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Gastbeitrag von zwei Teilnehmenden der Veranstaltung

Berlin: Es sollte ein heiterer Abend werden – mit Tunten-Performance und einem starken Zeichen für mehr Offenheit gegenüber der eigenen Weiblichkeit in der Schwulen-Szene. Was aber am 18. November 2016 bei der von Patsy l'Amour laLove gehosteten „Polymorphia“ im SchwuZ abging, war krass.

Ausgangspunkt war eine spontane Stand-up-Performance einer weiß-deutschen Darstellerin, die sich als „Geschichtslehrerin“ vorstellte. Sie holte das Thema Konzentrationslager und Nazi-Zeit auf die Bühne. Inhalt der Performance war eine Klassenfahrt zur Gedenkstätte Sachsenhausen. Einer der größeren Witze richtete sich darauf, dass die Schüler dort ja nur zu Besuch seien – sie und Publikum: „Haha“. Sie jammerte darüber, dass die Gedenkstättenpädagogik sie sicherlich als Nazis wahrnehmen würde, denn die Kids hätten lieber geredet und wären nicht so aufmerksam gewesen.

Sie sei aber kein Nazi, auch wenn sie - bei ihrer Performance - hohe Lederstiefel trage – sie und Publikum: „Haha“.

Dann hätten ihr zwei (gleichgeschlechtliche) Schüler_innen erzählt, dass sie jetzt zusammen seien. Sie – die Lehrerin – sei ja vor der Klasse geoutet. Sie habe die beiden trotzdem angeherrscht, dass sie leise sein sollten, weil sie ja schließlich „im KZ“ seien. Nachher habe sie sich geschämt, denn es könne nicht angehen, dass sich „Schwuchteln“ an so einem Ort gegenseitig zum Schweigen brächten, schließlich seien sie dort ermordet worden.

Das Ganze wurde in selbstkommentierter Slapstick-Art performt. Das Publikum ist mitgegangen, hat den Auftritt am Ende beklatscht, und zwischendurch wurde erheitert gelacht. Dass ein solch skandalöser Auftritt mittlerweile durchgeht, dass das Publikum johlend mitmacht, weist auf einen bedenklichen Zustand der schwulen Szene hin – zumindest derjenigen, die dort war. Die „Geschichtslehrerin“ wurde weder von der verantwortlichen Einladenden noch vom Publikum von der Bühne gepfiffen, obwohl sie einerseits einem Schlussstrich-Diskurs zuarbeitete – das KZ könne verlacht werden, und es sei vollkommen selbstverständlich, dass Schüler_innen eine Geschichtsstunde dort nicht ernst nehmen würden. Gleichzeitig wird einer reinen Opfergeschichte in Bezug auf Schwule zugearbeitet. Ist das das neue selbstgerechte weiß-deutsche Geschichtsbild, das Schwule vermitteln wollen? - sollten sich die „Geschichtslehrerin“, Patsy l'Amour laLove, das SchwuZ und das Publikum fragen. Warum wird mit einer solchen Geschichtsklitterung auf der Bühne gearbeitet – anstatt sich ernsthaft einer Erinnerungsarbeit anzunehmen, in der differenziert Opfer- und Täterschaft von schwulen Männern nachgespürt wird – hier könnte auch Performance einen Beitrag leisten. Wenn es aber einer Darstellerin offenbar nicht möglich ist, ein Thema angemessen zu erarbeiten, dann sollte sie es besser lassen und stattdessen ein Geschichtsbuch lesen oder eine echte Geschichtslehrerin fragen!

Seit 1994 ist der §175, der sich gegen mann-männliche Sexualität richtete, abgeschafft. Seitdem zielt die gesellschaftliche Entwicklung darauf, dass Lesben und Schwule und zunehmend auch Trans* und Inter* nicht mehr diskriminiert werden, sondern in ihrer sexuellen und/bzw. geschlechtlichen Selbstbestimmung ernstgenommen werden sollen. Geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung kommt letztlich allen Menschen zu Gute.

Für die pädagogische Arbeit ergeben sich damit bedeutende Änderungen. So kann und darf es in Einrichtungen nicht mehr vorkommen, dass z.B. Homosexualität als Krankehti vorgestellt wird - wie es noch bis in die 1990er Jahre der Fall war. Vielmehr gilt es Kinder und Jugendliche in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen, so dass sie es nicht - oder weniger - als Problem erleben, wenn sie feststellen, nicht in die heterosexuelle, nicht in die "typisch männliche" oder "typisch weibliche" Norm zu passen. Gleichzeitig wird durch eine Toleranz und Akzeptanz fördernde Pädagogik Diskriminierung abgebaut - das Kinder diskriminierungsfrei miteinander umgehen, beginnt im Kindergarten und setzt sich in dem wichtigen Lernort Schule fort. Das Erleben in Familie und der näheren Umgebung ist ein weiteres wichtiges Lernfeld.

Auf den Einrichtungsalltag zielen Materialien, Bücher und Bücherkisten, die auf ministerielle Anforderung von Fachberatungsstellen zusammengestellt werden. Aktuell wurden zwei sehr gute und ertragreiche Bücherkisten vorgestellt: "Geschlechter- und Familienvielfalt", "Geschlecht, Sexualität und geschlechtliche und sexuelle Vielfaltin Krippe, Kindergarten und Hort". Die Broschüren geben sehr gute Anregungen und bilden eine wichtige Grundlage für eine diskriminierungsfreie und demokratiefördernde Pädagogik.

PSY-Cetin-2549-v03.inddSehr gern weise ich auf die folgenden drei Veranstaltungen in Berlin hin, bei denen das Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" gemeinsam von Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß vorgestellt wird. (Informationen zum Buch finden sich hier hier ; eine sich erweiternde Übersicht erscheinender Rezensionen findet sich hier .

Die Buchvorstellungen:

[1] 18. November 2016, 19:00 Uhr, Schwules Museum (Lützowstraße 73, Berlin)
Vorstellung und Diskussion gleich von zwei Büchern. Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß und Jule Govrin stellen ihre jeweils neu erschienen Bücher vor und diskutieren miteinander. Bücher: Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß: "Schwule Sichtbarkeit - Schwule Identität. Kritische Perspektiven"; Jule Jakob Govrin: "Sex, Gott und Kapital. Houellebecqs Unterwerfung zwischen neoreaktionärer Rhetorik und postsäkularen Politiken".

[2] 19. November 2016, 17:00 Uhr, Trude Ruth (Flughafenstraße 38, Berlin)
Vorstellung des Buches "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" und Gesprächs- und Diskussionsmöglichkeit mit den Autoren Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß.

[3] 16. Dezember 2016, 20:30 Uhr, Prinz Eisenherz Buchhandlung (Motzstraße 23, Berlin)
Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß stellen ihr neues Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" vor, das im Oktober im Psychosozial-Verlag erschienen ist. Während "Sichtbarkeit" und "Identität" auch heute noch vielfach als bedeutsam für die politischen Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt gelten, weisen beide Autoren darauf hin, wie auf diese Weise auch "ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert". Dadurch entstehen Ausschlüsse gegen Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen. Die Autoren erläutern die zwiespältige Bedeutung von "Anerkennung" und weisen auf nicht-identitäre Perspektiven hin. Buchvorstellung und Diskussion.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

PSY-Cetin-2549-v03.inddSehr gern weise ich auf das gerade erschienene Buch "Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven" von Zülfukar Çetin und mir hin. Wir freuen uns auf Diskussionen und eure und Ihre Anmerkungen. Gern könntet ihr und könnten Sie ein Rezensionsexemplar bestellen - entweder direkt beim Verlag oder bei: Heinz-Jürgen Voß, voss_heinz@yahoo.de . (Nachtrag: Mittlerweile gibt es, zusätzlich zur gedruckten Fassung, das Buch auch kostenlos zum Download (PDF-Datei).

Deutlich wird im Band u.a., dass das Konzept "Homosexualität" selbst von den emanzipatorisch Streitenden im Gegensatz zum "dem Sex 'der Anderen'" entwickelt wurde, also gegen den gleichgeschlechtlichen Sex z.B. in Süditalien und der Türkei. Von den historischen Betrachtungen wird der Bogen zu aktuellen rassistischen Debatten und Akteuren gespannt. Gleichzeitig wird analytisch hergeleitet, warum "schwul" auf Schulhöfen ein oft abwertend genutzter Begriff ist, wenn er auch meist flachsend verwendet wird; es wird klar, warum das so bleiben muss, wenn nicht auch auf neue Konzepte zurückgegriffen wird ...

Nun die detaillierten Informationen:

Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß:
Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität: Kritische Perspektiven

# Oktober 2016; 146 Seiten; 19,90 Euro
# ISSN: 2367-2420
# Psychosozial-Verlag, https://www.psychosozial-verlag.de
# Informationen zum Buch beim Verlag
# Kostenloser Download des Buches: hier (Verlagsseite)

# Klappentext:
Vorangetrieben von »Schwulen« selbst wurde seit dem 19. Jahrhundert das Konzept schwuler Identität durchgesetzt. Noch heute gelten »Sichtbarkeit« und »Identität« weithin als Schlüsselbegriffe politischer Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt. Jedoch wird aktuell immer deutlicher, dass auf diese Weise ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert. So werden beispielsweise Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen marginalisiert.

Die Autoren des vorliegenden Bandes hinterfragen die Gewissheit, dass eine einheitliche schwule Identität existiert, aus unterschiedlichen Perspektiven: bewegungsgeschichtlich, wissenschaftstheoretisch und mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Homonationalismus und rassistische Gentrifizierung.

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Sieht man auf die Berichterstattung der vergangenen Tage zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft, so wird der Eindruck einer einzigen Erfolgsgeschichte vermittelt. Zunächst hätten sich einige Lesben und Schwule beim Standesamt angemeldet - und seien noch nicht vorgelassen worden. Ab 2001 sei die standesamtliche Eintragung gleichgeschlechtlicher Paare dann möglich gewesen und hätten die Partner_innen nach und nach immer mehr Rechte erhalten.

So die Erfolgsgeschichte, wie man sie bei Queer.de und im Tagesspiegel (Queerspiegel) nachlesen kann. Aber es handelt sich um eine bereinigte Geschichte - alle alternativen und emanzipatorischen Entwürfe, die es gab, sind daraus getilgt. Was war mit der "Schlampagne", was mit der "Aktion Nein-Wort - wir scheißen auf euer Ja-Wort", was mit den Vorschlägen des Lesbenrings und des Bundesverbands Homosexualität, was mit den Vorschlägen zu "Wahlfamilien" der Partei PDS? Was war mit den Kämpfen in der Partei Bündnis 90/Die Grünen, in der sich die Männer um Volker Beck gegen die Feministinnen durchgesetzt haben? Jutta Oesterle-Schwerin von der größten Homosexuellen-Organisation dieser Zeit - dem Lesbenring - warnte ausdrücklich davor, dass nur einige Schwule und Lesben mit der Ehe in die Gesellschaft eingeschlossen würden, wohingegen andere - sie betonte gerade schwule - Lebensweisen zunehmend diskriminiert und stigmatisiert werden würden.

Anderes als die Homo-Ehe war schon in den 1990er Jahren möglich. So schrieben etwa größere Medien wie Der Spiegel schon 1996, dass in der Bundesregierung bereits Debatten über erste Regelungen im Gang seien, um das "trotz großer Reformversuche hoffnungslosveraltet[e]" (ebd.: 78) Bürgerliche Gesetzbuch wieder auf den aktuellen Stand des Zusammenlebens der Menschen und ihrer Bedürfnisse zu bringen. Der Spiegel schrieb weiter: "Was eine Familie ist, entscheidet sich künftig danach, wer mit wem beim Frühstück sitzt – und nicht mehr nach Trauschein, gemeinsamem Namen oder Stammbuch. Nicht mehr die traditionelle Ehe, sondern alle ‚auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften‘ genießen den Schutz der Rechtsordnung – so jedenfalls steht es in der neuen Landesverfassung von Brandenburg. Ähnliche Verfassungsformulierungen finden sich auch in anderen neuen Ländern." (Der Spiegel 1996: 79)

Und auch schon zu der gleichen Zeit wurde in Frankreich der PACS, der Zivile Solidaritätspakt, verankert, der mittlerweile in Frankreich pro Jahr häufiger geschlossen wird als die Ehe. Hingegen gibt es in Deutschland erst 41.000 Eingetragene Lebenspartnerschaften - auch das ist ein Votum. Damit bleibt die Forderung erhalten: Wer heiraten will, soll heiraten - und das richtig! Kein Sondergesetz! Gleichzeitig müssen wir zu einer rechtlichen Form kommen, in der Menschen das rechtlich Notwendige miteinander absichern können, was ihnen wichtig ist: Mietvertrag, Zeugnisverweigerungsrecht, Krankenhausbesuchsrecht individuell, zu mehreren Personen. Wer weiterlesen will, gern hier: "Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?"

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[Update 13.12.2015: Rosa und ich diskutieren intensiv per E-Mail. Wir arbeiten.]

Nach einem Telefonat von 55 Minuten sagt Rosa von Praunheim ein Seminar ab, das er morgen an der Hochschule Merseburg halten wollte. Nach einigen Eingangsfreundlichkeiten und nochmaliger Erläuterung der Erreichbarkeit der Hochschule Merseburg, kam das Telefonat rasch auf den Begriff Person of Color. Rosa erläuterte, dass er den Begriff bisher noch nicht kannte und es schwierig fände, wenn eine migrantische Person, die er selbst als weiß zuschrieb, sich als „of Color“ bezeichnete. Davon aus kamen wir im Gespräch zu der bei Tea-Riffic (später bei Mädchenmannschaft) formulierten Kritik und der Gegendarstellung auf der Facebook-Seite Rosa von Praunheims. Ich regte an, dass Rosa beides beim Seminar in Merseburg aufgreifen und in die Diskussion bringen sollte. Und weiter ging es zu „dem Islam“. Bei ihm wollte Rosa keinerlei Unterscheidung zulassen. Alle homosexuellen muslimischen Männer und Frauen seien unterdrückt. Das gelte sowohl für islamisch geprägte Länder als auch für Musliminnen und Muslime in Berlin. Diese trauten sich – nach Meinung Rosas – nicht vor seine Kamera, weil sie Angst hätten von den Eltern in „ihren Herkunftsländern“ erkannt zu werden. Besorgt zeigte sich Rosa über die Geflüchteten – sei seien muslimisch und damit homophob. Abwehrend verwies ich auf Basisargumente – etwa die von Zülfukar Çetin in seiner Dissertation „Homophobie und Islamophobie“ ausgewerteten Interviews und das von Thomas Bauer veröffentlichte Buch „Die Kultur der Ambiguität: Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt“. Das wollte Rosa von Praunheim nicht gelten lassen. Auch Verweise auf gelebten gleichgeschlechtlichen Sex etwa in Afghanistan, mehrere Geschlechter und institutionalisierte Geschlechterkategorien etwa in Pakistan ließ Rosa von Praunheim nicht gelten. Die Diskussion verlief ruhig aber bestimmt von beiden Seiten. Ich regte an, den morgigen Austausch mit den Merseburger Studierenden für die Diskussion zu nutzen. Rosa fragte, ob auch Gender-Studierende in Merseburg seien. Ich sagte ja und diversifizierte ein wenig unterschiedliche berufliche und Bildungs-Verortungen. Da kam auf einmal von Rosa die Ansage, dass er für morgen absage und dass ich das Seminar in Vertretung für ihn allein geben solle. Er fühle sich selbst nicht den aktuellen Debatten gewachsen, sei mittlerweile schon älter und stecke nicht mehr so in den aktuellen Diskussionen. Gerade Kritiken von Genderseite seien problematisch. Seine Sicht schöpfe aus der Erfahrung, meine sei hingegen nur theoretisch und stamme von empirischen Studien und würde lediglich die Ränder betreffen. Seine Sicht treffe zu. Ich regte noch einmal an, dass Seminar gerade für die Debatte zu nutzen. Rosa von Praunheim lehnte das ab und meinte nur, dass er sich entschieden habe. Ich setzte noch einmal an, und sagte, dass er die Entscheidung einfach noch einmal überschlafen sollte… Noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, hatte er aufgelegt.

Ich finde es schade. Wie sollen eigene weiße Selbstverständlichkeiten reflektiert und bearbeitet werden, wie sollen „Vorurteilshamster“, wie soll antimuslimischer Rassismus in der deutschen Gesellschaft bearbeitet werden, wenn sich selbst eine Person, die kritische Debatte gewöhnt sein sollte, nicht traut, mit 21 Studierenden zu diskutieren. Sehr schade. Von dem neuen Film „Überleben in Neukölln“ ist nach den Aussagen im Telefonat nur antimuslimischer Rassismus zu erwarten; er ist auch ein Zeichen dafür, dass die Schwulenbewegung neben der Homobefreiung eben auch ganz viel Scheiße gebracht hat – Homonationalismus und Ausgrenzung und Hass gegen andere Menschen, die genauso schön gruppiert werden wie „die Schwulen“.

Heinz-Jürgen Voß

Viele haben bereits länger darauf gewartet, weil die 1. Auflage rasch vergriffen war. Nun gibt es das wichtige Buch *"Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule”"* (hg. von Koray Yılmaz-Günay) in einer NEUAUSGABE. Es wird aktuell schon ausgeliefert, so dass es sich auch durchaus noch als Geschenk anbietet - Bestellung direkt: http://www.edition-assemblage.de/karriere-eines-konstruierten-gegensatzes/ . In einigen Buchläden (wie Eisenherz Berlin und Schwarze Risse Berlin) liegt das Buch auch schon aus.
Ich finde das Buch extrem wichtig, gerade in den aktuellen Debatten und ich möchte sehr dazu anregen, es zu lesen!

Koray Yılmaz-Günay (Hg.)
Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule”
Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001
Neuausgabe, 2014, edition assemblage
216 Seiten, 18.00 Euro
ISBN 978-3-942885-53-9
Infos und Bestellung: http://www.edition-assemblage.de/karriere-eines-konstruierten-gegensatzes/

Anfragen für Rezensionsexemplare: info@edition-assemblage.de

Bisher erschienene Rezensionen u.a.:
- http://www.kritisch-lesen.de/rezension/vom-gay-pride-zum-white-pride
- http://salihalexanderwolter.de/koray-yilmaz-gunay-karriere-eines-konstruierten-gegensatzes-zehn-jahre-muslime-versus-schwule-sexualpolitiken-seit-dem-11-september-2001/

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Forschung_im_QueerformatForschung im Queerformat: Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.)
09/2014, 312 Seiten, 24,99 Euro
ISBN 978-3-8376-2702-2
Informationen hier, beim Transcript-Verlag

Ich möchte zur Lektüre und Diskussion anregen:
Das Buch „Forschung im Queerformat“ leistet das, was ein guter wissenschaftlicher Tagungsband machen soll. Es bringt unterschiedliche Perspektiven zueinander und in Diskussion. Und es zeigt auch, dass einige Perspektiven auf der Konferenz weitgehend ausgeschlossen blieben und ermöglicht damit, dass die Organisator_innen von Folgeveranstaltungen solche Ausschlüsse vermeiden. Besonders hervorheben möchte ich zwei Beiträge: Der Aufsatz von Saideh Saadat-Lendle und Zülfukar Çetin „Forschung und Soziale Arbeit zu Queer mit Rassismuserfahrungen“ fokussiert und kritisiert die rassistischen und identitären Zuschreibungen in den Studien der vermeintlichen ‚Opferberatung‘ Maneo, in der Simon-Studie und in LSVD-Kampagnen. Mit Blick auf den Kongress zeigen sie, wie Expertisen von Selbstorganisationen insbesondere von Personen of Color von den Organisator_innen als wissenschaftlich nicht relevant klassifiziert und aus dem Erkenntnisprozess der Konferenz ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig regen sie eine klare Lösung an: „Da sich ein ganzer Block dieses Kongresses mit der ‚Partizipativen Forschung‘ auseinandergesetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Reflexion über unsere Kritik in Bezug auf die Auswahl der Referent_innen des Kongresses die zukünftige Praxis […] zugunsten eines partizipativen Ansatzes beeinflussen kann.“ (S. 248) Der zweite Beitrag, der hier Erwähnung finden soll, ist der Aufsatz „Cruzando Fronteras – zur Heteronormativität von Grenz- und Migrationsregimen am Beispiel von Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“, der von Elisabeth Tuider und Ilka Quirling verfasst wurde. Sie geben dort einen Überblick über wichtige postkoloniale Arbeiten zum Thema und juristische aufenthaltsrechtliche Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Sie zeigen, wie Letztere von „normative[n] Vorstellungen von ‚normaler‘ Sexualität, Familie, Geschlecht und Einwanderung“ (S. 266) geprägt sind sowie „Herkunftsländer homogenisiert und kulturalisiert, nicht selten als ‚traditionell‘ und damit explizit heterosexuell skizziert“ (ebd.) werden. Das wirkt sich exemplarisch so aus, dass einer Antragstellerin – einer Trans*frau – nicht geglaubt wird, dass sie von vier Polizisten vergewaltigt wurde und u.a. deshalb fliehen musste, weil der Sachbearbeiter das Herkunftsland als homophob erkennt, so dass es – so der Sachbearbeiter – „absolut unvorstellbar [sei], dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er [sic! – gemeint ist sie, die Asyl-Antragstellerin, Anm. HV] angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten“ (nach: S. 262). Neben der abstrusen Wertung, geht aus der zitierten Passage die Transphobie des Sachbearbeiters hervor, ebenso die problematische Wirkung, die sich aus starrem Identitätsdenken ergibt.

zum Band

Offenlegung: Die Autor_in dieses Beitrags war selbst auf der Konferenz vertreten und hat auch zum Band beigetragen.

von Heinz-Jürgen Voß, zuerst veröffentlicht in Rosige Zeiten (Heft 150, S.28/29)

Schon vor den Weltkriegen wurde in deutschen Medien ein Bild Russlands als ‚aggressiv‘, ‚barbarisch‘, ‚unzivilisiert‘ und ‚unerschlossen‘ gezeichnet. In entsprechende Beschreibungen und Karikaturen waren ebenso antisemitische Stereotype und seit der Oktoberrevolution auch ‚Warnungen vor den Bolschewisten‘ eingeflochten. Das nationalistische und völkische Deutschland wollte seine Vormachtstellung in Europa und in der Welt behaupten. Vor diesem Hintergrund, der mit den Weltkriegen folgenden Geschichte, dem Rassenwahn, der Ermordung von Millionen von Menschen durch die Deutschen, erstaunt es schon sehr, wenn man heute in Texten und Abbildungen wieder auf das Bild Russlands als eines zu zivilisierenden Nachbarn stößt.

Damals wie heute beteiligen sich an diesen Zuschreibungen auch Männer, die auf Männer stehen. In den 1920er Jahren etwa bediente Adolf Brand in der schwulen Zeitschrift Der Eigene unverhohlen nationalistische Klischees und wandte sich gegen die ‚Weimarer Toleranz‘. Lieber als das von Magnus Hirschfeld gezeichnete Bild geschlechtlicher Zwischenstufen war ihm der ‚kernige‘, ‚arische‘ Mann. Heute sind es ebenso vielfach deutsche Schwule, die die plumpesten und dümmsten Vorurteile über Russland schüren – und dabei ebenso insbesondere deutsche Interessen verfolgen.

Denn würde es in den aktuellen Auseinandersetzungen um die Interessen russischer Schwuler und Lesben gehen, dann müssten einige Grundfesten gesetzt sein: Es wäre dann klar, dass sie den Ton und die Richtung des Streitens angeben müssten. Gesetze in Russland gegen Lesben und Schwule und dortige rechtsradikale Übergriffe treffen schließlich sie. Sie sind in Gefahr, während Vertreter des deutschen schwulen Establishments, die am Berliner Potsdamer Platz medienwirksam Fackeln anzünden, keinerlei Gefahr ausgesetzt sind, sondern nach der Aktion sich zu Hause auf ihr Sofa setzen. Letztere beteiligen sich mit solch plakativen Aktionen nur an der deutschen Großerzählung, dass Deutschland emanzipatorisch geworden sei und lenken ab von den rechtsradikalen Übergriffen in Deutschland und auch von den rassistischen und transphoben Übergriffen in der schwulen Szene selbst. Bei der „No Compact!“-Konferenz in Leipzig drückte es ein Vertreter russischer lesbisch-schwuler Selbstorganisationen deutlich aus: „Das Beste was ihr tun könnt, macht eure eigenen Hausaufgaben.“

Also: Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung des Streitens angeben. Eine Unterstützung aus Deutschland muss sich davor hüten, dominant zu werden. Gleichzeitig gilt es, die postkolonialen Kritiken unter anderem von Gayatri Chakravorty Spivak zu verstehen: Sie macht an verschiedenen Beispielen deutlich, wie durch westliches Einmischen und westliche Zuschreibungen die Menschen, die eigentlich von bestimmten Restriktionen und Gewalt betroffen sind, zum Schweigen gebracht werden. Gerade durch das westliche Selbstverständnis eigener ‚Zivilisiertheit‘ und die entsprechenden Interventionen mit erhobenem Zeigefinger (wenn nicht gleich mit Panzern), und auch vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Kriegen, bestärken diese Interventionen konservative Sichtweisen. In Russland wird die Berechtigung von Spivaks kritischer Sicht deutlich: Präsident Wladimir Putin setzte das Gesetz gegen die öffentliche Werbung für Homosexualität insbesondere mit solcher Argumentation durch, dass man sich vom Westen nichts vorschreiben lassen wolle und es gar nicht um die Interessen von Russ_innen gehe, sondern um solche – wie er sich ausdrückte – ‚westlicher Agenten‘. Hier sucht und findet er den Schulterschluss mit konservativen und nationalistischen Kräften in Russland.

In diesem Sinne trägt die Thematisierung und Instrumentalisierung von Homosexualität in Russland aber einen ähnlichen Charakter, wie man es auch andernorts feststellen kann. Es wird von inneren ökonomischen Schwierigkeiten (viele Menschen sind arm) abgelenkt und eine nationale Idee propagiert. Es ist interessant, wie die Thematisierung von Homosexualität auffällig oft parallel zu weitreichenden politischen Entscheidungen in Ländern geschieht. So wurde in Frankreich im vergangenen Jahr der Kriegseinsatz in Mali durchgesetzt, was aber in der öffentlichen Wahrnehmung unterging, weil alle sich über die Öffnung der Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle stritten. In Deutschland war es Ende der 1990er / Anfang der 2000er Jahre ebenso: Während intensiv über das neue Sondergesetz für Lesben und Schwule, die ‚Homo-Ehe‘, diskutiert wurde, konnte die Neubestimmung Deutschlands als militärische Weltmacht – unter anderem mit dem Krieg gegen Afghanistan – durchgesetzt werden.

Warum lassen sich Schwule so für nationale deutsche Interessen instrumentalisieren, wo es doch seit den Anfängen der so genannten Schwulenbewegung darum ging, sich gegen Herrschaft und Unterdrückung, gegen den repressiven deutschen Staat aufzulehnen? Ein Umdenken ist erforderlich. Konkret bedeutet dies für die Unterstützung russischer Lesben und Schwuler:

- Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung und die Aktionsformen angeben; Deutsche müssen stets die eigene Position reflektieren und im Blick haben, wann eine Unterstützung umschlägt und nur noch der eigenen Selbsterhöhung dient.

- Medienbeiträge in Deutschland helfen erst einmal russischen Lesben und Schwulen nicht – sie dienen eben im Wesentlichen einer Selbsterhöhung der Deutschen (‚ach, wir sind ja so emanzipatorisch…‘). Wenn berichtet werden soll, ist stets der postkoloniale Hintergrund zu beleuchten und sollten Interviews (offen, nicht gerichtet) mit Russ_innen erfolgen

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Da sicherlich für die_den eine_n oder andere_n interessant, möchte ich gern auf den Beitrag "Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?" hinweisen. Er skizziert Antworten auf die Frage: Was kommt nach der (Homo-)Ehe? Wie kann Familienpolitik aussehen, die nicht kartiert und Menschen ihre Lebensweise vorschreibt, sondern die sich an den Lebensweisen der Menschen orientiert und in der Art eines 'Baukastenmodells' individuelle Lösungen anbietet, um rechtsverbindliche Sicherheiten in diesen Modellen zu schaffen....

Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?
Abstract: Bei der medialen Aufmerksamkeit für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bzw. der Schaffung der ,Homo-Ehe' als Sondergesetz sind die in den 1990er Jahren alternativ verhandelten Familienmodelle aus dem Blick geraten. Dabei fanden in der Bundesrepublik Deutschland intensive Diskussionen statt, und es war keineswegs ausgemacht, dass sich die ,Homo-Ehe' durchsetzen würde. Da auch in den aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen (vgl. Suck 2010; Raab 2011) kaum auf die alternativen Familienmodelle gesehen wird, werden diese hier fokussiert. Im Blickpunkt stehen das Wahlfamilien-Modell und der PACS als Alternativen zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Der Beitrag findet sich in der Zeitschrift PROKLA (Nr. 173; bestellbar auch als Einzelheft hier: http://www.dampfboot-verlag.de/form_proklaabo.php ).