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Wenn es im Labor einmal nicht mehr weiter geht, kommen Wissenschaftler/innen auf zunächst abwegig erscheinende Ideen. Zugleich wird durch solche Ideen deutlich, wie Wissenschaft funktioniert, wie Ideen in wissenschaftliche Fachsprache gekleidet werden können und so auf Resonanz stoßen, - und das gilt duchaus auch für zunächst 'ernsthaft' erscheinende Wissenschaft.

Hier gehts zu einem Artikel von 'Spiegel-Online', aus dem auch andere Beispiele deutlich werden, in denen 'Erkenntnisse' kreiiert wurden:

http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,618218,00.html

Etwas kritische und ironische Distanz zu Wissenschaft und deren 'Erkenntnissen' hilft weiter.

Petra Lucht, Tanja Paulitz (Hrsg.):
Recodierungen des Wissens.
Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaften und Technik.
Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2008.
ISBN 978-3593386010

Nach mehreren Jahrzehnten intensiven Forschens zur Vergeschlechtlichung von Technik(entwicklung und -nutzung) und von Naturwissenschaften sind Bestandsaufnahmen unerlässlich, um Perspektiven und Handlungsnotwendigkeiten auszuloten. Mit diesem Band werden sehr gute Artikel zu Spezialgebieten vorgelegt, die einen Einstieg in eine geschlechtersensible Technik- und Naturwissenschaftskritik ermöglichen und die gleichzeitig wegbereitend für zukünftige Forschungsprojekte in Einzeldisziplinen sind. Allerdings zielt der Untertitel am Inhalt des Bandes vorbei, da eine Bestandsaufnahme (im Sinne einer Überblicksbewertung) nicht erfolgt.

U.a. darin:
Palm, Kerstin: Das Geschäft der Pflanze ist dem Weib übertragen ... die Pflanze selbst hat aber kein Leben - Zur vergeschlechtlichten Stufenordnung des Lebens im ausgehenden 18. Jahrhundert. S.197-211.

Mauss, Bärbel: Ursprung und Geschlecht - Paradoxien in der Konzeption von Geschlecht in Erzählungen der Molekularbiologie. S.213-229.

Vollständige Rezension auf Querelles-net.

Michael Groneberg, Kathrin Zehnder (Hrsg.):
„Intersex“: Geschlechtsanpassung zum Wohl des Kindes? Erfahrungen und Analysen.
Fribourg: Academic Press Fribourg 2008.
ISBN 978-3-7278-1506-5

Wissenschaftler/-innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und mit unterschiedlichen Ansichten zum Umgang mit intersexuellen Menschen kommen zu Wort – in diesem Sinne ist der Sammelband sehr heterogen. Es werden Erfahrungen mit Geschlechtsanpassung dargestellt, Begrifflichkeiten analysiert und Probleme bei der Therapie und in der Forschung erörtert. Vorangestellt, aber erfreulicherweise nicht abgetrennt, äußern sich Betroffene. Bereits wegen der sich im Abschluss des Bandes befindlichen Handlungsempfehlungen zur Behandlung von Säuglingen und Kindern mit ‚abweichenden‘ bzw. ‚uneindeutigen‘ Geschlechtsmerkmalen, die sich insbesondere an Eltern, Mediziner/-innen und Sozialpädagog/-innen wenden, ist das Buch unbedingt empfehlenswert.

Vollständige Rezension auf Querelles-net.

Coffey et al.
queer leben – queer labeln? (Wissenschafts-)kritische Kopfmassagen.
Freiburg: fwpf-Verlag, 2008.
ISBN: 978-3-939348-14-6

Aus der Buchbeschreibung:

Queer lebt sich! Voll im Trend scheint die quirlig-queere Szene, die sich Geschlechter aneignet wie den neuesten Schick. Alles Jacke wie Hose? Oder steckt hinter dem Label von queer ein queerender Protest, der über die reine Austauschbarkeit geschlechtlicher und somit gesellschaftlicher Kategorien hinausweist? Diesen und anderen Fragen geht der vorliegende Band nach und versucht das Queerende aus verschiedenen Kontexten heraus zu filtrieren und in sie hinein zu denken sowie nach möglichen Handlungsalternativen zu suchen. Denn das Private ist schon längst politisch, nur muss es auch wieder einmal gesagt sein dürfen. Daher wird nicht nur wild wissenschaftlich gestikuliert, sondern kritisch politisiert. Im Fokus stehen entgegen einem ausschließlich wissenschaftlichen Mehrwert die Lebenspraxen und Verhandlungsräume einer sich nicht-heteronormativ gestaltenden (Sub-)Kultur.

U.a. darin: Voß, Heinz-Jürgen: Wie für Dich gemacht: die gesellschaftliche Herstellung biologischen Geschlechts. (S.153-167)

Christiane Völling war mit einer Klage vor dem Kölner Landgericht erfolgreich. Sie hatte eine (männlich sozialisierte) Chirurgin* auf Schmerzensgeld verklagt, die ihr vor 30 Jahren innere, als geschlechtlich betrachtete Merkmale entfernt hatte. Das Gericht sprach ihr am 6. Februar 2008 ein Anrecht auf Schmerzensgeld zu, dessen Höhe in einem weiteren Prozess zu verhandeln sei. Als Begründung für die Entscheidung führte das Gericht an, dass Völling durch die Medizinerinnen nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Weiterlesen » » » »

Viele von uns sind es gewohnt ganz selbstverständlich banal, binär zu denken. Wir unterscheiden gut und böse, schwarz und weiß, Natur und Kultur, Mann und Frau. Erst im nächstem Atemzug und auf Ansprache sind wir in der Lage unsere Unterteilungen an Hand ausgewählter Merkmale zu begründen und ggf. auch Schattierungen und Abweichungen aufzuzeigen. Wenden wir uns hier der Dichotomie ‚Männer’ und ‚Frauen’ etwas genauer zu. Weiterlesen » » » »

„Es ist, als müßte um jeden Preis ein Fehltritt vermieden werden; am besten bewahrt uns vor einem solchen Fehltritt eine sexuelle Differenzierung, die auf den ersten Blick erkennen läßt, ob ein bestimmtes Individuum zu der Gruppe möglicher Sexualobjekte gehört oder nicht.“
(A. G. Düttmann, nach: Hirschauer, 1999 S.62)

Insbesondere die Frauenbewegungen aber auch Erkenntnisse anschließend an die „Bisexualitäts-Theorie“ haben Geschlecht als kulturell konstruiert ausgewiesen und breit in biologische Forschungen und medizinische Behandlungen Eingang halten lassen. Jeder Mensch sei Mann und Frau, trage Eigenschaften von beiden Geschlechtern in sich, die sich später durch Sozialisationsprozesse mehr oder weniger eingeschlechtlich ausformen würden (Bisexualitäts-Theorie). Diese Vorannahme fand in medizinischen Programmen zur Behandlung von Menschen mit „uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen“ Umsetzung, wobei – wie bei allen Kindern – zunächst über Klitoris/Penislänge bestimmt wird, ob es sich um einen ‚Jungen’ oder ein ‚Mädchen’ handele. Weiterlesen » » » »

Freikamp et al.
Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik (Texte 42).
Berlin: Karl Dietz Verlag, 2008.
ISBN 978-3-320-02136-8

Aus der Einleitung:

Mit der Kritischen Diskursanalyse, der Kritischen Psychologie und der Kritischen Theorie gibt es Wissenschaftskonzeptionen, die sich in ihrer Grundanlage als explizit gesellschaftskritisch begreifen. Gerade die beiden erstgenannten sind im engeren Sinne Methodenprogramme, die das kritische Selbstverständnis einlösen sollen. Diesen Anspruch nahm der HerausgeberInnenkreis zum Anlass, in einem Sammelband das Verhältnis von (sozialwissenschaftlichen) Methoden und Gesellschaftskritik zu beleuchten. Viele Fragen stellten sich, zu deren Beantwortung der vorliegende Band einen ersten Schritt gehen möchte. Welche Methoden erheben explizit den Anspruch kritisch zu sein und worin begründet sich dieser? Gibt es Methoden, die, auch ohne diesen Anspruch zu erheben, über ein besonderes kritisches Potenzial verfügen? Welche Kritikbegriffe liegen diesen zugrunde? Von welchem Standpunkt kritisiert die KritikerIn?

U.a. darin: Voß, Heinz-Jürgen: Feministische Wissenschaftskritik am Beispiel der Naturwissenschaft Biologie. (S.233-252)

Torsten Junge, Imke Schmincke (Hg.):
Marginalisierte Körper. Beiträge zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers.
Münster: Unrast-Verlag 2007.
ISBN 978-3-89771-460-1

Für Arbeitsprozesse werden Körper normiert, um sie bestmöglich und gewinnbringend verwerten zu können. Sie sollen funktionieren – tun sie es nicht, stehen sie am Rand. Aber auch im Konsum- und Freizeitbereich werden Normen gesetzt – nicht von einer "repressiven Macht", sondern durch die Mitwirkung aller Beteiligten. Ausgehend von einer insbesondere Foucault'schen Perspektive setzen die Beiträge des Sammelbandes einige an den Rand gedrängte Körper ins Licht. Mit welchen körperlichen Merkmalen wird man an den Rand gedrängt? Welche körperlichen Merkmale werden darüber hinaus eigens erdacht, um antisemitische, rassistische, sexistische Ausschlüsse zu vollziehen? Dieses Buch bietet lesenswerte historische und aktuelle Einblicke an; geschrieben sind sie zumeist von lange an entsprechenden Thematiken arbeitenden Wissenschaftler/-innen, von deren Arbeiten die Lesende hier knapp gefasst partizipieren kann.

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Bettina Bock von Wülfingen
Genetisierung der Zeugung. Eine Diskurs- und Metaphernanalyse reproduktionsgenetischer Zukünfte.
Bielefeld: transcript 2007.
ISBN 978-3-89942-579-6

Intensive Auseinandersetzungen werden um Reproduktions- und Gentechnologien geführt. Für viele Menschen ist dabei ganz klar, ob sie eine befürwortende oder ablehnende Haltung dazu einnehmen. Menschen, die sich Kinder (mit eigenen Genen) wünschen, allerdings nicht in der Lage sind, diese – allein oder mit ihren Partner/-innen – zu bekommen, finden in der bundesdeutschen Debatte um Reproduktions- und Gentechnologien bislang kaum Gehör (S. 237-241). Gerade an diese wenden sich in Populärmedien 'Expert/-innen', die Reproduktions- und Gentechnologien befürworten. Sie versprechen, den Wunsch nach einem Kind (mit eigenen Genen) zu erfüllen. Als Vorteile von Reproduktions- und Gentechnologien werden nicht in erster Linie der Schutz vor Erbkrankheiten, sondern die Ermöglichung von Gesundheit und die Wahl von Merkmalen in den Vordergrund gestellt. Die Selbstbestimmung des Individuums (durch Überwindung von Unzulänglichkeiten der 'Natur') wird als möglich dargestellt (S. 107). Bock von Wülfingen analysierte Beiträge von Reproduktions- und Gentechnologien befürwortenden und in diesen Bereichen tätigen 'Expert/-innen' in deutschsprachigen Populärmedien aus dem Zeitraum von 1995 bis 2003. Diese unterzog sie einer Diskurs- und Metaphernanalyse und bekam durch ihren Fokus auf die Befürwortung von Reproduktions- und Gentechnologien sich zuspitzende Erwartungshaltungen in den Blick. Interessant ist Bock von Wülfingens Arbeit für all diejenigen, die den Horizont bisheriger Debatten um Reproduktions- und Gentechnologien erweitern möchten.

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