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Natasha Walters Buch „Living Dolls“ zu populärem biologischen Glauben

Erfrischend ist das Buch "Living Dolls: Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen" (ISBN 9783810523778, 19,95 EUR); und die Autorin Natasha Walter wendet sich darin auch Theorien des oft propagierten biologischen Determinismus zu. Sie rezipiert Metastudien, befragte eigens Wissenschaftler_innen und kommt zu dem Schluss, dass das populär vermittelte Bild deutlicher geschlechtlicher Sprachunterschiede und deutlicher Differenzen im logischen Denken wissenschaftlich nicht haltbar ist und dass selbst Hormone als Ursache ausfallen. Hier nun kurz zu den entsprechenden Betrachtungen in "Living Dolls":

Sprache: "Mark Liberman ist Phonetikprofessor und schreibt einen witzigen, geistreichen Blog namens Language Blog. Gleich nach dem Erscheinen von Brizendines Buch [in deutscher Sprache: "Das weibliche Gehirn", Anm. HV] erblickte er ein Exemplar in einem Buchladen." (S.206) Er ging den Verweisen im Buch nach und folgerte: "Ich las das Buch und prüfte die Quellenangaben. Ich war überrascht - das Buch nimmt reichlich Bezug auf wissenschaftliche Literatur, doch an den Stellen, die ich nachschlug, stützten die zitierten Quellen die umstrittenen Behauptungen des Textes kaum oder gar nicht." (Liberman, nach: Walter 2011: S.207) So erwies sich die Behauptung von Brizendine, nach der eine Frau 20.000 Wörter pro Tag, ein Mann hingegen nur 7.000 Wörter pro Tag spreche, als nicht haltbar. So untersuchte eine Forschungsgruppe um Mathias Mehl (Arizona University) die sprachlichen Äußerungen von 400 Menschen - und kam zu ganz anderen Ergebnissen, nämlich, "dass es diesbezüglich keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen gab. Frauen sprachen im Durchschnitt etwas mehr als 16.000 Wörter täglich, Männer etwas weniger, doch der Unterschied war statistisch nicht aussagekräftig." (S.207) Eine Metaanalyse, die die Ergebnisse von 165 Studien zu sprachlichen Fähigkeiten zusammenfasste, kam zu winzigen geschlechtlichen Unterschieden, hingegen zu großen innerhalb eines Geschlechts selbst: "Die Sprachfähigkeiten variieren innerhalb jedes Geschlechts in riesiger Bandbreite, doch zwischen den Geschlechtern bestand kaum ein Unterschied." (S.209)

Mathematik / logisches Denken: ..."Eine Studie in den USA untersuchte jüngst die Ergebnisse von sieben Millionen Schülern in zehn Bundesstaaten und stellte fest: 'Jetzt, wo die Anmeldungszahlen für Kurse in höherer Mathematik ausgeglichen sind, treten keine [geschlechtlichen, Anm. HV] Unterschiede in der Testleistung auf." (S.220)

Hormone: Sowohl zu Oxytocin, das aktuell für emotionales Verhalten populär als ursächlich beschrieben wird, bespricht Walter den keineswegs eindeutigen Forschungsstand, als auch für Testosteron. Hier kurz zu Testosteron in einer Studie, wiederum nach Walter: "43 gesunde Männer bekamen über zehn Wochen entweder eine hohe Dosis Testosteron oder ein Placebo verabreicht. Die Männer, welche unwissentlich das Hormon erhielten, erlebten sich nach eigenen Angaben nicht reizbarer als sonst. Laut Beurteilungen von Beobachtern, darunter Eltern und Ehefrauen, zeigten sich auch keine Veränderungen von Affektivität oder Verhalten hin zu mehr Wut oder Agressionsbereitschaft. In einer zweiten Studie dagegen erhielten die Teilnehmer ein Placebo und zusätzlich die Information, es sei Testosteron. Daraufhin berichteten die Männer von stärkerer Wut, Reizbarkeit und Impulsivität." (S.233) Der "Glaube" an Wirkung scheint also bedeutsam zu sein... Auch zur frühen Wirkung von Testosteron in der Embryonalentwicklung zeigten Studien äußerst widersprüchliche Ergebnisse - und, dass sei hier kurz erwähnt wirkt Testosteron embryonal auf alle Embryonen - sowohl auf "Mädchen", als auch auf "Jungen". Sowohl bei "Mädchen", als auch bei "Jungen" können dabei sehr hohe Testosteron-Werte wirken, keinesfalls mit den populär so gern angenommenen Auswirkungen.

Also die Lektüre von Walters Buch lohnt auch bezüglich biologischer Voreingenommenheiten. Geschlechtliche Unterschiede erweisen sich aus ihrem Blick in die Wissenschaftsliteratur und aus Ihren Befragungen von Wissenschaftler_innen nicht als biologisch determiniert (vorgegeben), sondern als Resultat gesellschaftlicher Behandlung. Die Aussagen sind jeweils mit Quellen belegt - und es sei angeregt, auch einen Blick in diese zu werfen.

Als - populär aufgearbeiteter - umfassender reflektierender Blick auf Forschungen zu Geschlechterdifferenzen und -gleichheiten bzgl. des Gehirns und der Gehirnleistung zu empfehlen ist das von Neurowissenschaftlerinnen herausgegebene Buch: "Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken und Männer ihnen Recht geben. Über Schwächen, die gar keine sind" (ISBN 3423344008; gebraucht ab 4 EUR).

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