Sprache prägt. Wir wissen alle, wie wichtig sie ist, wenn wir – aus der Wissenschaft – über wissenschaftliche Themen mit Interessierten außerhalb der Akademie in Kontakt sind. Dann versuchen wir die Verwendung wissenschaftlicher Fachsprache auf das absolut Erforderliche zu reduzieren, erklärende Sätze einzufügen, um in breiten Austausch treten zu können – und ggf. sogar Ansätze für unsere weitergehenden Forschungen zu erhalten.
Auch wenn wir auf Handlungsfelder sehen, ist die Verwendung unterschiedlicher (Fach-)Sprache augenfällig. In der Physik und Mathematik lassen sich Sachverhalte oft am präzisesten über Formeln ausdrücken, Ingenieurskunst baut auf Berechnungen, Schalt- und Konstruktionsplänen auf. Ohne solche Pläne wäre eine wirksame Kommunikation schwer möglich, gleichzeitig sind stetig Strategien erforderlich, um die fachwissenschaftlichen Darstellungen zu übersetzen – zum Beispiel um politische Entscheidungsträger*innen für die Förderung zu gewinnen oder um Akzeptanz in der Bevölkerung für eine Neuentwicklung zu erzeugen. Soziale Arbeit ist hier nicht freier, sondern ihre Arbeit setzt konkret am Menschen an. Fachwissenschaftliche Debatten mit ihren Spezialbegriffen, die sich etwa mit der Entwicklung eines professionellen Vertrauens und seiner Abgrenzung zu vertrauensvollen familiären und Peer-to-Peer-Beziehungen befassen, sind nach außen schwer nachvollziehbar. Gleichzeitig ist die Soziale Arbeit in besonderer Weise auf die konkrete Arbeit mit Menschen – Adressat*innen, Klient*innen – gerichtet, woraus sich noch mehr als bei Ingenieur*innen die Notwendigkeit ergibt, von den jeweiligen Zielgruppen verstanden zu werden, um von Ratsuchenden überhaupt als hilfreich wahrgenommen werden zu können. Entsprechend besteht in der Gestaltung von Kommunikationsprozessen zwischen Fachlichkeit auf der einen Seite und allgemeiner Verständlichkeit auf der anderen im Feld der Sozialen Arbeit besondere Expertise.
Das gilt auch für Geschlecht. Ein Beispiel: Bei der Beratung einer trans* Person – trans* bezieht sich darauf, dass eine Person sich nicht in dem Geschlecht erlebt, das ihr bei der Geburt zugewiesen und in dem sie aufgezogen wurde – ist es wichtig, sie in dem Geschlecht wahr- und ernstzunehmen, in dem sie sich erlebt. Ihre Selbstbeschreibung ist wichtig. Soziale Arbeit, die nicht die von der trans* Person als passend erlebten Pronomen verwendet, kann von ihr in der konkreten Beratungssituation als diskriminierend wahrgenommen werden – und schließlich ihren Auftrag nicht erfüllen.
Genau und empathisch sein, ermöglicht es hier der Sozialen Arbeit erst, der ratsuchenden Person tatsächlich Unterstützung zukommen zu lassen. Und das ist auch der eigentliche Zweck geschlechterreflektierter Sprache bzw. genderreflektierter Sprache: Sie erreicht vor allem eine größere Eindeutigkeit, so dass eine Situation möglichst so beschrieben werden kann, wie sie sich abgespielt hat. Auch hier ein Beispiel, nachzulesen in der auch online verfügbaren Broschüre ÜberzeuGENDERe Sprache: Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache der Universität Köln:
„Ein Vater fuhr mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglückten. Der Vater starb an der Unfallstelle. Der Sohn wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und musste operiert werden. Ein Arzt eilte in den OP, trat an den Operationstisch heran, auf dem der Junge lag, wurde kreidebleich und sagte: ‚Ich bin nicht im Stande zu operieren. Dies ist mein Sohn.‘“ (Universität Köln 2013)
Durch die ungenaue Verwendung von Geschlechtsbezeichnungen bleibt die Situation zumindest in Bezug auf die beteiligten Personen unklar. Hat das Kind zwei Väter, zum Beispiel einen leiblichen und einen neuer hinzugekommenen (Stief-)Vater? Oder hat das Kind ohnehin zwei Väter – in einer gleichgeschlechtlichen oder Patchwork-Familie? Oder wird eine traditionelle Familienkonstellation mit einem weiblichen und einem männlichen Elternteil beschrieben und kommt entsprechend eigentlich eine Ärztin in den OP?
Die vermeintlich neutralen generischen Maskulina bzw. androgendernden Maskulina – im Beispiel: Arzt – „sind einerseits scheinbar neutral und andererseits zugleich männlich assoziiert. Im Ergebnis ist dann häufig unklar, ob es sich um eine generische oder eine spezifische Personenbezeichnung handelt.“ (Ebd.) Geschlechterreflektierte Sprache hat hier den Vorteil, dass sie mehr Klarheit in die Situation bringt. Gleichzeitig erfüllt sie weitere Funktionen: Repräsentation – es werden alle angesprochen und die anwesenden bzw. gemeinten Geschlechter adäquat repräsentiert. Damit wird ein Beitrag gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung entlang der wichtigen gesellschaftlichen Ordnungskategorie Geschlecht geleistet.
Konkret an Sprache anzusetzen ist auch daher wichtig, weil die verwendeten Sprachformen entscheidend dafür sind, was wir uns vorstellen. Bezogen auf die deutsche Sprache ermittelten etwa Stahlberg / Sczesny (2001):
„Über alle Experimente hinweg zeigte sich, daß bei Personenreferenzen im generischen Maskulinum ein geringerer gedanklicher Einbezug von Frauen zu beobachten war als bei alternativen Sprachformen.“
Das bedeutet, dass die populär verbreitete Vorstellung, dass Frauen ja „mitgemeint“ seien, eben nicht zutrifft, sondern dass die Verwendung von Begriffen wie „Nutzer“ oder „Student“ mit sich bringt, dass sich Menschen unter der Bezeichnung eher nur Männer vorstellen. Damit auch Frauen sichtbar werden, benötigen wir eine geschlechterreflektierte Variante. Dieselben Studien zeigen dabei auch, dass Sprachänderungen, die wenig irritieren, die Vorstellung nicht verändern: So stellten sich die Befragten auch bei der Form „Studierende“ insbesondere Männer vor; Änderungen ergaben sich erst mit Wendungen wie „StudentInnen“ bzw. „Studentinnen und Studenten“.
Was bei genauerer Betrachtung deutlich wird, ist, dass Sprache eine Handlung ist, konkrete Menschen kommunizieren miteinander. Sie ist keine kulturhistorische Konstante, die es einfach zu bewahren gelte. Dem trägt auch die Duden-Redaktion Rechnung, so dass stetig Veränderungen in der Sprachverwendung berücksichtigt werden. In diesem Sinne sollte Sprache auch so „nüchtern“ betrachtet werden und die Tauglichkeit für Aushandlungen im Zentrum stehen. Wenn sich eine Gesellschaft entscheidet, Diskriminierungen abzubauen und zum Beispiel die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern, dann wird sich das auch sprachlich niederschlagen. Dabei gilt es auch im Blick zu haben, für welche Personen eine sprachliche Änderung als „nicht ökonomisch“ „zu feministisch“, „zu umständlich“ erscheinen und für welche Personen reflektierte Sprache (überlebens-)wichtig sein könnte. Wie kann Sprache so entwickelt werden, dass sie Menschen einschließt und nicht ausschließt oder nur „mitmeint“?
Zum Weiterlesen:
Hornscheidt, Lann (2018): Sprachgewalt erkennen und sprachhandelnd verändern. Berlin: SuKultur.
Stahlberg, Dagmar & Sczesny, Sabine (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52: S. 131-140. DOI: 10.1026//0033-3042.52.3.131.
Universität Köln (2013): ÜberzeuGENDERe Sprache: Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache. Online: http://www.landesfrauenrat-sachsen-anhalt.de/files/sprache.pdf (Zugriff: 5.3.2019).
Von Heinz-Jürgen Voß
Zuerst erschienen im HoMe-Magazin (Nr. 21, 2019) der Hochschule Merseburg.