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Sehr gern weise ich darauf hin, dass nun die 4. Auflage von "Geschlecht: Wider die Natürlichkeit" erschienen ist. NEU dabei sind gründliche Ausführungen zum Begriff "Gender Ideologie", die ich in der wissenschaftlichen Dimension - anschließend an Louis Althusser - darstelle. Vielleicht ist es so möglich, etwas mehr Reflexion in die Debatte zu bringen. Kurz angerissen, aus dem Buch:

«Es ist nur allzu bekannt, dass der Vorwurf, man befinde sich in der Ideologie, immer nur den anderen gegenüber gemacht wird, nie sich selbst gegenüber», schrieb der Philosoph Louis Althusser in seinem Essay «Ideologie und ideologische Staatsapparate» (frz. 1970, dt. 1971). Es «glauben sich [gerade] diejenigen, die sich in der Ideologie befinden, […] außerhalb der Ideologie» (ebd.). Erst ein wissenschaftlicher Zugang ermögliche es partiell, einen Blick von außen auf Ideologie zu gewinnen. Wobei auch dieser Blick beschränkt sein kann (und oft beschränkt sein wird), weil Ideologie auch Wissenschaften durchzieht. Althusser wirft einen kritischen Blick auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche, in denen Ideologie – die er als unhinterfragtes Tun versteht – die primäre Form darstelle, die Menschen zu regieren, während repressive Formen sekundär blieben. So «‹dressieren› die Schule und die Kirchen [zwar repressiv] mit den entsprechenden Methoden der Strafe, des Ausschlusses, der Auswahl usw.» (ebd.), werden die Kinder dort aber im Wesentlichen nicht-repressiv in die ideologische Struktur der Gesellschaft eingebunden. Sie werden in Schule, Kirchen etc. zu Subjekten geformt und mittels Ideologie regierbar gemacht.

Heute ist es aber auch erfreulich, festhalten zu können - und ich zitiere die ersten Absätze aus dem Vorwort der 4. Auflage:

Seit der ersten Auflage von «Geschlecht: Wider die Natürlichkeit» Anfang 2011 ist gesellschaftlich einiges geschehen. Die in diesem Buch dargelegten Erkenntnisse biologischer Theoriebildung gehören mittlerweile zum Standardrepertoire wissenschaftlicher Reflexionen über «Geschlecht» und spezifisch über «biologisches Geschlecht». [...]

Immer deutlicher wird dabei, dass Geschlecht und Geschlechterverhältnisse im Kontext und verwoben mit Rassismus und dem Kapitalverhältnis betrachtete werden müssen. Das Buch «Geschlecht: Wider die Natürlichkeit» macht diese Verbindungslinien bereits seit der Erstauflage deutlich, indem die Betrachtungen zu «Geschlecht» aus einem «materialistischen», einem marxistischen Grundverständnis heraus entwickelt und die konkreten Lebenssituationen von Menschen in einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft aufgezeigt werden. Der Band «Queer und (Anti-)Kapitalismus», den Salih Alexander Wolter und ich 2013 gemeinsam verfasst haben, schließt hieran an und zeigt auf, wie (und warum) in der «modernen», bürgerlichen gesellschaftlichen Ordnung Menschen kategorisiert werden und welche Rolle dabei Argumente der «Natürlichkeit» spielen. Indem man die Kategorien / Herrschaftsverhältnisse «Rasse», Klasse und Geschlecht in ihrer Verwobenheit betrachtet, werden neue Einsichten möglich.

Vielen Dank für eure und Ihre Unterstützung bei diesem Prozess, die gesellschaftliche Reflexion über Geschlecht in der Gesellschaft zu befördern! Wer zur Neuauflage ein Rezensionsexemplar möchte, kann gern an den Verlag oder gern auch an mich (voss_heinz@yahoo.de) schreiben.

Voß, Heinz-Jürgen:
Geschlecht: Wider die Natürlichkeit
4. Auflage 2018
Stuttgart: Schmetterling-Verlag
Informationen: hier, beim Verlag
Erschienene Rezensionen: hier

Heinz-Jürgen Voß

Nun zum Download: Das Buch "Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive" ist jetzt als OPEN-ACCESS verfügbar. Es kann z.B. hier als PDF-Datei heruntergeladen werden: Making Sex Revisited (Volltext) (DOI: https://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/461573 )

Ich finde es insgesamt wichtig, dass wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst breit für alle verfügbar sind. Bei "Making Sex Revisited" freut es mich umso mehr, weil einige, die meine Arbeit anhand von kurzen Interviews diskutierten, keine Gelegenheit hatten, in eine der zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Arbeiten zu sehen. Über Rückmeldungen zum Buch freue ich mich sehr! Eine Übersicht über die erschienenen Rezensionen zu "Making Sex Revisited" findet sich übrigens hier: Rezensions-Übersicht. (Darüber hinaus ist als wissenschaftlicher Einstieg auch weiterhin "Geschlecht: Wider die Natürlichkeit" empfohlen.)

Weitere Arbeiten schließen an "Making Sex Revisited" an - gerade mit Blick auf die Verschränkung von Herrschaftsverhältnissen. "Queer und (Anti-)Kapitalismus" (gemeinsam mit Salih Alexander Wolter) und "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" (gemeinsam mit Zülfukar Çetin) sind für die Lektüre im Anschluss besonders zu empfehlen.

Viel Freude beim Lesen!

Im Talheimer Verlag gibt es die schöne Reihe nut e.V., in der seit Beginn der 1990er Jahre eine ganze Zahl sehr guter Arbeiten zu feministischen Perspektiven in Naturwissenschaft und Technik erschienen sind. Nun sind alle Bände wieder erhältlich - und sehr zu empfehlen! Hier gibt es eine Übersicht über die Bände. Darunter sind unter anderem und für die Themen dieses Blogs besonders interessant:

Band 09: Die Fortpflanzung der Geschlechterverhältnisse: Das metaphorische Feld der Parthenogenese in der Evolutionsbiologie

  • von Kirsten Smilla Ebeling
  • 368 Seiten, br., 19,50 €
  • aus dem Vorwort: "Die vorliegende Arbeit ist einem Thema der biologischen Forschung gewidmet, das erst auf den zweiten Blick seine Brisanz und Aktualität offenbart. ‚Parthenogenese‘, wörtlich übersetzt ‚Jungferngeburt‘, ist ein Spezialbegriff der Zoologie. Er kennzeichnet eine Fortpflanzungsart, die in den Lehrbüchern der Biologie als Sonderform, als Randphänomen der ‚normalen‘ und evolutionsbiologisch angeblich ‚vorteilhafteren‘ zweigeschlechtlichen Fortpflanzung erscheint. In ihrer Arbeit zeigt Smilla Ebeling, dass diese ‚Randposition‘ der Parthenogenese weniger ihrem seltenen Vorkommen – das bei genauerem Hinsehen aber gar nicht so marginal ist –, als vielmehr der Überlagerung biologischer Diskurse mit den durch ein zweigeschlechtliches Gender-Dispositiv hervorgerufenen Stereotypen und Denkbildern geschuldet ist."
  • Link zum Buch beim Verlag

Band 11: Das Geschlecht der Biologie

  • hg. von Bärbel Mauß, Barbara Petersen
  • 144 Seiten, br., 15.00 €
  • Aus der Beschreibung: "Im Mittelpunkt des vorliegenden Sammelbandes stehen drei zentrale Fragenfelder der feministischen Biologieforschung: Wie strukturiert die Kategorie Geschlecht biologische Forschung? Wie entwirft die Biologie als Wissenschaft die Kategorie Geschlecht? Wie ist das Verhältnis zwischen Biologie und der Kategorie Geschlecht? Auf diese Fragen geben Fachwissenschaftlerinnen in der Tradition der deutschsprachigen feministischen Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften, Technik und Medizin Antworten. ..."
  • Link zum Band beim Verlag

Band 12: Naturwissenschaften und Gender in der Hochschule - Aktuelle Forschung und erfolgreiche Umsetzung in der Lehre

  • hg. von Helene Götschel, Doris Niemeyer
  • 192 Seiten, br., 20,00 €
  • Aus der Beschreibung: "Hochschule und Wissenschaft sind, wie alle gesellschaftlichen Institutionen und Bereiche, tiefgreifend durch das (soziale) Geschlecht – oder Gender – strukturiert. Frauenforschung und Geschlechter- oder Genderforschung, also Forschung mit Reflexion auf Gender, untersuchen die Konstruktionen dieser Strukturen, vor allem die soziokulturellen Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie ihres Verhältnisses zueinander. Die Analysen verweisen meist auf strukturelle Ungleichheitslagen, auf historisch und kulturell determinierte Herrschaftsformen, auf hierarchische Geschlechterverhältnisse in Hochschulen und Gesellschaft wie auch auf androzentrische Wissenschaftskonzepte. Diese Ungleichheitslagen reproduzieren sich zudem aufgrund der herrschenden Strukturen. Somit ist das Forschungsinteresse der Geschlechterforschung oft mit dem Impuls zu Veränderungen verbunden und hat gesellschaftlich, hochschulpolitisch und wissenschaftlich relevante Innovationen zur Folge." (Doris Niemeyer)
  • Link zum Band beim Verlag

Hier finden sich weitere Literatur- und Videoempfehlungen zu Geschlecht und Biologie.

[Die nachfolgende Liste wird kontinuierlich erweitert - letzte Aktualisierung: 9.8.2018.]

Literaturliste: Geschlecht und Biologie - aktuelle Forschung

Im Folgenden findet sich ein Überblick über Forschungen zu Geschlecht und Biologie, der stetig erweitert wird. Dabei werden insbesondere Beiträge aus der Neurobiologie, der Genetik, der Epigenetik, der Hormonforschung und der Evolutionsbiologie aufgenommen; berücksichtigt sind einerseits deutschsprachige Arbeiten (die einen Zugang ermöglichen sollen), andererseits besonders wegweisende deutsch- und englischsprachige Publikationen. Berücksichtigt sind Videos, online verfügbare Artikel und Hinweise auf Bücher.

Gute Filme, um Diskussionen zu eröffnen:

Homoelektrik, Leipzig (2009): "Doktorspiele" - oder: Welches Geschlecht hat Mutti Natur? zum Film

Maria Helena (2011): "Stimme X/Y" - oder: – Wenn die Stimme irritiert. Film mit Tino (Valentin). zum Film

Voß, H.-J. (2011): "Zur gesellschaftlichen Konstruktion von biologischem Geschlecht", gehalten in Gießen. zum Film

Vorträge zum Anhören:

Palm, K. (2009): Die Natur der Schönheit. (Kritische Betrachtungen zur evolutionstheoretische Attraktivitätsforschung) Zum Vortrag

Palm, K. (2009): Was kann die biologische Forschung über Geschlechterunterschiede aussagen? Zum Vortrag

Voß, H.-J. (2010): Das Geschlecht der Gleichen. Entsprechungen und Gleichheit von Mann und Frau in biologischen Geschlechtertheorien. Zum Vortrag

Butler, J. (2011): Gender Performance. (Butler erläutert u.a. den Unterschied zwischen "...Gender is performed..." und "...Gender is performative...") Video hier online.

(Etwas anderes Thema: Voß, H.-J. (2011): Queer und Kapitalimsuskritik (bzw. Geschlecht und kapitalistische Produktionsweise). Zum Vortrag - dort unter 2.)

Zur populären Annäherung:

Bahnsen, U. (2008): Erbgut in Auflösung: Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Menschen, der zu Beginn unseres Lebens festgelegt wird. Von dieser Idee muss sich die Wissenschaft verabschieden. In Wirklichkeit sind unsere Erbanlagen in ständigem Wandel begriffen. ZEIT Online

Jordan, Kirsten, Quaiser-Pohl, Claudia. Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken und Männer ihnen Recht geben. Über Schwächen, die gar keine sind. DtV 2007.

Schmitz, S. (2006): »Niemand weiß, ob eine Frau oder ein Mann das Werkzeug erfunden hat« ZEIT Online

Zur wissenschaftlichen Annäherung:

Online:

Butler, Judith. Doing Justice to Someone - Sex Reassignment and Allegories of Transsexuality. GLQ, 7 (2001), 4, 621-636 (In deutscher Übersetzung: Butler, Judith. Jemandem gerecht werden – Geschlechtsangleichung und Allegorien der Transsexualität. Das Argument, 242 (2002)
Online: http://www.linksnet.de/de/artikel/18051 ).

Klinge, I., Wiesemann, C. (2010): Sex and Gender in Biomedicine : Theories, Methodologies, Results. Universitätsverlag, Göttingen. (als Volltext Online)

Mauss, B. (2001): Zur Neuerfindung des biologischen Geschlechtes in
molekulargenetischer Forschung am Ende des 20. Jahrhunderts. Online.

Fausto-Sterling, Anne: The Five Sexes – Why Male and Female Are Not Enough. The Sciences, March/April 1993, S.19-25.

Fausto-Sterling, Anne: The Five Sexes, Revisited – The Varieties of Sex Will Test Medical Values and Social Norms. The Sciences, July/August 2000, S.17-23.

Palm, K. (2012): Kontextualisierte Epigenetik. GID 212 (Juni 2012): 33-35.

Palm, K. (2015). Gehirnforschung. In  Gender Glossar / Gender Glossary (3 Absätze). Verfügbar unter http://gender-glossar.de.

Schmitz, Sigrid: Wie kommt das Geschlecht ins Gehirn? Über den Geschlechterdeterminismus in der Hirnforschung und Ansätze zu seiner Dekonstruktion. Forum Wissenschaft, 4 (2004).
Online: http://www.linksnet.de/de/artikel/19193

Taylor, T. J. (1992): Twin Studies of Homosexuality. Dissertation, Trinity College Cambridge. (Online) (Zwillingsstudien mit Fragen zu Homosexualität werden kritisch betrachtet und in der Heterogenität ihrer Ergebnisse vorgestellt.)

Voß, H.-J. (2008): Feministische Wissenschaftskritik am Beispiel der Naturwissenschaft Biologie. In: Freikamp, U., Leanza, M., Mende, J., Müller, S., Ullrich, P., Voß, H.-J. (Hrsg.): Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik (Texte 42). Karl Dietz Verlag, Berlin, S.233-252.
Online: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Texte-42.pdf

Voß, Heinz-Jürgen (2009): Angeboren oder entwickelt? Zur Biologie der GEschlechtsbestimmung. GID Spezial, 9: S.13-20. (Hier mit freundlicher Einwilligung der Redaktion als Volltext online.)

Voß, Heinz-Jürgen (2010): Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. OPEN-ACCESS, df-Datei.

Voss, H.-J. (2011): Sex In The Making - A Biological Approach. Online, pdf.

Voß, H.-J. (2011): „Weiblichmännlich“, „männlichweiblich“ – bisexuelle Konstitution als Basis „moderner“ biologisch-medizinischer Geschlechtertheorien. In: Schneider, Martin / Diehl, Marc (Hrsg., 2011): Gender, Queer und Fetisch: Konstruktion von Identität und Begehren. Männerschwarm, Hamburg, S.11-29. Online.

Voß, H.-J. (2013): Epigenetik und Homosexualität. Dasendedessex, 11/2013. Online.

Gedruckt:

1-0-1 [one 'o one] (Hg.). Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung. Berlin. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 2005.

Birke, L. (1986): Women, Feminism and Biology – the Feminist Challenge, Brighton.

Birke, L., Hubbard, R. (Hrsg., 1995): Reinventing Biology – Respect for Life and the Creation of Knowledge, Bloomington.

Bleier, R. (1984): Science and Gender – A Critique of Biology and Its Theories on Women, New York.

Burren, Susanne, Rieder, Katrin. Organismus und Geschlecht in der genetischen Forschung. Eine wissenssoziologische Studie. Bern. Institut für Soziologie 2003 (Erstaufl. 2000).

Butler, Judith. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main. Suhrkamp 1991 (engl. 1990).

Butler, Judith. Körper von Gewicht. Frankfurt/Main. Suhrkamp 1997 (engl. 1993).

Degele, N., Schmitz, S., Mangelsdorf, M., Gramespacher, E. (2010): Gendered Bodies in Motion. Budrich Verlag, Opladen.

Ebeling, Kirsten Smilla. Die Fortpflanzung der Geschlechterverhältnisse. Das metaphorische Feld der Parthenogenese in der Evolutionsbiologie. NUT-Schriftenreihe Band 9. Mössingen-Thalheim. Talheimer Verlag 2002. (hier bestellbar)

Ebeling, Kirsten Smilla, Schmitz, Sigrid (Hrsg.): Geschlechterforschung und Naturwissenschaften – Einführung in ein komplexes Wechselspiel. Wiesbaden. VS Verlag 2006.

Fausto-Sterling, Anne. Gefangene des Geschlechts? Was biologische Theorien über Mann und Frau sagen. München, Zürich. Piper 1988 (engl. 1985).

Fausto-Sterling, A.: Sexing the Body – Gender Politics and the Construction of Sexuality. New York 2000.

Haraway, D. (1995 [engl. 1984]): Die Neuerfindung der Natur – Primaten, Cyborgs und Frauen. Campus, Frankfurt M./New York.

Harding, S. (1994 [engl. 1991]): Das Geschlecht des Wissens. Campus, Frankfurt M./New York.

Hirschauer, S.: Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 46 (1994), 4, 668-692.

Hund, W. D. (2008): Ein Traum der Vernunft - Das weiße Eutopia des James Watson. Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 11/2008. Online

Jordan-Young, R. (2011): Brain Storm: The Flaws in the Science of Sex Differences. Harvard UP.

Keller, E. F. (1997 [Erstaufl. 1983]): A Feeling for the Organism – The Life and Work of Barbara McClintock. New York.

Keller, E. F. (2001 [engl. 2000]): Das Jahrhundert des Gens. Campus, Frankfurt M./New York.

Klinge, I., Wiesemann, C. (2010): Sex and Gender in Biomedicine : Theories, Methodologies, Results. Universitätsverlag, Göttingen. (als Volltext Online)

Mauss, B. (2001): Die kulturelle Bedingtheit genetischer Konzepte. Das Beispiel Genomic Imprinting. Das Argument, 43 (242): S.584-592.

Mauss, B. (2004): Genomic Imprinting im Kontext feministischer Kritik. In: Schmitz, S., Schinzel, B. (Hrsg.): Grenzgänge. Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaften. Helmer, Königstein, S.149-163.

Mauss, Bärbel, Petersen, Barbara (Hg.): Das Geschlecht der Biologie. NUT-Schriftenreihe Band 11. Mössingen-Thalheim. Talheimer Verlag 2006. (hier bestellbar)

Mauss, B. (2008): Ursprung und Geschlecht: Paradoxien in der Konzeption von Geschlecht in Erzählungen der Molekularbiologie. In: Esders, K., Lucht, P., Paulitz, T. (Hrsg.): Recodierungen des Wissens: Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaft und Technik. Campus Verlag, Frankfurt/Main, New York, S.213-229.

Mußmann, Frank. Komplexe Natur – Komplexe Wissenschaft. Selbstorganisation, Chaos, Komplexität und der Durchbruch des Systemdenkens in den Naturwissenschaften. Opladen. Leske/Budrich 1995.

Orland, B., Scheich, E. (Hrsg.): Das Geschlecht der Natur – feministische Beiträge zur Geschichte und Theorie der Naturwissenschaften. Suhrkamp, Frankfurt/Main.

Palm, K. (2008): Das Geschäft der Pflanze ist dem Weib übertragen ... die Pflanze selbst hat aber kein Leben - Zur vergeschlechtlichten Stufenordnung des Lebens im ausgehenden 18. Jahrhundert. In: Esders, K., Lucht, P., Paulitz, T. (Hrsg.): Recodierungen des Wissens: Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaft und Technik. Campus Verlag, Frankfurt/Main, New York, S.197-211.

Satzinger, H. (2009): Differenz und Vererbung: Geschlechterordnungen in der Genetik und Hormonforschung 1890-1950. Böhlau Verlag, Köln etc.

Scheich, E. (1993): Naturbeherrschung und Weiblichkeit. Denkformen und Phantasmen der modernen Naturwissenschaften (Feministische Theorie und Politik, Band 6). Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler.

Schiebinger, L. (1986): Skeletons in the Closet: The First Illustration of the Female Skeleton in Nineteenth-Century Anatomy. Representations, Spring 1986; 14: 42-82.

Schiebinger, L. (1993 (engl. 1989)): Schöne Geister – Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Klett-Cotta, Stuttgart.

Schiebinger, L. (1993 (engl. 1990)): Anatomie der Differenz. „Rasse“ und Geschlecht in der Naturwissenschaft des 18. Jahrhunderts (übersetzt von C. Opitz). Feministische Studien, 11 (1): S.48-64.

Schiebinger, L. (1995 (engl. 1993)): Am Busen der Natur: Erkenntnis und Geschlecht in den Anfängen der Wissenschaft (aus dem Englischen übersetzt von Margit Bergner und Monika Noll). Klett-Cotta, Stuttgart.

Schiebinger, L. (1995): Das private Leben der Pflanzen: Geschlechterpolitik bei Carl von Linné und Erasmus Darwin. In: Orland, B., Scheich, E. (Hrsg.): Das Geschlecht der Natur – feministische Beiträge zur Geschichte und Theorie der Naturwissenschaften. Suhrkamp, Frankfurt/Main, S.245-269.

Schmitz, S. (2006): Geschlechtergrenzen. Geschlechtsentwicklung, Intersex und Transsex im Spannungsfeld zwischen biologischer Determination und kultureller Konstruktion. In: Ebeling, Kirsten Smilla, Schmitz, Sigrid (Hg.): Geschlechterforschung und Naturwissenschaften – Einführung in ein komplexes Wechselspiel. Wiesbaden. VS Verlag 2006, 33-56.

Schmitz, S. (2006): Hirnbilder im Wandel Kritische Gedanken zum 'sexed brain'. In: Mauss, Bärbel, Petersen, Barbara (Hg.): Das Geschlecht der Biologie. NUT-Schriftenreihe Band 11. Mössingen-Thalheim. Talheimer Verlag 2006, 61-92. (hier bestellbar)

Schmitz, S.; Höppner, Grit (2014): Gendered Neurocultures:Feminist and Queer Perspectives on Current Brain Discourses. Wien: Zaglossus.

Spanier, B. (1995): Im/Partial Science: Gender Ideology in Molecular Biology. Indiana University Press.

Voß, H.-J. (2008): Wie für Dich gemacht: die gesellschaftliche Herstellung biologischen Geschlechts. In: Coffey, J. et al. (Hrsg.): Queer leben – queer labeln? (Wissenschafts-)kritische Kopfmassagen. fwpf Verlag, Freiburg, S.153-167.

Voß, H.-J. (2010): Alles bio? Auch aus biologischer Sicht gibt es mehr als zwei Geschlechter. analyse & kritik, 547: S.10, Online.

Voß, H.-J. (2010): Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Transcript Verlag, Bielefeld.

Voß, H.-J. (2011): Geschlecht: Wider die Natürlichkeit (Reihe theorie.org). Schmetterling Verlag, Stuttgart.

Voß, H.-J. (2012): Intersexualität - Intersex: Eine Intervention. Unrast-Verlag, Münster.

Voß, H.-J. (2013): Biologie & Homosexualität: Theorie und Anwendung im gesellschaftlichen Kontext. Unrast, Münster.

Eine Übersicht über weitere Literatur gibts hier, beim AK ANNA

Auch in der Zeitschrift ZEIT wird nun wieder thematisiert, dass das Erbgut des Menschen so einfach nicht ist - und dass es im Menschen nicht konstant ist. Bereits im Jahr 2008 schrieb dort Ulrich Bahnsen den Beitrag "Erbgut in Auflösung: Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Menschen, der zu Beginn unseres Lebens festgelegt wird. Von dieser Idee muss sich die Wissenschaft verabschieden. In Wirklichkeit sind unsere Erbanlagen in ständigem Wandel begriffen." Heute - weiterer Beitrag in der ZEIT, vgl. unten) gilt es ihm wieder als Novum, dass das Erbgut des Menschen in Veränderung begriffen ist. Aber wahrscheinlich muss Journalismus immer wieder Neues versprechen, um Auflage zu generieren. Auch der heutige Beitrag ist in seinem Kern lesenswert, lediglich die Ableitungen zu Fragen der Sozialisation erscheinen nicht stichhaltig begründet. Wie kommt er auf den Gedanken, dass ein veränderlicher und prozesshafter Charakter genetischen Materials abseits von Einflüssen von außerhalb der Zelle (Zell-Zell-Kommunikation, weiteren Umwelteinflüssen und eben auch Einflüssen der Sozialisation) sein sollte? Das erschließt sich mir nicht. Abseits dieser kurzsichtigen Interpretation ist der Einfluss gerade für die Variabilität des Genoms lesenswert: "Im Kern überraschend: Anders als bisher vermutet, tragen Körperzellen des Menschen kein einheitliches Erbgut in sich, sondern bilden Mosaike. Das könnte viele Krankheiten erklären."

schmidt_was_sind_gene_nichtKirsten Schmidt
Was sind Gene nicht? Über die Grenzen des biologischen Essentialismus
Transcript-Verlag, 2014, 348 Seiten, 29,99 Euro

ISBN 978-3-8376-2583-7

„Der genetische Essentialismus erscheint […] weit weniger plausibel, als ursprünglich angenommen. Es scheint, als könnte er durch eine kurze Darstellung der neuesten empirischen Befunde der modernen Biologie widerlegt und endgültig in den Giftschrank wissenschaftlich überholter philosophischer Konzepte verbannt werden.“ (S. 9)

Kirsten Schmidt ist Diplom-Biologin und wurde mit der Arbeit „Tierethische Probleme der Gentechnik“ im Jahr 2007 promoviert. Sie war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich „Ethik in Medizin und Biowissenschaften/Angewandte Ethik“ am Institut für Philosophie an der Universität Bochum. Ihre neue, aus einem DFG-Forschungsprojekt hervorgegangene Studie „Was sind Gene nicht? Über die Grenzen des biologischen Essentialismus“ basiert somit auf einer interdisziplinären fachlichen Perspektive, bei der biologische (u.a. molekulargenetische) Kenntnisse insbesondere mit ethischen kombiniert sind.

Mit einer Fülle von Material kommt die Autorin in „Was sind Gene nicht?“ zu der Einschätzung, dass auf Grund der molekularbiologischen (auch molekulargenetischen) Beschreibungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in der Biologie längst nicht mehr von dem populär verbreiteten Genkonzept ausgegangen werde, nachdem ein ‚Gen‘ eine exakt fixierbare Einheit und die Essenz eines Lebewesens darstelle. Vielmehr würden Gene als veränderliche Faktoren wahrgenommen, die erst im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren in der Zelle und in komplexer Regulation existierten. Kurz gesagt: „Gene sind keine dauerhaften materiellen Entitäten, sondern temporär existierende Prozesse.“ (S. 11) Mit dieser Formel geht Schmidt auch davon ab, Gene lediglich in Netzwerken und im Zusammenspiel mit anderen zellulären Faktoren betrachten zu wollen – und sie dabei immer noch als fixe Einheiten zu betrachten. Stattdessen schlägt sie vor, ‚Gene‘ selbst als Prozess zu denken und damit unter anderem in den Blick zu bekommen, dass sie häufig nicht als strukturelle Einheiten nebeneinander auf der DNA 'vorliegen', sondern die einzelnen Sequenzen eines Gens oft über die DNA ‚verstreut‘ sind und zudem erst durch chemische Modifikationen (unter anderem alternatives Spleißen) eine funktionale Einheit entsteht, die temporär vorhanden ist und weiteren Veränderungen in der Zelle unterliegt. Schmidt schreibt: „Gene ‚tragen‘ keine Information. Vielmehr konstituiert umgekehrt der Syntheseprozess, mit seinem Zusammenspiel unterschiedlicher genischer, extragenischer und nicht-genetischer Elemente, das Gen, das uns lediglich rückblickend als eine bereits vor dem Prozess existierende und auf der DNA lokalisierbare Entität erscheint.“ (S. 231)

Schmidt argumentiert für ein Prozessdenken, statt von Vorgegebenheiten auszugehen; um dem Prozesscharakter auch sprachlich Rechnung zu tragen, schlägt sie vor, den Begriff Gen nicht mehr als Substantiv, sondern als Verb zu verwenden (im Sinne ‚ich gene‘, genau wie ‚ich verdaue‘). Ihre Argumentation führt sie schlüssig entlang des wissenschaftlichen Forschungsstands der Molekulargenetik, der Systembiologie (u.a. Proteomic) sowie der Epigenetik. Dabei hat sie stets auch die geschichtliche Entwicklung der biologischen Spezialdisziplinen im Blick, was gerade bzgl. der Epigenetik bei einigen der Lesenden Kenntnislücken schließen dürfte, da diese Disziplin derzeit oftmals fälschlich als ‚neu‘ postuliert wird (vgl. S. 259-286).

Schmidts Ergebnisse decken sich mit denen, die sich auch bzgl. der biologisch-medizinischen Theorien zur Geschlechtsentwicklung feststellen lassen. Bzgl. Geschlecht ließ sich festhalten: „Deutlich wird, dass DNA keinen beständigen, unveränderlichen ‚Text‘ darstellt, den es nur zu ‚lesen‘ gilt, vielmehr ist sie innerhalb des Organismus in Veränderung begriffen. Außerdem wird bereits hier ersichtlich, dass Prozesse notwendig sind, um in der Zelle bzw. im Organismus aus einer DNA-Sequenz erst einmal verwertbare ‚Information‘ für eine RNA-Sequenz zu machen…“ (Voß: Making Sex Revisited. Bielefeld 2010: S. 298)

Hintergrund der Untersuchung Schmidts zu genetischem Essentialismus sind hingegen nicht Geschlechterfragen, sondern die feste Einteilung von Organismen in Arten. Da die Arteinordnung wesentlich über genetische Merkmale – die DNA-Sequenz – getroffen werde, müsse diese Abgrenzung wanken, wenn gerade nicht von einem fixen und beständigen genetischen Material als Essenz der Individuen und der Arten ausgegangen werden kann. Die genetische ‚Information‘ wird in den jeweiligen Individuen erst in einem Prozess; – eine Deckungsgleichheit innerhalb einer Art, wie sie mit dem Konzept fixer, unveränderlicher Gene postuliert wurde, sei so nicht möglich. Hiervon ausgehend eröffnet Schmidt gentechnische Überlegungen, ob die Übertragung von menschlichen Zellen zur Erzeugung transgener Mäuse zulässig sein könnte. Hier führt sie auf eine deutlich bejahende Position hin – eine kritisch zu diskutierende Einschätzung, weil es um die Grundfrage geht, was den Menschen zum Menschen macht.

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GID_Titel220Sehr lesenswert ist die aktuelle Schwerpunktausgabe "Biologisierung der Armut: Genetik und soziale Ungleichheit" des Gen-ethischen Informationsdienstes GID. Insbesondere zu empfehlen sind der Beitrag "Der Ausschluss der Armen" (von Friederike Habermann) und "'Arbeitsscheu' und 'asozial'" (von Dirk Stegemann). Habermann zeichnet nach, wie unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen immer mehr Menschen ins Abseits gedrängt werden und ihre Situation zugleich naturalisiert wird. Spezifische Verhaltensempfehlungen sowohl für die Prekarisierten als auch für die Privilegierten zeigt Habermann als Herrschaftsmechanismen auf.

Dirk Stegemann arbeitet nach, wie in der deutschen Geschichte und aktuell Menschen als 'asozial' diffamiert wurden und werden. Er erarbeitet prägnant die Verfolgungsgeschichte in der Nazi-Zeit und die mangelnde Aufarbeitung der Verbrechen nach 1945 - eine Anerkennung der Verfolgung von so genannten 'Asozialen' fehle bis heute. Gleichzeitig erläutert Stegemann, wie erst mit dem kapitalismus - verbunden mit der 'protestantischen Arbeitsethik' - überhaupt ein Denken aufkommt, dass Arbeiten der Zweck des Menschseins sei. Stegemann schreibt: "Mit der Industrialisierung [...] setzte sich das von der Kirche und insbesondere von den Calvinist_innen propagierte Arbeitsethos durch, nach dem nicht essen sollte, wer nicht arbeitet. War 'Arbeit' in der Antike zum Teil regelrecht verpönt, wurde sie mit der Reformation zur 'Berufung' und Pflicht. [...] Erst dieses Arbeitsethos ermöglichte es, die gesamte Bevölkerung, ihre Lebensweise und ihren Arbeitsrhythmus den Anforderungen der kapitalistischen Produktion zu unterwerfen, und es bildet bis heute die Grundlage der kapitalistischen Ökonomie." (S.17)

Allein der Beitrag von Jörg Niewöhner zur Epigenetik geht, abseits der materiellen Grundlagen, Zukünften epigenetischer Forschung nach. Er betrachtet dabei allein die aktuelle Epigenetik und argumentiert gerade nicht auch aus ihrer Historie heraus. Conrad Hall Waddington prägte den Begriff und das Forschungsgebiet bereits zu Beginn der 1940er Jahre und fokussierte sämtliche Bestandteile der Zelle außer der DNA, die an der Ausbildung von Merkmalen Anteil haben könnten. Er ging damit von Prozesshaftigkeit und einer Vielfalt von wirkenden Faktoren aus. Die heutige Epigenetik untersucht hingegen nur noch jene Faktoren, die direkt an der DNA angreifen - man muss also von einer Genetisierung der Epigenetik sprechen. Diese Entwicklung ist auch der ganz materiellen Grundlage geschuldet, dass die Genetik über Jahrzehnte massiv gefördert wurde. Nach dem Scheitern genetischer Erklärungen - u.a. durch die 'ernüchternden' Ergebnisse des Humangenomprojekts - suchten Genetiker zunehmend weitere Arbeitsfelder, nutzten und bedingten den Hype der Epigenetik (vgl. auch hier). Wie bei der Dominanz 'genetischer Expertise', mit der Epigenetik grundlegend andere Forschungsfragen und -ergebnisse als in der Genetik möglich werden sollten, erschließt sich nicht.

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Epigenetik und Homosexualität
Dr. Heinz-Jürgen Voß

Abstract:
Populäre Zeitschriftenartikel über biologische Forschung haben oft mehr Nachklang als die zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Aufsätze. Das gilt auch für einen Artikel in der Wochenzeitung DIE ZEIT, dessen Verfasser vorgab, sich einer neuen – theoretisch orientierten – Studie zu Epigenetik zuzuwenden, dabei aber alte und widerlegte Annahmen aus der Genetik und Gehirnforschung neu aufwärmte. Der ZEIT-Autor Ulrich Bahnsen wählte mit „Muttis Tunte, Papas Lesbe“ gar eine explizit homophobe Überschrift und legte die Stereotype des „passiven“ vs. „aktiven“ Schwulen zu Grunde, so dass schon auf Grund solch parteiischer und homophober Setzungen nicht anzunehmen war, dass der Beitrag Verbreitung finden würde. Er tat es aber dennoch, und das soll der Anlass für diesen Aufsatz sein, in dem kurz in die Fragen der Epigenetik eingeführt wird und schließlich mit Fokus auf den Beitrag der Forschungsgruppe um Rice et al. (2012) – der dem ZEIT-Artikel zu Grunde lag – biologische Forschungen zu „Homosexualität“ im Hinblick auf Epigenetik diskutiert werden. Vorweggenommen sei, dass die Forschungsgruppe Rice et al. ihrem Aufsatz deutlich voranstellt, dass es sich um theoretisch Betrachtungen handele, nicht um eine Untersuchung, die sich auf empirische Erhebungen zu „Homosexualität“ stütze. Sie wollten lediglich der Hypothese nach einer möglichen Bedeutung der Epigenetik bezüglich „Homosexualität“ nachgehen, könnten aber „keine definitive Evidenz dafür liefern, dass Homosexualität eine deutliche epigenetische Grundlage hat“[1] (Rice et al. 2012: 357).

Zum vollständigen Text: pdf-Datei.

Das Buch "Geschlecht: Wider die Natürlichkeit" (ISBN 3-89657-663-1, 180 Seiten, 10 EUR) ist soeben in der feinen Reihe theorie.org des Schmetterling Verlags erschienen. Ich möchte Sie/Euch herzlich zur Lektüre und Diskussion einladen!

Geschlecht: Wider die Natuerlichkeit

In dem Buch wird klar und deutlich herausgestellt, dass Menschen und all ihre (unsere) Wahrnehmung stets schon gesellschaftlich sind. Anknüpfend an Karl Marx und Simone de Beauvoir wird diskutiert, warum uns diese Gesellschaftlichkeit so rasch entgleitet und wir bestrebt sind, Beobachtungen und Merkmale als "natürlich" - vorgegeben und unabänderlich - zu erklären und sie damit unser Einflussnahme zu entziehen. Es wird deutlich, dass es für ein besseres Verständnis der Gesellschaftlichkeit der Menschen wichtig ist, Kapitalismuskritik und Geschlechtskritik zusammenzudenken. Da bislang selten geschehen, werden historische und aktuelle "biologische Theorien" - auch sie sind Teil der Gesellschaft! - anschaulich und verständlich in ihrer Vielschichtigkeit diskutiert.

Das Buch ist ab sofort überall im Buchhandel erhältlich! Für ein Rezensionsexemplar wendet Euch/wenden Sie sich bitte an den Verlag oder an mich (voss_heinz[ättt]yahoo.de); auch übrige Diskussionsbeiträge, Anmerkungen und Kritiken sind sehr willkommen! Weiterlesen » » » »

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[aktualisiert: Juli 2018]

Das Buch Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive, erstmals 2010 erschienen und mittlerweile in der 3. Auflage (und nun auch als Open-Access-Buch erhältlich), wurde interdisziplinär breit zur Kenntnis genommen - in Geschlechterforschung, Medizin, Biologie-Didaktik, Geschichtswissenschaften, Erziehungswissenschaften, Soziologie etc. Dabei gibt es selbstverständlich verschiedene Ansätze, die gut in Diskussion zueinander kommen - verwiesen sei etwa auf den Aufsatz der Soziologin Daniela Heitzmann in der Fachzeitschrift Gender, in dem Heitzmann die Ansätze von Londa Schiebinger, Thomas Laqueur und Heinz-Jürgen Voß miteinander diskutiert. Neben dem breiten wissenschaftlichen Diskurs, der disziplinübergreifend in Gang gekommen ist (und bei dem mittlerweile auch in der Disziplin Biologie selbst sehr grundlegendes Nachdenken über biologische Theoriebildung zu Geschlecht stattfindet, vgl. etwa den Aufsatz von Claire Ainsworth in der Fachzeitschrift Nature), freue ich mich auch über breitere gesellschaftliche Anschlüsse, wie etwa im Band "Liebe in der Moderne: Körperlichkeit, Sexualität und Ehe" von Isolde Karle.

Nils Wilkinsons schreibt in seinem Aufsatz "Ordering Darwin: Evolution and Normativity", der im lesenswerten Sammelband "Reflecting on Darwin" (2014, hg. von Eckart Voigts, Barbara Schaff & Monika Pietrzak-Franger) erschienen ist mit Bezug auf die Theorien in "Making Sex Revisited": "The complexity of specializations within science leads to unbridgeable gaps between scientists who then resort to simplifications so as to be able to at least communicate some of the dense knowledge acquired over a long period of time. This problem appears even more striking when we consider the distortions of scientific insights in the arts and science pages of the popular press. Here, an uncritical reader with only surface knowledge of biological science may be led to think that biology actually holds the answer to the question of what human nature is (look out for sentences that start with ‹scientists now have found the key to…›), rather than showing that nature is a malleable, ongoing process of becoming. For example, if we look into Heinz-Jürgen Voß’s work on the history of not only medical theories of sex, we see that constructivist notions have long been part of such inquiries and that they are not a symptom of the two cultures of hard vs. soft science." (S.165)

Im Folgenden eine Übersicht über die Rezensionen von "Making Sex Revisited":

 

Deutschlandradio Kultur bewertete "Making Sex Revisited" in einem Interview am 18. Januar 2012 wie folgt: "[D]iese Dissertation hat ziemlich Furore gemacht, nicht nur unter Fachkollegen, weil [...] darin die traditionelle Zuweisung des Geschlechts in männlich - weiblich [abgelehnt wird]."

Der Medizinhistoriker Prof. Dr. Florian Mildenberger rezensierte "Making Sex Revisited" in Gigi - Zeitschrift für sexuelle Emanzipation (Heft 66) und schreibt u.a.: Heinz Jürgen Voß ist mit „Making Sex Revisited" ein großer Wurf gelungen. Er stellt zunächst die unterschiedlichen Annäherungen seiner Kollegen an die Geschichte von Sexualitäten vor und leitet dann, quasi nebenbei, zu den wissenschaftshistorisch sauber aufbereiteten Erkenntnissen aus Antike, Mittelalter und Früher N euzeit über. Die vielfach angedachte Synthese von Natur- und Geisteswissenschaften findet bier (beinahe) statt Zwischenbilanzen erlauben es dem erschöpften Leser, zu Atem zu kommen, denn dicht fliegen ihm die Informationen um die Ohren. [...] Voß gibt keine einfachen Antworten, er liefert komplexe Denkmodelle und verlangt vom Leser, daß er selbst weiterforscht. Die Beherrschung der Grundkonzepte der zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Biologie und Medizin ist schlichtweg Voraussetzung für die Lektüre. Hinzu tritt die Inffragestellung all derjenigen Werke, die in den letzten Jahren in Unkenntnis dieser Tatsache entstanden sind. Heinz-Jürgen Voß kann sich sicher sein, gerade in diesem Zusammenhang besonders viele neue „Freunde" gewonnen zu haben. Ganz selbstverständlich geht er davon aus, daß das Studium von Originalquellen eine Kernkompetenz von Wissenschaftshistorikern sein muß. Dies kann als Absage an die neuen Heroen der Wissenschaftstheorie verstanden werden (zum Beispiel Galison, Latour etc.). Abschließend ist es ferner notwenig, zu betonen, daß Voß keine Tutalabkehr von den Denkmodellen seiner Zunft fordert. Er ist eben gerade nicht der großspurige Prophet, sondern offenbar ein begeisterter und begeisternder Gelehrter, der die positiven Aspekte aus den Werken seiner Ideengeber und Lehrer zusammensucht und neu verbindet. ,,Making SexRevisited" ist kein Aufruf an Bilderstürmer oder ungebildete Revolutionäre, es ist ein Appell an die Vernunft. Und die Stimme der Vernunft ist bisweilen leise, dafür aber sympathisch und für Kritik offen. Im Gegensatz zu vielen anderen Forschern auf diesem Gebiet freut sich der Autor über Anmerkungen. Wer will, kann mit ihm bloggen unter http://dasendedessex.blogsport.de/." Homepage der Zeitschrift / direkt zur Rezension (pdf-Dokument, 2,2 mb)

Der Professor für Biologie-Didaktik, Prof. Dr. Uwe Hossfeld besprach das Buch in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (58. Jg., Heft 9/2010, S.746/747); er schreibt u.a.: "[...] Nach einer Einleitung, die auf die wichtigsten Ziele, Inhalte und Methoden der Arbeit fokussiert, folgen drei Hauptkapitel: I. Das differenzierte Geschlechterverständnis der Antike – Facetten von Ein- und Zweigeschlechtlichkeit; II. Zur Konstituierung von Geschlecht in modernen biologisch-medizinischen Wissenschaften, III. Geschlechterdetermination – von „dem hodendeterminierenden Faktor“ hin zu Modellen komplex interagierender und kommunizierender molekularer Komponenten. Das erste Kapitel folgt weitgehend der Chronologie der Ereignisse und liefert eine gelungene Übersicht über die Geschlechterauffassungen der Antike, wobei dieser wissenschaftshistorische Ansatz im zweiten Kapitel bis auf die Neuzeit mit ihren modernen biologisch-medizinischen Wissenschaften übertragen wird. Der dabei herausgearbeitete Blick in die Historie zeigt bereits frühzeitig die Ambivalenz des Themas auf. Man wusste zwar seit Darwin, dass manche Eigenschaften vererbt werden, andere nicht, aber worauf dies zurückzuführen war, blieb im Dunkeln. Der wichtigste wissenschaftliche Grund für die dann aufkommenden Kontroversen über den Evolutionsmechanismus im 19. Jahrhundert war dann auch das Fehlen einer zutreffenden Theorie der Vererbung. Es war völlig ungeklärt, wodurch bei der Vererbung Ähnlichkeit und Variabilität entstehen. Warum sind Kinder ihren Eltern und Geschwister einander ähnlich, ohne ihnen aber völlig zu gleichen? Diese Fragen wurden mit den unterschiedlichsten Vererbungstheorien beantwortet, die aber nur zum Teil mit der Selektionstheorie vereinbar waren und andere Vorstellungen über den Evolutionsmechanismus implizierten. Der entscheidende Punkt in dieser Kontroverse war, ob die erbliche Variabilität überwiegend zufällig und richtungslos ist, oder ob schon eine bestimmte Richtung vorgegeben ist, beispielsweise zu größerer Anpassung oder Komplexität. Falls letzteres zutreffen würde, könnte die Selektion nur innerhalb eines begrenzten Rahmens ihre Wirkung entfalten und der richtunggebende Faktor hätte eine entsprechend größere Bedeutung. Voss zeigt im zweiten Kapitel an ausgewählten Protagonisten und Forschungsfeldern dann einige dieser Perspektiven einer Geschlechterforschung auf, wobei der Ansatz von Anne Fausto-Sterling über die „fünf Geschlechter“ wohl der heuristisch wertvollste bis dato ist/war. Das letzte Kapitel beeindruckt dann schließlich durch seine Wissenschaftlichkeit und Kompilation der Datenfülle, wobei der Autor keine Mühen gescheut hat, sich in die aktuellen Forschungen der Humangenetik und Molekularbiologie einzulesen. Chromosomen, Gene, Expression, Analyse, Sequenz sind dann so auch hier wichtige Schlagwörter. Ein ausführliches Personenregister sowie ein umfassendes Literaturverzeichnis runden das gut lesbare Buch ab. Voss‘ kompaktes Werk kann sowohl wissenschaftlichen Laien wie auch Natur- und Geisteswissenschaftlern gleichsam empfohlen werden. Es dokumentiert nicht nur die Ebene eines bedeutenden (und bisher in dieser Ausführlichkeit kaum behandelten) biologisch-medizinischen Themenfeldes, sondern zeigt nebenbei auch Ebenen der Wissens- und Sprachkultur sowie des Umgangs miteinander auf, reflektiert verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse, Zwänge und dokumentiert natürlich auch den unterschiedlichen Stand der Wissenschaft zum Buchthema in verschiedenen Zeitepochen." Die Zeitschrift kann bestellt werden, auch als Einzelheft: hier.

Der Jurist und Soziologe Prof. Dr. Rüdiger Lautmann rezensierte "Making Sex Revisited" zusammen mit "Geschlecht: Wider die Natürlichkeit" für die Zeitschrift für Sexualforschung. Lautmann schreibt u.a.: "Die beiden Bücher ["Making Sex Revisited" und "Geschlecht"] Bücher attackieren die verbreitete Grundüberzeugung, dass Menschen von Natur aus ein Geschlecht „haben“ und dass dieses Merkmal nach weiblich / männlich strikt zweigeteilt sei. Auch in der Sexualwissenschaft – sei sie grundlagenorientiert oder klinisch – wird weithin so gedacht, geschrieben und behandelt. Voß trägt seine Attacke nicht – wie sonst so viele – als bloßes Postulat vor, sondern entwickelt sie denkgeschichtlich, und zwar derart materialreich, dass der Kritik irgendwann die Puste ausgehen muss. [...] Die Bremer „phil. Diss.“ eines von der Biologie herkommenden Autors [...] zeigt uns in überwältigender Materialfülle, wie das abendländische Denken zum Geschlechterbinarismus verlaufen ist. In einer sehr umfangreichen Recherche wird die Forschungsliteratur ausgewertet (bei den historischen Partien sekundäranalytisch). Seitdem man von einer Biologie als Wissenschaft sprechen kann, werden die einschlägigen Texte präsentiert (Primäranalyse). [...] In Kapitel I widmet sich die Dissertation dem Geschlechterverständnis der griechisch-römischen Antike und findet hier Ideen zur Ein- und Zweigeschlechtlichkeit vor. [...] Das (ausführlichste) Kapitel II schildert, wie die Kategorie Geschlecht in der Moderne konstituiert wird. [...] Kapitel III, für den Nichtnaturwissenschaftler streckenweise hermetisch, diskutiert die biologischen Vorgehensweisen zur Erklärung der Geschlechtsentwicklung. Die Theorien entwickeln sich weg von einer vorrangigen Determination durch DNA oder Gene, hin zu neuen Modellen komplex interagierender und kommunizierender molekularer Komponenten. Im Einzelnen untersucht Voß die Wissensbestände zur Differenzierung des Genitaltraktes in der Embryonalentwicklung. Weder einzelne Gene noch das vielgenannte Y-Chromosom determinieren eindeutig das sich ausprägende Geschlecht; das reduktionistische Modell einer Y-chromosomal aktivierten männlichen Entwicklung gegenüber einer automatisch ablaufenden weiblichen Entwicklung ist durch das hochkomplexe Modell vielfältiger Genregulationsprozesse zu ersetzen. Vielfältige zelluläre Prozesse (und umgebende Einflüsse) bestimmen, welche DNA-Sequenzen zu Informationen werden bzw. welche Informationen aus solchen DNA-Sequenzen gezogen werden (S. 296–305). Am Beispiel einer Gen-Expressionsanalyse wird vorgeführt, wie im scheinbar neutralen experimentellen Vorgehen der Biomedizin die Vorannahmen der Forschenden zu einer stets gegebenen Geschlechterdichotomie das methodische Vorgehen bestimmen, sodass die passenden Ergebnisse und Interpretationen resultieren (S. 288–296). Geschlechtsdetermination erweist sich in dieser Sicht als ein Resultat von Prozessen, Interaktionen, Kommunikationen von zahlreichen molekularen Komponenten in der Zelle, im Organismus und mit der Umwelt. [...] Voß‘ Studien enthalten einen beträchtlichen Mehrwert an Erkenntnis. Man wird zukünftig nicht von der kulturellen Selbstverständlichkeit ausgehen können, die Aufteilung in zwei Geschlechter (zuzüglich einiger quantitativ seltener Besonderheiten wie Transgender und Intersexe) sei ein eindeutiges Resultat der Biologie. Vielmehr wird man anerkennen müssen, dass auch die Biologie – ebenso wie seit einiger Zeit die kulturologische Genderforschung – immer schon mehrere Denkmodelle gepflegt hat. Weiterführend ist auch der erfolgreiche Versuch Voß‘, die Illusion von einer rein tatsachenbezogenen und objektivistischen Naturwissenschaft auszuhebeln. Weist er doch an vielen Stellen nach, dass hier eine intuitive Wahrheit zur Geschlechtsbinarität bereits vorausgesetzt wird – indem „‚männliches‘ Geschlecht in der überwiegenden Anzahl der gesellschaftlichen und naturphilosophisch bzw. biologisch-medizinischen Beschreibungen gegenüber ‚weiblichem‘ Geschlecht erhöht wurde“ (S. 314). In den Studien blieben die impliziten Annahmen unangetastet oder erschienen am Ende als bestätigt. Diese Fälle eines circulus vitiosus aufgezeigt zu haben, zählt zu den stärksten Resultaten der Studie. Sie wurden nur in der Kombination einer soziokulturellen und naturbezogenen Betrachtungsweise möglich: Der soziologische Nachweis, dass die Geschlechterdifferenz kulturell produziert und daher auch änderbar ist (zuerst bei Erving Goffman 1977) ermöglichte überhaupt erst diese Analysen der Geschlechterbiologie und förderte die Kontingenz der Binarität zutage. Inzwischen arbeiten auch weitere Studien an einer kultur- und sozialwissenschaftliche Analyse, worin die bisherigen Gewissheiten zur sozialen Strukturierung der Zweigeschlechtlichkeit angefochten werden. So postuliert Christoph Kucklick eine „Negative Andrologie“‘ (2008), die das Verständnis der Männerdominanz überschreibt. Hierzu enthierarchisiert Kucklick das Verhältnis der Geschlechter, doch verbleibt er, nach einigen kritischen Bemerkungen gegen den Binarismus, innerhalb dessen Bezugsrahmen. Die Denkbereiche werden zukünftig, wie von Voß begonnen, mehr aufeinander hören und aneinander anschließen. Auch Volkmar Sigusch sah gerade erst in dieser Zeitschrift eine „geöffnete Grenze zwischen Natur- und Gesellschaftsprozess“ (2011: 284)." Zur Besprechung.

Die Altertumswissenschaftlerin Steffi Grundmann besprach das Buch gerade auch im Hinblick auf die Ausführungen zu Antike und Geschlecht auf dem Blog Grundmast und schreibt unter anderem: "Heinz-Jürgen Voß untersucht in Making Sex Revisited die diskursive Herstellung biologischer Geschlechtlichkeit in naturphilosophischen, biologischen und medizinischen Diskursen. Im Zentrum der Arbeit stehen moderne naturwissenschaftliche Diskurse. Einführend werden jedoch die Komplexität und Vieldeutigkeit vormoderner Vorstellungen biologischer Geschlechtlichkeit und ihrer Entstehung dargestellt. [...] Es wird deutlich, dass eine Vielzahl verschiedener Konzeptionen der Geschlechtsentstehung miteinander konkurrieren. Die Vorstellung eines ‘Ein-sex-Modells’, wie Thomas Laqueur es vorgeschlagen hat, reduziert diese Vielfalt und Widersprüchlichkeit auf ein Modell, dass universell gegolten habe, und ist insofern nicht geeignet antike Vorstellungen sinnvoll darzustellen. Im Anschluss erhärtet Voß diese Infragestellung der Thesen Laqueurs, indem er aufzeigt, dass moderne und aktuelle bio-medizinische Diskurse nicht eindeutig und universell einem ‘Zwei-sex-Modell’ zugeordnet werden können. Die Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur naturwissenschaftskritischen Geschlechterforschung und zeigt Alternativen für den aktuellen bio-medizinischen Umgang mit der sogenannten biologischen Geschlechtlichkeit und ihrer Entstehung auf. Zentrale Erkenntnisse und Ergebnisse der Arbeit sind:

  • die (nochmalige) Belegung des Konstruktionscharakters biologischer Geschlechtlichkeit,
  • die Sensibilisierung für die Wandelbarkeit der Vorstellungen über sex,
  • die Fokussierung auf Kontinuität und Wandel als Prozesse, die in einem engen Wechselverhältnis stehen.

[...] Aus altertumswissenschaftlicher Perspektive ist die sinnvolle Heranziehung der antiken Diskurse und ihre Einbettung in die Ergebnisse hervorzuheben. Voß beschränkt sich nicht darauf, legitimierend auf antike Diskurse und Praktiken zu verweisen, wie dies häufig geschieht. [...]" direkt zur Rezension

Ingeborg Breuer würdigte "Making Sex Revisited" bei Deutschlandfunk Studiozeit (26.1.2012) wie folgt: "Die amerikanische Philosophin Judith Butler erregte schon vor Jahren Aufmerksamkeit mit ihrer These, dass 'Mann' und 'Frau' ausschließlich soziale Kategorien seien, durch die den Körpern erst ein biologisches Geschlecht eingeschrieben werde. [...] Heinz-Jürgen Voss überbietet diese Position noch einmal, indem er in seiner Dissertation, so wörtlich, eine "Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive" versuchte: 'Es geht darum aufzuzeigen, dass es das typisch Männliche und das typisch Weibliche nicht gibt und dass schon, wenn wir uns organische Strukturen ansehen, [wir] immer auf eine Individualität dieser Ausformungen [stoßen]', [so Voss]."

Besprechung bei femorantipole.blogsport.de. Dort heißt es u.a.: "die arbeit zeigt, dass bereits die vorannahmen zu gegenwärtigen biologischen untersuchungen, etwa von genen und genprodukten, vom binären geschlechterbild geprägt sind und so die variabilität und komplexität von ‚geschlechtsentwicklung‘ nicht in den blick nehmen können. [...] voß plädiert für eine offenere biologie und spricht sich für die anerkennung von geschlecht als variantenreiche kategorie aus. sie_er verurteilt die medizin für an säuglingen mit vermeitlich ‚uneindeutigem‘ geschlecht vorgenommene operationen und schließt mit den worten: „Wenn Du und Ich […] stärker Eigenschaften, Bedürfnisse und Merkmale konkret benennen, die Dir und Mir wichtig sind, auf die sich Dein und Mein Begehren richten, dann sind wir schon dabei, über Dich und Mich, über Uns, über Menschen zu sprechen – und nicht über Geschlecht.“ (S. 326)"

Die Historikerin, Philosophin und Politikwissenschaftlerin Kerstin Bischl rezensierte "Making Sex Revisited" auf H-Soz-u-Kult, Fachforum und moderierte Informations- und Kommunikationsplattform für Historikerinnen und Historiker. Bischl schreibt u.a.: "Die Auseinandersetzung mit historischen Geschlechtermodellen ist Ausgangspunkt von Voß' Buch, und diese führt er [...] sehr solide, kenntnisreich und reflektiert. [B]islang gibt es nur wenig Versuche, zeitgenössische molekular-biologische Erkenntnisse über Geschlecht jenseits sprachphilosophischer Argumente fundiert und kritisch in den Blick zu nehmen. Als Diplom-Biologe und Doktor der Philosophie ist Voß vermutlich auch einer der wenigen, die dies können." Die Rezension findet sich hier.

Der Journalist und Historiker Ferdinand Knauß würdigte das Buch auf seinem Blog "Geschlechtsverwirrung"  und schreibt u.a.: "Die Arbeit ist ein seltenes Beispiel wirklicher Transdisziplinarität. Für Biologen ist der historisch-diskursanalytische Teil vermutlich kaum zu beurteilen, für geisteswissenschaftlich geprägte Leser – wie den Autor dieses Beitrags – ist die Qualität des epigenetisch und molekularbiologisch argumentierenden Kapitels schwierig zu bewerten." und an anderer Stelle: "Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Dissertation eines jungen Vertreters der Gender & Science Studies. Heinz-Jürgen Voß hat Biologie studiert, wurde aber von dem Soziologen Rüdiger Lautmann promoviert. Finanziell unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei will Voß in seiner Arbeit den Nachweis geführt haben, dass es auch aus biologischer Perspektive kein „natürliches Geschlecht“ gebe. [26] Die molekularen Prozesse in Embryonen zeigten, so Voß, dass auch biologisch nicht nur zwei, sondern „viele Geschlechter“ denkbar seien. Ob Voß’ Darstellung unter rein epigenetischer Perspektive zutreffend ist oder nicht, das vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist jedenfalls kein Geheimnis, dass der Mensch keine absolut und ausnahmslos geschlechtsdimorphe (zweigestaltige) Art ist, weder bezüglich der Zusammensetzung der Chromosomen, noch in Bezug auf Hormonhaushalt, Geschlechtsdrüsen oder äußere Sexualorgane. Schätzungsweise bei zwei Prozent aller geborenen Kinder sind Abweichungen vom Dimorphismus feststellbar. [27] Aber was beweist das? Nur weil es seltene Fälle gibt, in denen Entwicklungsprozesse von Embryonen vom Normalverlauf abweichen, heißt das nicht, dass diese Phänomene den gleichen Stellenwert haben wie der Normalfall. Sollte man nicht mehr sagen „Löwen haben gelbes Fell“, weil es auch Albino-Löwen mit weißem Fell gibt?" Die vollständige Rezension findet sich hier

Die Journalistin Heike Friauf rezensierte in Junge Welt und schreibt unter anderem: "Das Buch 'Making Sex Revisited' des Biologen Heinz-Jürgen Voß, ein quellenreicher Forschungsbericht [...], wird mit Freude aufgenommen. [...] Voß [...] stellt naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien vor, die belegen, dass auch die biologische Seite des Geschlechts, in der Gender-Terminologie sex, gesellschaftliches Konstrukt ist." Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion hier die Rezension als Volltext (jpg-Datei).

Die Kommunikationswissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Bettina Enzenhofer rezensierte für die Juni-Ausgabe des feministischen Monatsmagazins an.schläge. Enzenhofer schreibt u.a.: "[Der Band erfreut] das Herz der Geschlechterforscherin. [Biologisches Geschlecht] wird von Voß, der selbst Biologe ist, aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive dekonstruiert. Er spannt den geschichtlichen Bogen von der Antike bis heute und stellt fest: Was wir über Sex zu wissen glauben, ist in gesellschaftliche Bedingungen eingebunden, denn Theorien verändern sich [...]" Die vollständige Rezension findet sich mit freundlicher Genehmigung hier (1,7 mb).

Die Kulturwissenschaftlerin, Informatikerin und Geschlechterforscherin Katrin Kämpf besprach "Making Sex Revisited" für die Juli/August-Ausgabe der L.Mag. Kämpf schreibt u.a.: "[Ein] bahnbrechendes Werk, das hoffentlich schnell in den Kanon der Gender und Queer Studies aufgenommen wird." Mit freundlicher Erlaubnis der Redaktion findet Ihr die Rezension hier als Volltext online.

Julian Bierwirth rezensierte "Making Sex Revisited" für die Zeitschrift Krisis und beurteilt u.a.: ""'Making Sex Revisited' [ist] Pflichtlektüre für alle die, die sich bislang noch sicher waren, dass die Annahme biologischer Zweigeschlechtlichkeit objektives Naturgesetz sei. In diesem Sinne: lesen!" Die vollständige Rezension findet sich hier.

Auf genderqueer erschien am 2.7.2010 eine Rezension. In ihr heißt es u.a.: "Ein sehr überzeugendes, gut geschriebenes, leser_innen_freundliches Buch, das längst überfällig war. Es bleibt zu hoffen, dass es (nicht nur) Mediziner_innen und Biolog_innen hilft, ihre dogmatischen Vorannahmen zu überwinden und sich den Menschen wie Du und Ich mit unseren Eigenschaften und Bedürfnissen zuzuwenden – ein ›Geschlecht‹ ist dafür nicht nötig."

Im Transgenderradio wurde das Buch am 27.3.2012 besprochen. U.a. heißt es in der Rezension: "Die Leistung des Buches ist es, aufzuzeigen, dass der Sicherheit mit der immer wieder auf die biologischen Erkenntnisse Bezug genommen wird, ganz und gar keine Gewissheiten entsprechen. „Making Sex Revisited“ ist ein wichtiges und längst überfälliges Buch, das einen fundierten, historischen Überblick über die Geschlechtertheorien aus Perspektive der Biologie gibt, methodisch für naturwissenschaftliche Betrachtungsweisen von Geschlecht neue Standards setzt und grundlegend für eine Vielzahl anzuschließender Forschungsarbeiten sein dürfte."

Dr. Anja Gregor besprach das Buch für Maedchenblog - und dort besteht auch viel und gute Möglichkeit zur Diskussion. Gregor schreibt u.a.: "[Die Studie] bietet Anregungen für reflektierte Biolog_innen, die bereit sind, über den Rand ihrer Objektträger und Deckgläschen hinaus neuen Sichtweisen den Zugang zur Biologie zu ermöglichen." Direkt zur Rezension: hier.

Rolf Löchel (er begründete 1999 u.a. mit: Arbeitskreis Zukunft des Zentrums für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung) rezensierte "Making Sex Revisited" bei www.literaturkritik.de. Dort heißte es u.a.: "Der Band bietet nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit der von Laqueur behaupteten strikten Trennung und historischen Abfolge der Annahmen des Ein-Geschlechter-Modells und des diesem folgenden Zwei-Geschlechter-Modells, sondern unternimmt ebenso die im Untertitel angekündigte Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Sicht." Direkt zur Rezension geht es: hier

Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Johannes Ungelenk rezensierte für die "Rosigen Zeiten" und macht dort Vorschläge auch zum Weiterdenken! Ungelenk schreibt u.a.: "Auf brillante Art und Weise spiegelt Voß' enzyklopädische Übersicht gleichzeitig die (binär-geschlechtliche) Voreingenommenheit des wissenschaftlichen Fragens und die Komplexität der Antworten wider. [...] Voß kommt absolut überzeugend und mit dem reichhaltigen Corpus an versammelten medizinisch-biologischen Theorien im Rücken zum Ergebnis, dass die gesellschaftlich etablierte Norm der Zweigeschlechtlichkeit der komplexen Vielfalt, Variabilität und Prozesshaftigkeit der Vorgänge [...] nicht gerecht wird." Die Rezension findet sich bei "Rosige Zeiten" (als pdf) und auch schon hier (als html).

Die Texterin, Ghostwriterin und Soziologin Tina Pruschmann rezensierte beim "Netzwerk der Autoren", suite101. In der Besprechung heißt es u.a.: "Voß zeigt [...] dass es gute Gründe gibt, [...] männlich-weiblich nicht als ein Entweder-oder zu beschreiben, sondern als ein Sowohl-als-auch [...]. Der Autor legt mit der Untersuchung ›Making sex revisited‹ eine akribisch recherchierte und sich auf allen Ebenen reflektierende Arbeit vor, die sich vor allem durch eine durchgehend sensible und sehr präzise Sprache auszeichnet." Die Besprechung findet sich: hier

Caroline Günther besprach "Making Sex Revisited" in Freiburger Geschlechterstudien (Heft 24/2010, S.353-356, hier online): "Voß liefert [...] eine überzeugende empirische Grundlage einer innerhalb wissenschaftlicher (Geschlechter-)Diskurse mittlerweile 20 Jahre währenden Theoriediskussion."

Verena Schuh rezensierte für Gender - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. Schuh schreibt u.a.: "Aufgrund der guten Strukturierung und der ausführlichen Darlegung wird es der lesenden Person leicht gemacht, sich ein Bild über die naturwissenschaftliche Landschaft und ihre Entwicklung zu machen. [...] Kurzum, ›Making Sex Revisited‹ ist eine Wohltat, bietet Ansätzen kritischer Gender Studies breite Anschlusspunkte, ist erkenntnisreich und spannend zu lesen." Die Rezension, erschienen in der Ausgabe 3/2010, S.157-159, ist hier online.

Dr. Merve Winter rezensierte das Buch für die Literaturbeilage der Phase 2 (Nr. 38, 2010, S.2-3 der Literaturbeilage) und schreibt u.a.: "[V]or allem Voß' Kritik an der gängigen Praxis innerhalb der Biologie, andere Säugetiere als mögliche Modellorganismen für den Menschen zu betrachten, erscheint nachvollziehbar.".

Michel Reiter besprach auf Postgender vier aktuelle Dissertationen und prüfte sie auf ihr Potenzial zum Beenden der derzeit noch immer in der Bundesrepublik Deutschland praktizierten geschlechtszuweisenden Operationen und Hormonen bei Säuglingen und Kleinkindern uneindeutigen Geschlechts.

Der Historiker Stefan Micheler rezensierte "Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive" in der Invertito - Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Heft neu im Buchhandel: Nr.12, S.163-166) und schreibt u.a.: "[Voß liefert] eine breit angelegte Studie, die die gerade in der Queer Theory grundlegende These der Konstruktion des biologischen Geschlechts in den neuzeitlichen und modernen Fachdisziplinen dezidiert zu bestätigen vermag."

Auch in der Zeitschrift "Impulse", der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., Heft 67, mit dem Schwerpunkt "›Sex und mehr ...‹ Sexualität und Gesundheit" ist eine kurze Besprechung erschienen. In der Rezension heißt es u.a.: "Dieses Buch differenziert die einzelnen historischen Positionen [zu Geschlecht] aus biologisch-medizinischer Perspektive und begründet treffend die Annahme, dass mehrere Geschlechter möglich sind."