In Reaktion auf die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages hat das von Kinder- und Jugendärzt*innen dominierte Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V. eine Stellungnahme veröffentlicht.
Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages gegen die Anwendung von Pubertätsblockern bei Jugendlichen und gegen die Veränderung der behördlichen Papierform (Geschlechtseintrag) haben gesellschaftlich für Aufregung gesorgt. Die hier etwas schnell agierende, flatterhafte CDU-Fraktion im Bundestag hat sogleich einen Antrag zur Veränderung des Selbstbestimmungsgesetzes veranlasst, um für Jugendliche die Selbstbestimmung einzuschränken. Daher hier schon eine erste kurz eine Einordnung:
Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages widersprechen den weltweiten medizinischen Übereinkünften der Ärzteschaft. Die World Medical Association hält in ihrem "Statement on Transgender People" fest:
"The WMA emphasises that everyone has the right to determine one’s own gender and recognises the diversity of possibilities in this respect. The WMA calls for physicians to uphold each individual’s right to selfidentication with regards to gender." ("Die WMA betont, dass jeder Mensch das Recht hat, sein Geschlecht selbst zu bestimmen, und erkennt die Vielfalt der Möglichkeiten in dieser Hinsicht. Die WMA fordert die Ärzt*innen auf, das Recht jedes Einzelnen auf Selbstbestimmung des Geschlechts zu wahren.")
WMA Statement on Transgender People
In Reaktion auf die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages hat das von Kinder- und Jugendärzt*innen dominierte Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit e.V.eine Stellungnahme veröffentlicht. Diese argumentiert auf Basis der aktuellen Evidenz - anders als die rasch gefassten Beschlüsse des Deutschen Ärztetages, die ohne jede Literaturverweise auskommen - und kommt zu der Ableitung:
"Transidente Kinder und Jugendliche haben ohne Behandlung eine erhöhte psychische Morbidität und erleiden häufiger Diskriminierung und Gewalt. Medizinische Maßnahmen, die Pubertätsblockade, geschlechtsangleichende Hormontherapie, Psychotherapie und eine chirurgische Behandlung einschließen können, steigern ihr Wohlergehen in ihrem selbstgewählten Geschlecht. Ihre Lebensqualität ist höher, und sie haben zumindest mittelfristig eine geringere assoziierte psychische Morbidität. Daher kann eine solche Behandlung ethisch gerechtfertigt sein. Die langfristigen Ergebnisse bedürfen dringlich der weiteren Erforschung. Die ethische Bewertung muss mit wachsender Studienlage stets aktualisiert werden. Voraussetzung für die Behandlung ist eine interdisziplinäre Beratung der Betroffenen und ihrer Sorgeberechtigten und eine größtmögliche Sicherheit, dass die Entscheidung mit ausreichender Reife selbstbestimmt erfolgte."
KJG (2024): Ärztliche Maßnahmen bei transidenten Kindern und Jugendlichen
Weitere Stellungnahmen sind derzeit in Vorbereitung. Es ist für die Ärzt*innenschaft blamabel, dass - ohne jegliche Evidenz und ohne jegliche Literaturverweise - so weitreichende Beschlüsse gefasst werden. Sie widersprechen dem Hippokratischen Eid und dem Genfer Gelöbnis, die beide zu Sorgfalt in der Bearbeitung von Themen mahnen und darauf orientieren, Menschen - auch jungen Menschen - zu nützen und nicht zu schaden.
Heinz-Jürgen Voß, Merseburg, Professur für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung
Im November 2021 finden drei Fachtage zu Trans*, Inter* und Non-Binarität in (a) pädagogischen Berufen, (b) Gesundheitsberufen, (c) in Verwaltung und Polizei statt. Interessierte sind herzlich eingeladen.
gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist es der Hochschule Merseburg möglich, im November 2021 drei hochkarätig besetzte Fachtage zu Trans*, Inter* und Non-Binarität in verschiedenen beruflichen Feldern auszurichten. Die Fachtage richten sich an Fachkräfte, Entscheidungsträger*innen, Studierende/Auszubildende und weitere Interessierte. Sie zielen einerseits auf den fachlichen Austausch, andererseits auf die Weiterentwicklung der jeweiligen Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Information und Anmeldung zu den Fachtagen:
(1) Fachtag Geschlechtergerechte Pädagogik in universitären und schulischen Kontexten Datum: 8.11.2021, findet online statt Informationen: https://www.hs-merseburg.de/tinpaedagogik/
(2) Fachtag Geschlechtersensible und leitliniengerechte medizinische Versorgung und Pflege von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen Datum: 22.11.2021, findet online statt Informationen: https://www.hs-merseburg.de/tingesundheit/
(3) Fachtag Geschlechtergerechte Begleitung von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen durch Verwaltung und Polizei Datum: 30.11.2021, findet online statt Informationen: https://www.hs-merseburg.de/tinverwaltung-polizei/
Interessierte insbesondere aus den Berufsgruppen, aber auch darüber hinaus, sind herzlich eingeladen! Für Fragen ist das Vorbereitungsteam gern erreichbar, unter Mail: heinz-juergen.voss@hs-merseburg.de .
Neben einer frischen, sprudelnden Autobiografie und einem fundierten Einblick in juristische und biologische Belange, nimmt uns Nora Eckert mit auf einen Streifzug durch Westberlin.
Fröhlich, aber auch mit Ernst, berichtet Nora Eckert in ihrer gerade erschienenen Autobiografie „Wie alle, nur anders: Ein transsexuelles Leben in Berlin“ von ihrem Lebensweg als trans* Frau. Aus einer Arbeiterfamilie kommend, geht sie über Gießen – wo sie ihre Ausbildung macht – nach West-Berlin / Westberlin. Dort kommt sie rasch an und mag die Stadt mit all ihren Kanten. Die Stadt lässt Eckert so leben, wie sie will und wie sie ist. Ist zwar auch dort das Leben als Trans* nicht immer leicht – etwa, wenn es um die Arbeitsplatzsuche geht –, so ergeben sich doch Möglichkeiten: Nora Eckert findet eine Stelle im Chez Romy Haag, in dem Travestieclub schlechthin! Später ist sie dann langjährig als Kulturkritikerin tätig. Schwierigkeiten bereitet ihr auch das Transsexuellengesetz (TSG), das leider auch bis heute noch nicht so revidiert ist, dass Menschen ohne Hürden Vornamen- und Personenstandsänderung vornehmen lassen können.
Neben einer frischen, sprudelnden Autobiografie und einem fundierten Einblick in juristische und biologische Belange, nimmt uns Nora Eckert mit auf einen Streifzug durch Westberlin, durch eine Stadt, die Menschen Zuflucht vor der Bundeswehr bot (weil das Militär dort nicht einziehen durfte), mit einem ungeheuren kulturellen Leben und wo man den Winter riechen konnte. Die „Berliner Schnauze“ und das schnörkellose „Antipathos“ der Berliner*innen findet Nora Eckert von Anfang an vertraut. Und so ist der Band nicht nur eine lesenswerte Autobiografie, sondern auch eine Liebeserklärung an das vergangene Berlin. Lesen!
Nora Eckert: Wie alle, nur anders: Ein transsexuelles Leben in Berlin. München: C.H. Beck. Verlagslink.
Der Lehr- und Forschungsbereich für Angewandte SexualwissenschaftIn neuem Fenster öffnen der Hochschule Merseburg führt im Jahr 2021, im Auftrag des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen- Anhalts, die sozialwissenschaftliche Untersuchung PARTNER 5 durch.
Die PARTNER 5 Jugendstudie ist eine historische Vergleichsuntersuchung. Sie schließt an eine sexualwissenschaftliche Forschungstradition mit vier Vorgängerstudien (aus den Jahren 1972, 1980, 1990, 2013) an und widmet sich Fragen zum sexuellen und partnerschaftlichen Verhalten und Erleben Jugendlicher.
In besonderer Weise widmet sich die aktuelle Studie Erfahrungen mit sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt. Diese Themen sind seit #MeToo und zahlreichen Aufdeckungen von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen in den Fokus der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt. Zudem thematisiert die PARTNER 5 Jugendstudie Fragen zu den Auswirkungen der aktuellen Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie.
Die PARTNER 5 Jugendstudie wird vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. Die Untersuchung ist datenschutzrechtlich und forschungsethisch abgesichert. Die Ergebnisse der Studie fließen in die Verbesserung von Beratung, Aufklärung und Forschung zu Sexualität und in Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt ein.
Eine Teilnahme an der Untersuchung ist bis zum 20.03.2021 möglich.
Zwei aktuelle Bücher wenden sich Fragen von
Dominanz und Marginalisierung zu. Dabei ist Trans* ein zentraler Fokus, der im
Band von Mika Murstein in Verwobenheit mit anderen Herrschaftskategorien
gedacht wird.
In dem Buch „Trans. Frau. Sein. – Aspekte
geschlechtlicher Marginalisierung“ geht Felicia Ewert Diskriminierungen nach, denen Frauen, die auch trans*
sind, gesellschaftlich unterliegen. Dabei nimmt sie die Leser*innen von Anfang
an mit, auch diejenigen, die sich noch nicht so intensiv mit Fragen um Trans*-
und Cis-Geschlechtlichkeit befasst haben. So erläutert Ewert zunächst ihren
Zugang zum Thema und die verwendeten Begriffe, um sich danach Fragen zuzuwenden,
wie Geschlecht in der deutschen Gesellschaft gedacht wird. Dabei erläutert sie,
wie oft ein Biologismus vorherrscht, mit dem schon rechtlich – gleich nach der
Geburt – auf ein Geschlecht erkannt wird. Im alltäglichen Umgang in der
Gesellschaft wirke dieser Biologismus fort: So suchten Menschen im alltäglichen
Umgang nach Kennzeichen an den Menschen, mit denen sie Umgang haben, um sicher
ein Geschlecht erkennen zu können. Dabei nutzten sie insbesondere körperliche
Merkmale, um Sicherheit zu erlangen. Möglichkeiten geschlechtlicher
Selbstbestimmung werden so begrenzt, wie Ewert plausibel darlegt: Menschen
müssen stets erst gegen die stereotypen Vorannahmen angehen, bevor eine
Offenheit beim gegenüber entsteht, die tatsächliche individuelle
Geschlechtsidentität wahrnehmen zu wollen und zu können. Ausführlicher erläutert
die Autorin die medizinisch-juristische Begutachtungspraxis, der Personen nach
dem Transsexuellengesetz unterzogen werden, bis sie auch staatlich und rechtlich
in ihrem eigenen Geschlecht anerkannt werden. Ewert stellt dabei auch dar,
welchen Einfluss diese Begutachtungspraxis auf die Darstellungs- und
Sprechweisen von trans* Personen haben.
Dieser gesellschaftliche
Rahmen, der die Ordnungskategorie „Geschlecht“ in der deutschen Gesellschaft im
Blick hat, wird von der Autorin in Richtung von Diskriminierungserfahrungen
insbesondere von Frauen, die auch trans* sind, erweitert. Dabei geht es u. a. um
Erfahrungen im akademischen Betrieb, bei der Toilettennutzung, aber auch in
linken und feministischen Kontexten. So herrschten auch in einigen aktuellen
feministischen Strömungen deutlich trans*-feindliche Setzungen vor. Das gehe oft
insbesondere mit einem unreflektierten Bezug auf biologischen Essentialismus
zusammen, mit dem die Unterschiedlichkeit der Frauen untereinander negiert
werde.
Ewert legt damit ein
starkes und auch kritisches Buch vor, dass einerseits Diskussionen anregen soll.
Andererseits soll es Frauen stärken, die auch trans* sind und allen anderen Leser*innen
einen Zugang ermöglichen, Marginalisierungserfahrungen von Trans*-Personen und
deren Kämpfe gegen Diskriminierungen zu verstehen – und diese zu unterstützen.
Mika Murstein zeigt im Buch „I'm a queerfeminist
cyborg, that's okay: Gedankensammlung zu Anti/Ableismus“ die Verwobenheit
von Herrschaftsverhältnissen auf. Dabei fokussiert Murstein auf Be_Hinderung. Mit
der Großschreibung von „Hinderung“ macht sie*er deutlich, dass die Gesellschaft
Menschen „hindert“, ihnen also Grundrechte verwehrt. In den aktuellen
Diskussionen um Be_Hinderung fehle bisher vollkommen „die Vorstellung von Be_Hinderung
als andauerndem und lebenswertem Zustand […]. Als erstrebenswerte Zukunft gilt
meist die Zukunft ohne Behinderung.“ (S. 11f.) Als Gegenmodell formuliert Murstein
den Ansatz der „Crip future“:
„Crip future ist eine Zukunft, in der Behinderung und ein lebenswertes, erfülltes Leben, wie es schon heute be_hinderte Menschen führen, nicht als Gegensatz konstruiert werden. In meiner Vision von crip future besitzen wir alle Werkzeuge und Hilfsmittel, die wir brauchen, die Teilhabe, Partizipation und Mobilität bedeuten würden. Diese Werkzeuge, Technik und Hilfsmittel gibt es schon reichlich, aber in der Gegenwart ist der Zugang zu ihnen beschränkt. […] Hilfsmittel sind cool. Nur leider nicht im herrschenden Diskurs. Zum Beispiel sagt die Redensart „Das ist doch nur eine Krücke!“ viel über die Sicht auf gesundheitliche Einschränkungen aus. Sie spiegelt die Wahrnehmung, es sei eine Schwäche, eine Krücke zu brauchen, wider. Dabei ist eine Krücke hilfreich, weil sie Halt und Mobilität bedeutet, genauso wie eins nicht an den Rollstuhl ‚gefesselt‘ ist, sondern dieser ermöglicht, von A nach B zu kommen und an der Welt teilzuhaben.“ (Ebd.)
Ausführlicher geht Murstein auf psychische Erkrankungen ein. Die Einschränkungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen werden in der Gesellschaft oft nicht gesehen oder, sofern sie gesehen werden, werden sie aufgeladen und teilweise sogar Berufsverbote etwa gegen Menschen, die an Depressionen leiden, diskutiert – anstatt Voraussetzungen zu schaffen, in denen ein Mensch gut mit dieser Erkrankung umgehen kann. Wie negativ psychische Erkrankungen gesellschaftlich besetzt sind, macht Murstein mit Blick auf Debatten nach Amokläufen deutlich:
„Nach sogenannten Amokläufen meist weißer Männer wird schnell nach einer psychischen Erkrankung und Ähnlichem als Auslöser gesucht. Da kann jemensch vorher ellenlange hasserfüllte Pamphlete ins Internet gestellt haben, plötzlich ist die Person, ohne vorher jemals diagnostiziert worden zu sein, angeblich ‚geisteskrank‘, ‚persönlichkeitsgestört‘ oder, auch sehr beliebt: ‚autistisch‘. Für Betroffene der disability community (Gemeinschaft) ist es immer sehr furchtbar, wenn eine solche Tat passiert und wenn bei der darauffolgenden Berichterstattung auf diese ableistischen Tropen (Sprachfiguren) zurückgegriffen wird.“ (S. 34)
Bereits aus den kurzen Zitaten
wird die sensible Sprachverwendung deutlich, die die*der Autor*in nutzt: Gut
lesbar und unaufdringlich werden Erläuterungen gegeben; Begriffe werden so
genutzt, dass sie klar sind und gleichzeitig nicht diskriminieren. Be_Hinderung
in Gesellschaft wird nicht allein, sondern verwoben mit anderen
gesellschaftlichen Strukturkategorien – Herrschaftskategorien – betrachtet.
Dabei sind Rassismus, das Geschlechter- und das Klassenverhältnis im Blick. Im
besten Sinne wird Intersektionalität vorgestellt und erläutert und dabei die
einschlägige Literatur eingewoben – so u.a. Edward Said, Kimberlé Crenshaw, Étienne
Balibar, Maisha Eggers, May Ayim, Grada Kilomba und Christiane Hutson. Es
werden historische Perspektiven auf Kolonialismus, die deutsche „Rasseforschung“
und sozialdarwinistische / eugenische Wissenschaft eröffnet.
Neben der
gesamtgesellschaftlichen Einordnung, kommt Murstein in den weiteren Kapiteln
auf die ganz konkreten Auswirkungen der Herrschaftskategorien – in ihrer
Verwobenheit – auf Menschen zu sprechen. Dabei bringt sie*er auch eigene
biografische Erfahrungen ein. Für das Verständnis der Herrschaftskategorien und
ihrer Wirkung auf ganz konkrete Menschen hat Murstein überdies ein Interview
mit der* Aktivist*in und Schriftsteller*in SchwarzRund geführt und in den Band
eingebunden, das ebenfalls sehr lesenswert ist. Abschließend werden „reaktionäre
Diskurse“ (S. 410) gewürdigt, die gerade hinter die aktuellen intersektional
entwickelten kapitalismuskritischen Analysen zurück und weiße Menschen als Standard belassen wollen. Wohltuend ist es, dass
Murstein – wie auch Ewert im zuvor angeführten Band – sich als von
Diskriminierungen und Gewalt betroffen benennen, aber gleichzeitig deutlich
machen, dass sie in Bezug auf Kolonialismus und Rassismus als weiße Personen zur privilegierten Seite
zu zählen sind. Solche Analyse und (Selbst-)Reflexion ist für mehr Arbeiten
wünschenswert!
Kurz: Bei „I'm a
queerfeminist cyborg, that's okay“ handelt es sich um einen äußerst gelungenen Band,
der gut lesbar ist und viele Perspektiven eröffnet. Ihm ist ein großes Publikum
zu wünschen.
Sehr gern weise ich auf weitere Buchrezensionen hin, die ich in den vergangenen Wochen veröffentlicht habe:
(1) "Geschlecht im flexibilisierten Kapitalismus? Potenziale von Geschlechter- und Gesellschaftstheorien"
von Ilse Lenz, Sabine Evertz und Saida Ressel (Hg.)
Auf: socialnet, 15.3.2018 (Online).
(2) "Antisexistische Awareness. Ein Handbuch"
von Ann Wiesental
Auf: socialnet, 13.3.2018 (Online).
(3) "Varianten der Sexualität. Studien in Ost- und Westdeutschland"
von Kurt Starke
Auf: socialnet, 13.3.2018 (Online).
(4) "Widersprüche des Medizinischen. Eine wissenssoziologische Studie zu Konzepten der 'Transsexualität'"
von Katharina Jacke
Auf: socialnet, 7.3.2018 (Online).
(5) "Politiken in Bewegung. Die Emanzipation Homosexueller im 20. Jahrhundert"
von Andreas Pretzel, Volker Weiß (Hg.)
Auf: socialnet, 26.2.2018 (Online).
(6) "Expert_innen des Geschlechts? Zum Wissen über Inter*- und Trans*-Themen"
von Kim Scheunemann
Auf: socialnet, 7.2.2018 (Online).
Schön, dass sich Menschen Zeit für genaue Analysen nehmen. Verqueert.de hat das als Wahlanalyse in Bezug auf trans*, inter*, queere, lesbische und schwule Themen gemacht und einen lesenswerten Überblicksbeitrag verfasst. Auf diesen weise ich hiermit gern hin:
Die große Leere – Parteiencheck zur Bundestagswahl Teil 1: Was ist in der vergangenen Legislatur passiert? - Hier gehts zum Beitrag.
Einen Folgebeitrag zu den jetzt nach und nach formulierten und erscheinenden Wahlprogrammen für die kommende Bundestagswahl kündigt verqueert.de bereits an.
Wie in den Songs auch, stößt FaulenzA in dem bei edition assemblage erschienenen Buch Interessierte nicht zurück, sondern nimmt die ernsthaft Interessierten "an die Hand" und erläutert geduldig, was es mit Feindlichkeit gegenüber Trans*Weiblichkeiten auf sich hat. Dabei wendet sie sich in erster Linie an mögliche cis-weibliche, cis-männliche und trans*-männliche Unterstützer_innen von Trans*Frauen und stellt die spezifische Situation von Trans*Weiblichkeiten vor, die sich jeweils auch individuell unterscheidet. FaulenzA fokussiert bei den betrachtungen einerseits auf die gesellschaftliche Situation, mit zweigeschlechtlich-sexistischer Sozialisation etc., andererseits auf spezifische Diskriminierungen, wie sie in emanzipatorischen linken (oft cis-männlich dominierten) und queer-feministischen Kontexten vorkommen:
Trans*misogynie – das ist die Gewalt, die ich erlebe, seit ich denken kann. Ich bin mit ihr aufgewachsen, sie hat mich geprägt und geformt. Sie hat mich tief verwundet und klein gemacht. Immer wieder, jeden Tag, in unterschiedlichsten Formen. Mal durch offene aggressive körperliche, mal durch unterschwellige Gewalt. Ausgeschlossen werden, verlacht und respektlos behandelt werden gehört dazu. (S. 13)
Ausführlich erläutert sie, dass in Bezug auf FLT*I-Räume oft gerade diskutiert wird, ob Trans*-Weiblichkeiten zu diesen Räumen Zugang haben sollten. Trans*-Frauen wird dabei eine männliche Sozialisation unterstellt – FaulenzA fordert ein, dass die spezifische weibliche Sozialisation von Trans*Frauen hier anerkannt werden muss. Durch die elterliche Anforderung, männlich sein zu sollen, wobei das Kind für Fehlverhalten sanktioniert wird, erleben Trans*Weiblichkeiten massive Diskriminierung und Gewalt bereits in ihrer frühen Sozialisation. FaulenzA fordert, dass auch emanzipatorische Räume das zur Kenntnis nehmen und nicht durch den Ausschluss von Trans*Weiblichkeiten neue Diskriminierungserfahrungen dem bisher Erlebten hinzufügen sollten.
Diskriminierungen und Gewalt geht FaulenzA im Buch ausführlich nach: in Bezug auf Sozialisation, in Bezug auf Passing zur sexistisch-zweigeschlechtlichen Norm, in Bezug auf Arbeitsleben und Schutzräume. Dabei ist der Schreibstil wohltuend erläuternd und freundlich; das Buch ist insgesamt sehr achtsam formuliert und ermöglicht es damit auch Personen, die nicht von der Diskriminierung von Trans*-Weiblichkeiten betroffen sind, die erlebten Diskriminierungen und Gewalt ein Stück weit nachzuvollziehen – und die eigene Rolle zu reflektieren. Wo werden etwa stets spezifische Körperlichkeiten vorausgesetzt – gerade im Hinblick auf Genitalien und physiologische Prozesse wie Menstruation und Ejakulation? Wo werden bestimmte Verhaltensweisen unterschiedlich gewertet, nur weil sie von einem Cis-Mann, einer Cis-Frau, einem Trans*-Mann oder einer Trans*-Frau kommen? An die Beschreibungen anknüpfend können Klischees und Vorurteile reflektiert – und bearbeitet werden. Das Schlusskapitel macht hierfür konkrete Vorschläge für Unterstützer*innen – Empowerment von Trans*-Weiblichkeiten möchte FaulenzA hingegen an anderer Stelle leisten (bzw. leistet sie bereits an anderer Stelle).
Wohltuend an dem Band ist auch, dass FaulenzA Diskriminierungen und Gewalt entlang unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse reflektiert. So positioniert sie sich selbst als weiße Person, die die Möglichkeit zum Studium der Sozialen Arbeit hatte und weist immer wieder auf Diskriminierung und Gewalt hin, die mit Rassismus und Klassenverhältnissen verbunden sind:
Ich finde es super wichtig, sich die eigenen Privilegien klar zu machen und einen achtsamen Umgang damit zu finden! Dazu gehört auch, sich mit eigenem Diskriminierungsverhalten auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, dass ich über meine Privilegien als Weiße, über weiße Dominanz und verinnerlichten Rassismus reflektiere. (S. 116)
Für den verschränkten Blick und für die deutliche Thematisierung von Trans*misogynie ist das Buch sehr lesenswert. Die Songtexte aus „Einhornrap“ und die von Yori Gagarim stammenden Illustrationen machen das Buch kurzweilig – und sprechen die_den Lesende_n auf vielfältige Weise an und ermöglichen so facettenreich Räume zum Nachdenken und zur produktiven Selbstreflexion.
Buch: FaulenzA: Support your sisters not your cisters - Über Diskriminierung von trans*Weiblichkeiten. Mit Illustrationen von Yori Gagarim. edition assemblage 2017. Informationen zum Buch.
Seit 1994 ist der §175, der sich gegen mann-männliche Sexualität richtete, abgeschafft. Seitdem zielt die gesellschaftliche Entwicklung darauf, dass Lesben und Schwule und zunehmend auch Trans* und Inter* nicht mehr diskriminiert werden, sondern in ihrer sexuellen und/bzw. geschlechtlichen Selbstbestimmung ernstgenommen werden sollen. Geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung kommt letztlich allen Menschen zu Gute.
Für die pädagogische Arbeit ergeben sich damit bedeutende Änderungen. So kann und darf es in Einrichtungen nicht mehr vorkommen, dass z.B. Homosexualität als Krankehti vorgestellt wird - wie es noch bis in die 1990er Jahre der Fall war. Vielmehr gilt es Kinder und Jugendliche in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen, so dass sie es nicht - oder weniger - als Problem erleben, wenn sie feststellen, nicht in die heterosexuelle, nicht in die "typisch männliche" oder "typisch weibliche" Norm zu passen. Gleichzeitig wird durch eine Toleranz und Akzeptanz fördernde Pädagogik Diskriminierung abgebaut - das Kinder diskriminierungsfrei miteinander umgehen, beginnt im Kindergarten und setzt sich in dem wichtigen Lernort Schule fort. Das Erleben in Familie und der näheren Umgebung ist ein weiteres wichtiges Lernfeld.
Auf den Einrichtungsalltag zielen Materialien, Bücher und Bücherkisten, die auf ministerielle Anforderung von Fachberatungsstellen zusammengestellt werden. Aktuell wurden zwei sehr gute und ertragreiche Bücherkisten vorgestellt: "Geschlechter- und Familienvielfalt", "Geschlecht, Sexualität und geschlechtliche und sexuelle Vielfaltin Krippe, Kindergarten und Hort". Die Broschüren geben sehr gute Anregungen und bilden eine wichtige Grundlage für eine diskriminierungsfreie und demokratiefördernde Pädagogik.
Geschlechtliche Vielfalt (er)leben: Trans*- und Intergeschlechtlichkeit in Kindheit, Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter
von Alexander Naß, Silvia Rentzsch, Johanna Rödenbeck, Monika Deinbeck (Hg.)
Psychosozial-Verlag, Gießen
2016, 149 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-8379-2597-5