unbedingt empfehlenswert: "Stop Trans*-Pathologisierung". Seit 2007 hat sich durch die internationale Kampagne "STP-2012" der Kampf gegen die Pathologisierung, die institutionelle und alltägliche Gewalt gegen Trans*-Personen intensiviert. Dabei konnten von den streitenden Trans*-Menschen einige Erfolge erzielt werden - unter anderem gerade in Bezug internationale Vernetzung, kommunalen Aktivismus und intersektionale Weiterentwicklung der Forderungen.

Der vorliegende Band bereitet die neueren Entwicklungen auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Theoriebildung und des politischen Aktivismus auf. Die Autor_innen heben dabei deutlich heraus, wie gerade die Institution Medizin an der Gewalt und Unterdrückung von Trans*-Personen Anteil hat, dadurch dass sie Trans*-Menschen als "krank" stigmatisiert. Die Medizin ist dabei in aktuelle normalisierende gesellschaftliche Entwicklungen eingebunden. D. Demiel schreibt dazu im Band:

"Die heutige Neubelebung stigmatisierender Zuschreibungen gegen Trans* genauso wie insbesondere gegen die so genannten Verlierer_innen der Konkurrenz- bzw. Leistungsgesellschaft darf nicht weiter zugelassen, der Rechtsruck der Gesellschaft nicht weiter stillschweigend in Kauf genommen, Vorurteile dürfen nicht weiter reproduziert bzw. Ängste nicht mehr geschürt werden. Es gilt, die Ursachen und Verursacher_innen für komplexe soziale Probleme klar zu benennen und vereinfachende Lösungsansätze [...] abzulehnen. Rassismus und Ausgrenzung sind Standbeine einer Wirtschaftslogik, die Menschen auf ihren bloßen 'Nutzen' (Mehrwert) bzw. ihre 'Verwertbarkeit' reduziert, sie erpressbar und manipulierbar macht sowie sie entsolidarisieren soll." (S.21)

Insgesamt bietet der Band einen wichtigen fundierten Überblick und macht klar, dass Streiten, das erfolgreich sein soll, 1) international vernetzt, 2) kommunal verankert und 3) intersektional - also mit Blick auf die Verschränkung von Rassismus, Sexismus und Klassismus - erfolgt.

Anne Allex (Hg.)
Stop Trans*-Pathologisierung

Berliner Beiträge für eine internationale Kampagne
ISBN 978-3-940865-36-6 I 2012 I 9,50 EUR
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