Nach einem Beschluss des Senats der Universität Magdeburg vom 8. Oktober 2014 soll die Professur „Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung“ nach dem Ausscheiden der aktuellen Lehrstuhlinhaberin nicht wieder neu besetzt werden. Das ist auch deswegen problematisch, weil es die einzige Professur mit klarer Denomination für Geschlechterforschung ist, nicht nur an der Universität Magdeburg, sondern an allen Universitäten und Fachhochschulen des Landes, und weil sie mit verschiedenen Programmen sowohl in der historischen Forschung als auch zu aktuellen Fragen – etwa der Chancengleichheit im MINT[1]-Bereich – an der Hochschule den Takt angibt.
Gerade an der Universität Magdeburg scheint eine dauerhaft institutionalisierte Geschlechterforschung unerlässlich zu sein, da der Anteil von Frauen an den Professuren im bundesweiten Vergleich mit nur 12 Prozent sehr gering ist (Jahr 2007; Quelle, S.6). In der Bundesrepublik Deutschland lag der Anteil der Professorinnen zuletzt immerhin bei 20 Prozent (Jahr 2012), wobei der Frauenanteil unter den am höchsten dotierten Professuren geringer ist (15 Prozent). Im internationalen Vergleich steht Deutschland zurück: Finnland wartet mit 24 Prozent Frauenanteil auf, die Schweiz mit 26 Prozent und die Türkei mit 28 Prozent (Quelle; und: Borchers 2013: u.a. S.375 [2]).
International hat die Bundesrepublik Deutschland Nachholbedarf. Gerade den Standort Sachsen-Anhalt und die Universität Magdeburg für Frauen attraktiv zu machen und so tatsächlich um die ‚die besten Köpfe konkurrieren‘ zu können, erfordert einiges Tun. Das geht nicht ohne Fachexpertise – und es geht nur mit Anstrengungen in allen Fachbereichen. Fragen müssen sein, wie etwa mehr Frauen als Studierende für wissenschaftliche Disziplinen gewonnen werden können und wie die so sehr gut ausgebildeten Wissenschaftlerinnen auch an den wissenschaftlichen Einrichtungen gehalten werden können. Dafür sind gründliche Analysen und Konzepte nötig, gilt es aber auch, Frauen ausschließende männerbündlerische Strukturen, die selbstverständlich historisch gewachsen sind und deren Genese vielfältige Einblicke in die sich dahinter verbergenden Machtstrukturen erlaubt, aufzulösen. Dass Mackergehabe ein Ende haben muss, wurde zuletzt durch die sexistischen Äußerungen von Gerald Wolf in der Tageszeitung Volksstimme vom 18. November 2014 deutlich. Wolf lehrte immerhin bis 2008 an der Universität Magdeburg, gleichwohl blieben seine Ausführungen in der Volksstimme unwidersprochen.
Wie wichtig gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern (und Menschen, die sich anders* definieren) in Wirtschaft und Wissenschaft ist, haben global agierende Unternehmen, aber auch die Gremien der Europäischen Union, die deutsche Bundesregierung und die Regierungskoalition längst erkannt. Antidiskriminierungsregelungen zielen seit einigen Jahren darauf ab, möglichst gut die Kreativität und das Engagement von vielen Menschen zur Generierung von ökonomischem Gewinn und Wissen zu nutzen – eine noch länger fortdauernde Benachteiligung von Frauen in Wirtschaft und Wissenschaft würde hingegen Potenziale schmälern.[3] Zugleich ist mittlerweile weithin wissenschaftlich untersucht, dass Menschen, die sich in einem Unternehmen wohl fühlen, konzentrierter und besser arbeiten können – Diskriminierung vermindert hingegen die Leistungsfähigkeit, sorgt für schlechtes Betriebsklima und führt letztlich auch zu einem höheren Krankenstand.
Gender und Diversity sind ‚Zukunftstechnologien‘: Neben der grundlegenden Reflexion von Sachverhalten tragen Hochschulen gerade dazu bei, gesellschaftliche Entwicklungen zu unterstützen. Von daher ist es einerseits absurd, dass das innovative Potenzial in Magdeburg bislang nicht aufgegriffen wird: Studiengänge, Institute – mit Professuren und wissenschaftlichem Mittelbau – zu Gender und Diversity könnten letztlich die Leute ausbilden, die Gender- und Diversity-Konzepte in Unternehmen umsetzen. Sie wären zukunftweisend und schlicht gesellschaftlich nötig. Andererseits hat sich gezeigt, dass Exzellenzinitiativen nur mit grundlegender Antidiskriminierungsarbeit zu gewinnen sind. Einrichtungen, die noch immer nur von Männern dominiert sind und keine ausreichenden Anstrengungen unternehmen, um Benachteiligungen von Frauen zu verringern, werden als altbacken und ‚schnarchnasig‘ wahrgenommen.
Die Universität Magdeburg und allgemein die Hochschulen in Sachsen-Anhalt sollten sich von den aktuellen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen nicht abkoppeln lassen. Die Aufhebung der Professur für Geschichte der Neuzeit mit Schwerpunkt Geschlechterforschung wäre das falsche Signal und würde massive Lücken hinterlassen, die in der Folge nur unter größerem Aufwand wieder repariert werden könnten. Die Geschlechterforschung in Magdeburg ist aktuell ein produktiver Motor, der es der Universität Magdeburg ermöglicht, nach und nach an aktuelle Forschung anzuschließen – und Gender, Diversity und Intersectionaliy als wichtige Tätigkeitsfelder zu bearbeiten.
Die Geschlechterforschung in Magdeburg muss bleiben! …und ausgebaut werden.
Heinz-Jürgen Voß
[1] MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik.
[2] Borchers, Çiğdem (2013): Frauenstudium und Hochschulkarrieren in der Türkei. historische Entwicklungen vom 19. Jahrhundert bis heute mit vergleichendem Blick auf Deutschland. Münster etc.: Waxmann Verlag.
[3] Für diese Entwicklung sind lediglich einige altbackene Kreise nicht offen, so die rechtsextreme Zeitung Junge Freiheit, ‚männerrechtlerisch‘ dominierte Bereiche der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und Sonntagszeitung (FAS) – etwa der Leiter des Politikressorts der FAS, Volker Zastrow –, die Partei AfD und einige streng männlich-traditionell geleitete mittelständische Unternehmen ohne nennenswerte internationale Ausrichtung.
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