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Mittlerweile beginnt in größerer Breite eine Diskussion um Ausschlüsse aus der schwulen Community. Im Fokus sind dabei insbesondere Rassismus und Sexismus, verübt von weißen Schwulen. Die Lesbenorganisation Schweiz kritisiert: "Wir haben genug von Schwulen, die sich in Anwesenheit von Frauen vulgär ausdrücken und abfällige Kommentare zu weiblichen Genitalien machen. Wir haben genug von Schwulen, die Frauen anfassen und den Mangel an Respekt vor der körperlichen Integrität relativieren und legitimieren mit der Tatsache, dass sie schwul seien." Mehdi Künzle vom Vorstand des Vereins Pro Aequalitate - er setzt sich für LGBTI-Rechte im Rahmen von Volksabstimmungen ein - gibt der Lesbenorganisation Recht. Die Einrichtungen treten dafür ein, dass weiße Schwule ihre Privlilegien reflektieren und zur Unterstützung der Rechte Marginalisierter einsetzen. Zum Thema gibt es einen aktuellen lesenwerten Artikel in der Aargauer Zeitung, der sich hier findet.

Nach dem gelungenen Auftakt mit Hrn. Dr. Vobker im Oktober, findet am 1.11.2016 (Beginn 16:30 Uhr) an der Hochschule Merseburg (Theater am Campus) die zweite Veranstaltung der Ringvorlesung FEMPOWER „Technik und Geschlecht“ statt.

Zu Gast ist die Physikerin Prof. Dr. Helene Götschel. In ihrem Vortrag „Physik queer denken“ zeigt sie, wie sich gesellschaftliche Fragestellungen in Kontexten der Physik wiederfinden lassen. „Queer“ ist dabei im Sinne geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und Offenheit zu verstehen. Götschel führt aus, dass sich Queer Theory nicht nur in den Wissenschaften vom Menschen, wie den Sozialwissenschaften oder der Biologie, anwenden lasse. Vielmehr mache es Sinn, grundsätzlich die Denkmuster Zweigeschlechtlichkeit und heteronormative Matrix zu erkennen. Dies ermöglicht, Physik queer zu denken, d.h. zu hinterfragen, wie diese eingeschränkten Denkmöglichkeiten unsere Weltbilder, unsere Vorstellungen der unbelebten Natur prägen. Was darunter zu verstehen ist und wozu es gut sein soll, Physik queer zu denken, wird im Vortrag anhand von Beispielen diskutiert. Beginn der Veranstaltung ist um 16:30 Uhr, im Theater am Campus (im Hauptgebäude der Hochschule).

Prof. Dr. Helene Götschel: Die studierte Physikerin ist Maria-Goeppert-Mayer Professorin für Gender in Ingenieurwissenschaften und Informatik an der Fakultät für Maschinenbau und Bioverfahrenstechnik der Hochschule Hannover.

*Als weitere Veranstaltungen sind bereits fest:* Dr. Waltraud Ernst (15.12.2016, 16:30 Uhr, Vortrag: „Geschlecht und maschinelle Interaktion“) und Dipl.-Inf. Göde Both (17.1.2016, 16:30 Uhr, Vortrag: „Mensch-Maschine-Konfigurationen: Ist autonomes Fahren die ‚Entmannung des deutschen Autofahrers‘?“).

Das Projekt FEMPOWER, das neben der Ringvorlesung auch Maßnahmen zur Förderung von Promotionen von Frauen beinhaltet, wird aus Fördermitteln der Europäischen Union finanziert. Federführend liegt das Projekt bei der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule Merseburg, der Ingenieurin Kathrin Stritzel; die Ringvorlesung wird inhaltlich und organisatorisch in Kooperation mit Andreas Kröner (HoMe-Akademie) und Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß (Fachbereich Soziale Arbeit. Medien. Kultur) durchgeführt.

Es handelt sich um eine öffentliche Veranstaltung - alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

PSY-Cetin-2549-v03.inddSehr gern weise ich auf die folgenden drei Veranstaltungen in Berlin hin, bei denen das Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" gemeinsam von Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß vorgestellt wird. (Informationen zum Buch finden sich hier hier ; eine sich erweiternde Übersicht erscheinender Rezensionen findet sich hier .

Die Buchvorstellungen:

[1] 18. November 2016, 19:00 Uhr, Schwules Museum (Lützowstraße 73, Berlin)
Vorstellung und Diskussion gleich von zwei Büchern. Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß und Jule Govrin stellen ihre jeweils neu erschienen Bücher vor und diskutieren miteinander. Bücher: Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß: "Schwule Sichtbarkeit - Schwule Identität. Kritische Perspektiven"; Jule Jakob Govrin: "Sex, Gott und Kapital. Houellebecqs Unterwerfung zwischen neoreaktionärer Rhetorik und postsäkularen Politiken".

[2] 19. November 2016, 17:00 Uhr, Trude Ruth (Flughafenstraße 38, Berlin)
Vorstellung des Buches "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" und Gesprächs- und Diskussionsmöglichkeit mit den Autoren Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß.

[3] 16. Dezember 2016, 20:30 Uhr, Prinz Eisenherz Buchhandlung (Motzstraße 23, Berlin)
Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß stellen ihr neues Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" vor, das im Oktober im Psychosozial-Verlag erschienen ist. Während "Sichtbarkeit" und "Identität" auch heute noch vielfach als bedeutsam für die politischen Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt gelten, weisen beide Autoren darauf hin, wie auf diese Weise auch "ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert". Dadurch entstehen Ausschlüsse gegen Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen. Die Autoren erläutern die zwiespältige Bedeutung von "Anerkennung" und weisen auf nicht-identitäre Perspektiven hin. Buchvorstellung und Diskussion.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

PSY-Cetin-2549-v03.inddSehr gern weise ich auf das gerade erschienene Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" von Zülfukar Çetin und mir hin. Wir freuen uns auf Diskussionen und eure und Ihre Anmerkungen. Gern könntet ihr und könnten Sie ein Rezensionsexemplar bestellen - entweder direkt beim Verlag oder bei: Heinz-Jürgen Voß, voss_heinz@yahoo.de . (Nachtrag: Mittlerweile gibt es, zusätzlich zur gedruckten Fassung, das Buch auch kostenlos zum Download (PDF-Datei).

Deutlich wird im Band u.a., dass das Konzept "Homosexualität" selbst von den emanzipatorisch Streitenden im Gegensatz zum "dem Sex 'der Anderen'" entwickelt wurde, also gegen den gleichgeschlechtlichen Sex z.B. in Süditalien und der Türkei. Von den historischen Betrachtungen wird der Bogen zu aktuellen rassistischen Debatten und Akteuren gespannt. Gleichzeitig wird analytisch hergeleitet, warum "schwul" auf Schulhöfen ein oft abwertend genutzter Begriff ist, wenn er auch meist flachsend verwendet wird; es wird klar, warum das so bleiben muss, wenn nicht auch auf neue Konzepte zurückgegriffen wird ...

Nun die detaillierten Informationen:

Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß:
Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven

# Oktober 2016; 146 Seiten; 19,90 Euro
# ISSN: 2367-2420
# Psychosozial-Verlag, https://www.psychosozial-verlag.de
# Informationen zum Buch beim Verlag
# Kostenloser Download des Buches: hier (Verlagsseite)

# Klappentext:
Vorangetrieben von »Schwulen« selbst wurde seit dem 19. Jahrhundert das Konzept schwuler Identität durchgesetzt. Noch heute gelten »Sichtbarkeit« und »Identität« weithin als Schlüsselbegriffe politischer Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt. Jedoch wird aktuell immer deutlicher, dass auf diese Weise ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert. So werden beispielsweise Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen marginalisiert.

Die Autoren des vorliegenden Bandes hinterfragen die Gewissheit, dass eine einheitliche schwule Identität existiert, aus unterschiedlichen Perspektiven: bewegungsgeschichtlich, wissenschaftstheoretisch und mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Homonationalismus und rassistische Gentrifizierung.

Der Beitrag "Gender-Ideologie in Deutschland" wendet sich von Louis Althusser kommend dem Begriff der "Ideologie" zu, spezifisch zugespitzt auf Geschlecht.

"„Es ist nur allzu bekannt, dass der Vorwurf, man befinde sich in der Ideologie, immer nur den anderen gegenüber gemacht wird, nie sich selbst gegenüber“, schrieb der Philosoph Louis Althusser in seinem Essay Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970, dt. 1971, online unter www.b-books.de/texteprojekte/althusser/index.html). Es „glauben sich (gerade) diejenigen, die sich in der Ideologie befinden, (…) außerhalb der Ideologie“. Erst ein wissenschaftlicher Zugang ermögliche es partiell, einen Blick von außen auf Ideologie zu gewinnen. Wobei auch dieser Blick beschränkt sein kann (und oft beschränkt sein wird), weil Ideologie auch Wissenschaften durchzieht.

Althusser wirft einen kritischen Blick auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche, in denen Ideologie – die er als unhinterfragtes Tun versteht – die primäre Form darstelle, die Menschen zu regieren, während repressive Formen sekundär blieben. So „‚dressieren‘ die Schule und die Kirchen (zwar repressiv) mit den entsprechenden Methoden der Strafe, des Ausschlusses, der Auswahl usw.“, werden die Kinder dort aber im Wesentlichen nicht-repressiv in die ideologische Struktur der Gesellschaft eingebunden. Sie werden in Schule, Kirchen etcetera zu Subjekten geformt und mittels Ideologie regierbar gemacht. ..." Weiter beim Tagesspiegel

voss_wolter_queer_anti_kapitalismusDas von Salih Alexander Wolter und mir verfasste Buch "Queer und (Anti-) Kapitalismus" kommt nun in die zweite Auflage. Noch einmal besonders großen Dank an die Freund_innen, die uns bei der Arbeit an diesem Buch mit Rat und Kritik unterstützten - und natürlich an alle, die es dann klug rezensiert oder bei Lesungen mit uns darüber diskutiert haben.

Das Buch ist überhall im Handel erhältlich. Informationen finden sich hier - beim Verlag. Eine Übersicht über die erschienenen Rezensionen findet sich hier.

Und gleich ein weiterer Hinweis: Zülfukar Çetin, Salih Alexander Wolter und ich arbeiten derzeit an einem - neuen - gemeinsamen Band. Er ist zum Thema "Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität" (vorläufiger Titel) und wird zur Leipziger Buchmesse 2016 im Gießener Psychosozial-Verlag erscheinen.

marta_pressGern weise ich auf das Buch "Sexes of Winds and Packs. Rethinking Feminism with Deleuze and Guattari" von Johannes Ungelenk hin, in dem er die Konzepte von Judith Butler und Luce Irigaray diskutiert und mit Begriffen von Gilles Deleuze und Félix Guattari eine queer-feministische Alternative ausarbeitet. Das ist ein interessantes - und geglücktes - Unterfangen. Erschienen ist das Buch im schönen, feministischen und queeren Verlag Marta Press: http://www.marta-press.de .

Johannes Ungelenk
Sexes of Winds and Packs. Rethinking Feminism with Deleuze and Guattari
# Marta Press Hamburg
# Dezember 2014 / 172 Seiten / 24,90 EUR
# ISBN 978-3944442-26-6
# http://www.marta-press.de/cms/verlagsprogramm/johannesungelenk-sexesofwindsandpacks
# Ein Rezensionsexemplar kann direkt bei Johannes Ungelenk bestellt werden: johannes.ungelenk@googlemail.com .

Klappentext:
Is Feminism without the agency of sexed subjects possible? Can the problems of a highly gendered world be formulated and tackled without resorting to the notion of fundamental sexual difference? Is it possible for a Feminism that is not based on the assumption of sexed beings to gain any consistency and follow any concerted strategy?
The project of this study is not only to show that all these questions can be answered with a full-hearted – Yes! – but to explore the huge scope of conceptual and also practical possibilities that are created by this change of paradigms. Possibilities that are foreclosed – as the first chapters attempt to work out – by Judith Butler’s so important theory of gendered subjects, and limited by Rosi Braidotti’s or Elizabeth Grosz’s endeavours to read Deleuzian concepts under the assumption of Irigarayan sexual difference. Gilles Deleuze’s and Félix Guattari’s thinking provides us with conceptual tools for a thorough analysis of the status quo – and means for conceptualising resistance that do not perpetuate the power structures it is fighting against. This book is an invitation to get in touch with these tools, join the alliance (no matter whether ‘queer’ or ‘feminist’) – and ‘Make Rhizomes’!

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Forschung_im_QueerformatForschung im Queerformat: Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.)
09/2014, 312 Seiten, 24,99 Euro
ISBN 978-3-8376-2702-2
Informationen hier, beim Transcript-Verlag

Ich möchte zur Lektüre und Diskussion anregen:
Das Buch „Forschung im Queerformat“ leistet das, was ein guter wissenschaftlicher Tagungsband machen soll. Es bringt unterschiedliche Perspektiven zueinander und in Diskussion. Und es zeigt auch, dass einige Perspektiven auf der Konferenz weitgehend ausgeschlossen blieben und ermöglicht damit, dass die Organisator_innen von Folgeveranstaltungen solche Ausschlüsse vermeiden. Besonders hervorheben möchte ich zwei Beiträge: Der Aufsatz von Saideh Saadat-Lendle und Zülfukar Çetin „Forschung und Soziale Arbeit zu Queer mit Rassismuserfahrungen“ fokussiert und kritisiert die rassistischen und identitären Zuschreibungen in den Studien der vermeintlichen ‚Opferberatung‘ Maneo, in der Simon-Studie und in LSVD-Kampagnen. Mit Blick auf den Kongress zeigen sie, wie Expertisen von Selbstorganisationen insbesondere von Personen of Color von den Organisator_innen als wissenschaftlich nicht relevant klassifiziert und aus dem Erkenntnisprozess der Konferenz ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig regen sie eine klare Lösung an: „Da sich ein ganzer Block dieses Kongresses mit der ‚Partizipativen Forschung‘ auseinandergesetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Reflexion über unsere Kritik in Bezug auf die Auswahl der Referent_innen des Kongresses die zukünftige Praxis […] zugunsten eines partizipativen Ansatzes beeinflussen kann.“ (S. 248) Der zweite Beitrag, der hier Erwähnung finden soll, ist der Aufsatz „Cruzando Fronteras – zur Heteronormativität von Grenz- und Migrationsregimen am Beispiel von Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“, der von Elisabeth Tuider und Ilka Quirling verfasst wurde. Sie geben dort einen Überblick über wichtige postkoloniale Arbeiten zum Thema und juristische aufenthaltsrechtliche Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Sie zeigen, wie Letztere von „normative[n] Vorstellungen von ‚normaler‘ Sexualität, Familie, Geschlecht und Einwanderung“ (S. 266) geprägt sind sowie „Herkunftsländer homogenisiert und kulturalisiert, nicht selten als ‚traditionell‘ und damit explizit heterosexuell skizziert“ (ebd.) werden. Das wirkt sich exemplarisch so aus, dass einer Antragstellerin – einer Trans*frau – nicht geglaubt wird, dass sie von vier Polizisten vergewaltigt wurde und u.a. deshalb fliehen musste, weil der Sachbearbeiter das Herkunftsland als homophob erkennt, so dass es – so der Sachbearbeiter – „absolut unvorstellbar [sei], dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er [sic! – gemeint ist sie, die Asyl-Antragstellerin, Anm. HV] angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten“ (nach: S. 262). Neben der abstrusen Wertung, geht aus der zitierten Passage die Transphobie des Sachbearbeiters hervor, ebenso die problematische Wirkung, die sich aus starrem Identitätsdenken ergibt.

zum Band

Offenlegung: Die Autor_in dieses Beitrags war selbst auf der Konferenz vertreten und hat auch zum Band beigetragen.

voss_wolter_queer_anti_kapitalismusDas Buch "Queer und (Anti-) Kapitalismus" ist nun erschienen und kann ab sofort beim Verlag bestellt und bei jeder Buchhandlung bezogen werden!

Voß, Heinz-Jürgen / Wolter, Salih Alexander:
Queer und (Anti-)Kapitalismus
Schmetterling-Verlag
2. Aufl. 2015 (1. Aufl. 2013) / 160 Seiten / 12,80 EUR
ISBN 3-89657-061-7

Klappentext:
Die ‹Erfolgsgeschichte› der bürgerlichen Homo-Emanzipation in den westlichen Industriestaaten während der letzten Jahrzehnte fällt mit der neoliberalen Transformation der Weltwirtschaft zusammen. Während vor allem weiße schwule Männer Freiheitsgewinne verbuchen, kommt es zu einem entsolidarisierenden Umbau der Gesellschaft, verbunden mit zunehmend rassistischen Politiken im Innern; zugleich dient der «Einsatz für Frauen- und Homorechte» als Begründung für militärische Interventionen im globalen Süden. Dabei waren es schon 1969 in der New Yorker Christopher Street «[S]chwarze und Drag Queens/Transgender of colour aus der Arbeiterklasse», die den Widerstand gegen heteronormative Ausgrenzung und Gewalt trugen und «sich in Abgrenzung zu weißen Mittelklasse-Schwulen und [-]Lesben ‹queer› nannten, lange bevor deren akademische Nachfahren sich diese Identität aneigneten» (Jin Haritaworn). Doch auch hierzulande sind es die queer People of Color, die aktivistisch wie theoretisch gesamtgesellschaftliche Perspektiven jenseits des gängigen Homonationalismus entwickeln.
Im Band betrachten wir die aktuell viel diskutierten Ansätze einer ‹queer-feministischen Ökonomiekritik› vor dem Hintergrund queerer Bewegungsgeschichte. Wir zeigen mögliche Verbindungen zum ‹westlichen Marxismus› Antonio Gramscis, zum postkolonialen Feminismus Gayatri Chakravorty Spivaks, zu den «Eine-Welt›»Konzepten von Immanuel Wallerstein und Samir Amin auf. Wegweisend ist für uns ein intersektionales Verständnis, wie es Schwarze Frauen und queere Migrant_innen in der Bundesrepublik bereits seit den 1980er Jahren erarbeitet haben. Uns interessiert in diesem Band, wie Geschlecht und Sexualität – stets verwoben mit Rassismus – im Kapitalismus bedeutsam sind, sogar dort erst aufkommen oder funktional werden. Theoretisch, historisch und immer mit Blick auf Praxis untersuchen wir die Veränderungen der Geschlechter- und sexuellen Verhältnisse der Menschen unter zeitlich konkreten kapitalistischen Bedingungen. Wem nützen die geschlechtlichen und sexuellen Zurichtungen der Menschen im Kapitalismus, und was lässt sich aus den historischen und aktuellen Kämpfen für queere Kapitalismuskritik lernen?
Interview zum Buch, bei Radio Corax (Halle): hier online.
Eine Übersicht über erschienene Rezensionen findet sich hier und wird laufend aktualisiert.

Cover Queer zum Staat - Querverlag
Rezension von: Helga Haberle, Katharina Hajek, Gundula Ludwig, Sara Paloni (Hrsg.): Queer zum Staat: Heteronormativitätskritische Perspektiven auf Staat, Macht und Gesellschaft. Berlin: Querverlag (2012, 227 Seiten, broschiert, 14,90 EUR). Zuerst veröffentlicht in den Rosigen Zeiten (www.rosige-zeiten.net).
Die aktuellen kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse sind durch eine Flexibilisierung und Individualisierung der Lebensbereiche gekennzeichnet. Insbesondere bzgl. Geschlecht und Sexualität werden die Veränderungen von Menschen als konkrete Befreiungen erlebt: So ist gleichgeschlechtliches sexuelles Tun nicht mehr strafbar. Dem „alten patriarchalen Modell [wurden] Rechte und Freiheiten abgerungen“ (Wagenknecht 2005) – dafür waren konkrete Kämpfe von Menschen nötig, insbesondere der Frauen-/Lesbenbewegung. Gleichzeitig zeigt sich, dass durch diese Veränderungen die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht erschüttert wird. Vielmehr können die flexibilisierten und individualisierten Individuen zum aktuellen Entwicklungsstand des Kapitalismus sogar noch intensiver ausgebeutet werden. Es bleibt dem Kapitalismus damit nicht einfach „völlig äußerlich“, was die Individuen tun, wie Volkmar Sigusch in „Neosexualitäten“ (2005) vermutete, sondern die derzeitige Aktualisierung ermöglicht es, „individuelle Kreativität auszubeuten“, „kollektive Widerstände zu verhindern“ und sie bedeutet, die „Verwandlung von allem und jedem in Waren, einschließlich der menschlichen Sinnlichkeit“ (Wagenknecht 2005). Anknüpfend an Leo Kofler lässt sich weiter festhalten, dass die aktualisierten kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse „erotische - und das heißt hier vornehmlich sexuelle - Freiheit versprech[en] und formell auch gewähr[en], aber allein zu dem Zweck, um das Individuum über die psychischen Prozesse der Verinnerlichung und der Identifikation um so stärker an die repressive Ordnung zu fesseln, damit der bestehenden Unterdrückung Dauer zu verleihen.“ (Kofler 1985)

Vor dem Hintergrund der Diagnose, dass gesellschaftliche Kämpfe gut in Herrschaftsverhältnisse integrierbar sind, finden aktuell emanzipatorische Positionsbestimmungen statt. „Que[e]r zum Staat: Heteronormativitätskritische Perspektiven auf Staat, Macht und Gesellschaft“ ist eine solche, die insbesondere eine Analyse der Veränderungen bezogen auf Staatstheorien anbietet. Die Autor_innen des Sammelbandes gehen hierbei von Beschreibungen aus, dass die Europäische Union „toleranter“ werde, insbesondere bezogen auf geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung. Dabei führt Volker Woltersdorff sehr richtig an, dass diese hegemoniale Durchsetzung von „Toleranz“ zwischen „innen“ und „außen“ unterscheidet, mit „Instrumenten wie Green Card oder Frontex“ werde etwa zwischen „erwünschten und unerwünschten Arbeitssubjekten“ unterschieden (S. 129), also Rassismus mit vielen Toten staatlich durchgesetzt.Weiterlesen » » » »