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Ende jetzt! Der primäre Antisemitismus der so genannten Antideutschen

In den 1990er Jahren war ich froh, als ‚antideutsch‘ aufkam. Einerseits hatte ich die Erwartung, dass damit dem neuen Erstarken von Deutschland und den sich weiter zuspitzenden rassistischen und antisemitischen Ausschlüssen entgegengewirkt werden könnte, andererseits fand ich es gut, dass dem Antisemitismus, wie er sich oft unwidersprochen auch in linken Zeitungen zeigte, entgegnet wurde. Das geschah unter dem Stichwort ‚antideutsch‘ punktuell – wichtiger waren und nachhaltiger zeigen sich die Positionierungen und Aktivitäten jüdischer und migrantischer Selbstorganisationen – und so hat ‚antideutsch‘ auch dazu beigetragen, dass zunächst Antisemitismus, Rassismus und völkisch-deutschem Denken in der Bundesrepublik und dort auch in linken mehrheitsdeutschen Zusammenhängen thematisiert wurden.

Heute hat sich das ins Gegenteil verkehrt. Ich verstehe (noch) nicht, warum, aber insbesondere aus den ‚antideutschen‘ Kontexten kamen und kommen insbesondere und seit dem letzten Jahr die widerlichsten Hetzreden gegen Jüdinnen und Juden, wie auch gegen Musliminnen und Muslime. Ganz alte antisemitische Bilder wie das des ‚genitalverstümmelnden Juden‘ wurden beschrieben und teilweise sehr bildlich ausgemalt. Es ist die gleiche Art von Bildern, wie sie in den 1920er Jahren von völkischen Mehrheitsdeutschen gezeichnet wurden, nur heute werden sie von Leuten erzeugt, die vorgeben, etwas gegen Antisemitismus tun zu wollen. Aber selbst die These der ‚Solidarität mit Israel‘ erscheint seit dem letzten Jahr mehr denn je als vorgeschoben: So machten sich ‚Antideutsche‘ – linke Mehrheitsdeutsche und als solche Enkel_innen der Täter_innen – ernsthaft auf, Israel und den in Israel lebenden Menschen erklären zu wollen, wie man in Israel zu leben habe und wie jüdische (und muslimische) Traditionen aussehen müssten, damit sie für Deutschland und insbesondere für mehrheitsdeutsche Jugendliche in linken Jugendhäusern tolerierbar seien. Geht’s noch? Wie war das mit der Forderung ‚Gegen deutsches Großmachtstreben‘? Wie war das mit dem Streiten gegen Antisemitismus und Rassismus? Wie war das mit deutscher Schuld – und mit der Forderung, als Deutsche einfach mal die Klappe zu halten?

Ich habe in den letzten Monaten den Eindruck gewonnen, dass der aktuelle, der primäre Antisemitismus in ‚antideutschen‘ Zusammenhängen sogar krasser zu finden war; auf jeden Fall zeigte er sich aber in gleichem Maße wie in anderen linken mehrheitsdeutschen und weiteren weißen Kontexten. Und es ist mir ein Rätsel: Warum produzieren und reproduzieren Leute, die sich doch gegen Antisemitismus wenden wollten, in krassem Maße selbst völkisch antisemitische Stereotype? Liegt es an den begrenzten mehrheitsdeutschen linken Kontexten, in denen in der Regel weiße Typen unter sich sind? Kommt die Sozialisation im westdeutschen kleinstädtischen Einfamilienhaus durch, die in der Regel keinen Kontakt zu Jüd_innen und Muslim_innen sowie allgemein zu vielfältigen, offenen Lebenswelten ermöglicht? Ist es alternativ die Sozialisation in ostdeutscher ‚Nach-Wende-Zeit‘, in der sich Ostdeutsche gern als Wende-Verlierer stilisierten (wo doch sie die Wahl hatten) und ihre Kinder in diesem Umfeld aufgewachsen sind und ihr ‚Leid‘ vergleichen wollen? …oder sich selbst erheben und als besser darstellen wollen, was gut auf dem Rücken anderer geht, indem man diese als ‚unzivilisiert‘ erscheinen lässt und man ihnen dann erklärt, wie ‚Gutsein‘ geht, wie man emanzipatorisch ist?

Mehrheitsdeutsche müssen genau ihren eigenen Antisemitismus und Rassismus thematisieren, reflektieren und bekämpfen. Er ist institutionell in diesem Land tief verankert – allein schon das Staatsbürgerschaftsrecht geht auf das völkische Reichsstaatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 1913 zurück und beispielsweise die Körpervorstellungen sind tief christlich (und tief antijudaistisch und antisemitisch) geprägt. Antisemitismus und Rassismus sind damit tief im mehrheitsdeutschen Verständnis verwurzelt. Sie sind so in ‚uns‘, dass ich hier bewusst ‚mehrheitsdeutsch‘  setze und mich einschließe. Auch ich arbeite daran, meine ‚Selbstverständlichkeiten‘ immer weiter zu hinterfragen und dabei rassistische und antisemitische Vorannahmen zu erkennen und daran zu arbeiten, diese zu überwinden. Arbeit gegen Antisemitismus heißt so gerade auch Arbeit an sich selbst und Kritik und politischer Kampf gegen den in Deutschland verbreiteten Antisemitismus und antisemitischen Hass. Und sie bedeutet Offenheit für Sichtweisen fernab der eigenen christlich-säkularen und damit gleichzeitig antisemitisch gewordenen.

Gegen den deutschen rassistischen und antisemitischen Normalzustand!

Und damit auch gegen das, was heute als ‚antideutsch‘ firmiert, aber besser als allzudeutsch zu fassen ist!

9 Gedanken zu „Ende jetzt! Der primäre Antisemitismus der so genannten Antideutschen

  1. Guenuel

    Die Einschätzungen aus deinem ersten Absatz teile ich. Ich fand das eine wichtige Intervention, vor allem um auch Antisemitismus in der Linken zu thematisieren.

    Ein paar mehr Quellen wären ja schon wünschenswert. Was meint ‚antideutsche‘ Zusammenhänge (also die aktuellen die du meinst)? Welche Medien/Texte/Verlautbarung meinst du? Kannst du ein paar Zitate nennen?

    Was meint "Mehrheitsdeutsche"? Kann man über jemanden sagen, dass er/sie "mehrheitsdeutsch" ist? Der Begriff "antideutsch" wurde ja auch als Label benutzt, um politisch zu zeigen, dass man sich selbst mit dieser nationalistischen Kategorisierung nicht identifizieren wollte/will.

    In manchen Aussagen bist du leider genauso pauschalisiernd wie die denen du das vorwirfst... und echt super, dass auch hier wieder die Ossis schuld sind... im Übrigen auch ein Stereotyp (ewig jammernd, unreflektiert und rechtsradikal... jaja so sind se...).

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  2. max power

    Nicht ein einziger Hinweis auf Quellen bei denen du das gelesen hast. So ist es doch eine reine Diffamierung. Es bleibt völlig unklar wen du hier überhaupt als antideutsch labelst. Du schreibst als würde es sich um eine homogene Gruppe handeln. Bezogen auf die Selbstbezeichnung als antideutsch ist das nun schlichtweg falsch.

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  3. Kaspar Molzberger

    Wie wärs mal mit irgendwelchen Belegen, Zitaten oder Verweisungen auf Artikel, Essays, etc im Hinblick auf die hier kritisierte Haltung/Meinung/Praxis "antideutscher" Kontexte? Es ist äußerst unredlich hier irgendwelche Behauptungen und Anschuldigungen zu erheben ohne auch nur einen Beleg damit zu verbinden.

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  4. drittereihe

    Gibt's vielleicht auch irgendwelche Belege für diese zusammenhanglose Aneinanderreihung von Vorwürfen?

    Und was sind "Mehrheitsdeutsche"?

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  5. Gertrud

    Lieber Heinz,
    irgendwie ist das alles nicht so schlüssig, wenn du über "die" Antideutschen schreibst, keine Belege für Deine Behauptungen über "die" Antideutschen heranziehst, sondern nur über Dein Gefühl ("Eindruck gewonnen") versuchst zu zeigen, dass "die" Antideutschen ganz schlimm sind.
    Mir ist jedenfalls nicht klar, ob Du an eine Person geraten bist, die die von dir beschriebenen Sachen macht, und sich (zufällig) auch noch als antideutsch labelt, oder ob du dich auf Publikationen sich antideutsch labelnder Gruppen beziehst. Wenn letzteres, dann solltest du vielleicht klarer zitieren, da ich deine Argumentation nicht nachvollziehen kann. So klingt es am Schluss ein bisschen nach "Life of Brian": Ich kämpfe gegen Antisemitismus - aber meine schlimmsten Feind_innen sind die Antideutschen...

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  6. Karol Wojtyla

    Was für ein klugscheisserisches Wessi-Geschwätz, der alte Komplexe gegenüber den Ossis, die wenigstens einmal in der Geschichte ihrer Republik den Arsch in der Hose hatten was zu verändern, auch wenn die Revolutzion gescheitert ist und eben diese Wessi-Scheisse uns nun seit Zwanzig Jahren zum Lesen vorgeworfen wird, von all den Versagern, die gut im Quatschen sind...allerdings nur in ihren zersprengten Politzirkeln. Bla bla bla

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  7. Heinz-Jürgen Voß

    Liebe Kommentierende, ich bin von den Fragen tatsächlich überrascht! Ich kenne kaum ein mehrheitsdeutsches linkes Medium, das in der antisemitischen und rassistischen 'Beschneidungsdebatte' auch nur eine ausgewogene Berichterstattung versucht hätte, von einer konsequenten Solidarisierung mit Menschen aus jüdischen und muslimischen Familien, mit der Position des Zentralrats der Juden und der des israelischen Außenministeriums ganz zu schweigen. Meist zeigte sich massives Vorurteil, in hässlichsten hetzenden Stereotypen - und das auch in den 'antideutschen' (allzudeutschen!) Zeitschriften und Blogs, obwohl zumindest von dort (!) hätte anderes kommen müssen: nämlich massiver Kampf gegen die antisemitische und rassistische Hetze. Aber da waren die Positionen sogar noch krasser, denken wir an Osten-Sacken in der jungle world, Wertmüller in den Bahamas und Leuten wie Riedel in ihren Blogs. WAS HAST DU GETAN, UM ETWAS GEGEN DEN ANTISEMITISMUS ZU TUN?

    Dass sich eine neue Eskalationsebene von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland ergeben hat, sagten deutlich Vertreter_innen von Jüd_innen und Muslim_innen. Eine Studie der Oxford Universiity - in deutscher Fassung heißt sie "Signale aus der Mehrheitsgesellschaft" - arbeitet die Positionen und die Wirkungen der Debatte auf. In der Studie heißt es unter anderem zu Allzudeutschen: "Eine weitere Ebene der Enttäuschung betrifft das Unverständnis über das Agieren von Personen, die im Prinzip pro-jüdische Positionen teilen. Alexander Hasgall nimmt Bezug auf die 'internen Kämpfe in antideutschen Zirkeln', die ihm gezeigt haben, 'wem man in diesem sich israelsolidarisch anti-antisemitisch gebenden Umfeld noch trauen kann und wer da praktisch die eigene ideologische Borniertheit über das ernsthafte Eingehen stellt.' [...] Enttäuschung über das Verhalten von Personen, die 'früher mal gute Arbeiten im Bereich der Antisemitismusbekämpfung geleistet haben', äußert ebenso Levi Salomon, der insbesondere von den Diskussionen im Vorfeld der von ihm mitorganisierten interreligiösen Demonstration gegen das Beschneidungsverbot verletzt war."

    Es ist ein Umdenken erforderlich: Es gilt antisemitische und rassistische Positionen in den eigenen Selbstverständlichkeiten zu erkennen und etwas dagegen zu tun! In einer krassen und zugespitzten antisemitischen und rassistischen Situation wandten sich gerade 'Antideutsche' gegen Jüd_innen und gegen Muslim_innen und erwiesen sich als Allzudeutsche.

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  8. Clemens

    Hallo Heinz-Jürgen,
    danke für deinen eminent wichtigen und guten Text! Vieles, was unter "antideutsch" firmiert, ist es gar nicht - was sich wie du völlig richtig analysierst, am Beispiel der linken oder "antideutsch" sich imaginierenden Typen und deren Hetze gegen das Judentum und die Beschneidung (und auch gegen Muslime) vor allem seit 2012 zeigt. Die Hetze gegen die Beschneidung reichte von der FAZ bis zu Bahamas und jungle world, ganz Deutschland war geil, die Juden (und Muslime) zu denunzieren. Dazu gibt es übrigens seit Oktober 2012 (!) einen Text: http://clemensheni.net/2012/10/01/von-weimar-nach-berlin-antisemitismus-vor-auschwitz-und-im-jahr-2012/ - auch schon die Ablehnung der Analyse von Daniel J. Goldhagen durch weite Teile dieser "Antideutschen" 1996ff. war mehr als deutsch, da sie nichts von der Spezifik Deutschlands und der politischen Kultur wissen wollten und alles - alles - auf die Herrschaft von Staat und Kapital zurück führen. Das blamiert sich auf ebenso eklatante Weise bezüglich Israel, dem jüdischen STAAT - doch die "Allzudeutschen" wollen ja alle Staaten abschaffen, auch Israel, ganz am Ende (so z.B. in einem Text von Stephan Grigat vor einigen Jahren, wo er Israel unterstützt, mit der Kritischen Theorie, ABER nur solange die Welt unter der Fuchtel von Staat und Kapital lebt). Und auf diese deutsche oder österreichische Überheblichkeit können viele doch verzichten 😉 Viele scheinen die Hetze von Osten-Sacken oder Tarach oder Schmidt-Salomon (Giordano Bruno Stiftung) etc. zu tolerieren oder zu teilen, aber trauten sich (noch) nicht, das öffentlich zu tun. Aber das Versagen, öffentlich diese Agitation gegen das Judentum und die Beschneidung zu kritisieren (und das betrifft fast die gesamte pro-Israel -Blogger-Szene!!!), sprach und spricht Bände. Daher ist dein Text so wichtig, Heinz-Jürgen, Clemens

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