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Die Gleichsetzung „Beschneidung der Vorhaut bei Jungen = gewalttätige medizinische Eingriffe gegen Intersexe“ funktioniert nicht

(English version)

Bei der Beschneidung der Vorhaut bei Jungen wird eben nicht die Eichel bzw. Klitoris entfernt oder reduziert, wie es beispielsweise bei Behandlungen, die sich gegen Intersexe richteten und richten der Fall war und ist. Auch werden nicht Keimdrüsen entfernt, schmerzhaft eine Scheide hergestellt und geweitet, es sind keine dauerhaften Hormoneinnahmen damit verbunden, wie sie Intersexe oft das ganze Leben über ertragen müssen. -- Daher sollte man hier nicht gleichsetzen und ist auch das Recht auf Religionsfreiheit zu garantieren. In der Gesellschaft sollte vielmehr ein Dialog aufkommen, wie die engen Geschlechternormen und die Eingriffe in die Selbstbestimmung entlang von Geschlecht grundlegend geändert werden können. Das träfe aber alle gesellschaftlichen Normen, es würde bedeuten, dass grundlegend etwas gegen die Gewalt gegen Frauen getan werden müsste, grundlegend Geschlechterstereotype angegriffen werden müssten, grundlegend etwas gegen die Medizinisierung und Psychiatrisierung der Menschen getan werden müsste... Aber das passiert ja nicht, sondern es reiht sich diese Einschätzung der Beschneidung der Vorhaut von Jungen in eine Politik der Bundesrepublik Deutschland, die "christliche Werte und Traditionen" sogar in eine "Europäische Verfassung" eintragen wollte und Homosexuellenrechte und Frauenrechte (zu denen sie sich erst sehr spät überhaupt durchringen konnte) seit ihrer Einführung als Kriegsgründe gegen andere Staaten anführt.

Warum dieses ganze Gerde von Intersektionalität, wenn man dann selbst von sonst emanzipiert Denkenden bei der ersten Frage, bei der es einmal tatsächlich wichtig ist, intersektional zu denken, auf ein "christlich abendländisches" Verständnis "in der Sache" verwiesen wird?

Hat sich jemand schon gefragt, warum das Kölner Landgericht nicht im gleichen Atemzug die geschlechtszuweisenden Eingriffe bei Intersexen zurückwies? Das wäre ja möglich gewesen, es machte es aber nicht, weil dort die vermeintlich sichere "medizinische Indikation" - die aber tatsächlich in Tradition der europäischen Moderne steht - hätte angegriffen werden müssen... Hier tut man sich sehr schwer, wie insgesamt bei "medizinischen Diagnosen".

Warum bezog das Landgericht nicht auch "hygienische" Beschneidungen der Vorhaut bei Jungen - wie sie in der USA und der BRD (alte Länder) üblich sind - mit in die Entscheidung ein? Auch hier wird ein lapidares "medizinisch indiziert" angeführt - und damit kommen wir an den Kern: Es würde tatsächlich gegen ein Dogma angehen, wenn man sich massiv gegen das Dogma "medizinisch indiziert" wenden würde, was mit der europäischen Moderne so wirkmächtig wurde und noch immer ist. Hingegen geht es nicht gegen ein Dogma an, sondern schwimmt mit dem rassistischen und antisemitischen Zeitgeist, nun wieder Jud_innen und Muslim_innen die Welt zu erklären.

Und auch dieser Verweis ist wichtig: Nirgends (!) und niemals (!) wurde so vielen Menschen Leid angetan und wurden so viele Menschen ermordet, wie mit Bezug auf ein christliches Verständnis seit der aufkommenden europäischen Moderne. Zehntausende Frauen fielen der Hexenverfolgung zum Opfer, Zehntausende der Sodomitenverfolgung, Zehntausende der Psychiatrie. Die halbe Welt wurde kolonialisiert, verbunden mit Versklavung, Ermordung. Mit dem Aufkommen der "modernen Medizin" wurden Menschen eingesperrt, zwangsbehandelt, sterilisiert, kastriert, ermordet; es wurden "Rassen" erfunden, "Homosexuelle", "Intersexualität". Und aktuell funktionieren die ganzen Ansätze weiter: Die Psychiatrie psychiatrisiert weiter wie gehabt, gefördert vom BMBF wird nach "Rassen"-Unterschieden gesucht, die eigenen Vorstellungen von "Werten" werden mit Krieg in alle Welt getragen... Und auf dieser Basis hat man sich merkwürdigerweise im behaglichen Gefühl der Mehrheit und Überlegenheit gegenüber "den anderen" eingerichtet - und auch das hat moderne europäische Tradition.

Anmerkung:

Der Hinweis auf Innenminster Friedrich und seinen Verweis auf eine vermeintlich "jüdisch-christliche Tradition" wurde entfernt, weil sie missverständlich war. Eine solche Tradition gab es nicht, sondern das Verhalten gegen Jud_innen war eine "Geschichte der Glaubenskriege, der Unterdrückung, des Antisemitismus, der Gewalt und der Schoah". (Hierzu ein guter Artikel: hier.)

Ein Gedanke zu „Die Gleichsetzung „Beschneidung der Vorhaut bei Jungen = gewalttätige medizinische Eingriffe gegen Intersexe“ funktioniert nicht

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