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Der LSVD und die Renaissance reaktionärer Familienpolitik

„Familie ist, wo Kinder sind.“ [1] – Hätte man solch einen reaktionären Familienbegriff vielleicht gerade noch bei der bayrischen Staatskanzlei vermutet, so findet man ihn nun ausgerechnet als ersten Satz einer Pressemitteilung des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) zum „Regenbogenfamilientag“. Dass sich gerade lesbische und schwule Lebensverhältnisse in vielen Fällen nicht auf Kinder beziehen, hier aber in großem Maße Verantwortung füreinander übernommen wird, taucht in der Vorstellung des LSVD gar nicht auf. Vergessen scheinen die Ansätze lesbischer und schwuler Kämpfe und die in den vergangenen 25 Jahren erarbeiteten Konzepte.

Selbstverständlich ist es wichtig, wie der LSVD es formuliert, dass Kinder aus Regenbogenfamilien gesellschaftlich gleichberechtigt anerkannt werden, und auch ist die Forderung im Kontext der bestehenden rechtlichen Regelungen logisch und konsequent, dass – wie in der heterosexuellen Ehe – auch in der gleichgeschlechtlichen Ehe der_die zweite Ehepartner_in automatisch als erziehungsberechtigtes, „leibliches“ Elternteil gilt. Deshalb sollten aber nicht sämtliche emanzipatorischen Ansätze aus dem Familien-Begriff getilgt werden. Ehemals war emanzipatorisch Familie so definiert worden:

„Familie ist im wirklichen Leben das Netzwerk an zwischenmenschlichen Beziehungen, in dem man Geborgenheit, Fürsorge, Unterstützung, Zusammengehörigkeit und Austausch erfährt. Wer zu dieser ‚Wohlfühlgemeinschaft‘ gehört, bestimmt jede und jeder für sich selbst. So können z.B. die biologischen Verwandten dazugehören, müssen es jedoch nicht.“ [2]

…so hieß es schon 1998 in einer entsprechenden Positionierung des Arbeitskreises Feministische Politik der PDS-Bundestagsgruppe. Der Bundesverband Homosexualität hatte schon 1995 weitreichende Forderungen vorgestellt, um die vielfältigen Lebensverhältnisse von Schwulen und Lesben im Sinne eines Baukastenmodells abzubilden. Zu Grunde lag die Feststellung, dass Lesben und Schwule oft gerade nicht in Zweierbeziehungen, sondern in Netzwerken miteinander leben und es entsprechend nötig ist, Krankenhausbesuchs- und Hinterbliebenenrecht sowie beispielsweise Zeugnisverweigerungsrecht mit mehreren Personen zu regeln. Damals war auch das Wohnrecht ein gravierendes Problem, da oft der Mietvertrag nach dem Tod des_der Vertragsinhaber_in für die andere(n) mitwohnende(n) Person(en) keinen Bestand hatte.

Der Bundesfrauenrat von Bündnis 90 / Die Grünen definierte im Jahr 2007 ebenfalls Familie in einem emanzipatorischen Sinne, um vielfältige Verantwortungsverhältnisse abzubilden:

„Aus grüner Sicht ist klar: Familie ist da, wo Kinder sind und wo in verbindlichen Beziehungen Verantwortung füreinander übernommen wird. Familie wird in den verschiedensten Konstellationen gelebt und alle, egal, ob Eineltern-, Regenbogen- oder Patchwork-Familien, brauchen die Unterstützung und Solidarität der Gesellschaft.“ Der Bundesfrauenrat setze sich dabei „für eine gleichstellungsorientierte, emanzipative und nachhaltige Familienpolitik ein, die alle Menschen, die für- und miteinander Verantwortung übernehmen, in den Mittelpunkt stellt und nicht bestimmte Familienmodelle oder Rollenbilder.“ [3]

Ganz ähnlich wie nun bei den Grünen (2007) hieß es übrigens auch in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2017, wo von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke Familie als etwas definiert wird, „wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“ [4].

Und einen weiteren zentralen Punkt in Bezug auf das Wohlergehen in ehelichen Beziehungen hat der LSVD weiterhin nicht im Blick, obwohl er das „Abstammungsrecht“ in seiner Pressemitteilung kritisch diskutiert. So ist in ehelichen Beziehungen durch das Ausländer- und somit auch das Abstammungsrecht der_die Partner_in ohne deutschen Pass dem_der deutschen Partner_in ausgeliefert, selbst wenn diese_r extrem gewalttätig ist. Georg Klauda kritisierte das bereits 2000 äußerst klar. Durch die (Homo-)Ehe werde, in Verbindung mit dem entsprechenden Paragraph 19 des Ausländergesetzes

„eine bis ins antike Extrem einer hausväterlichen Gewalt über Leben und Tod gesteigerte Abhängigkeit für den ausländischen Partner“ erreicht; der ‚deutsche Massa‘ könne „seineN ausländischeN GeliebteN jederzeit mit Beendigung der Beziehung und also mit sofortiger Abschiebung durch die deutsche Exekutivgewalt bedrohen.“ [5]

Eine emanzipatorische Politik ist dringend nötig und möglich. Schon 1996 hieß es in der Zeitschrift Spiegel „Die ‚beglaubigte Partnerschaft‘, wie vom Bundesverband Homosexualität gefordert [,…] wird als Lösung nun immer wahrscheinlicher.“ [6] Es kam dann anders, auch weil ein zentraler Homoverband – der LSVD – sich gegen die Interessen von Lesben und Schwulen, wie sie etwa in der Studie vom Bundesministerium für Justiz (2001) deutlich wurden, für die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“, also ein besonderes, der Ehe nachempfundenes Sondergesetz für lesbische und schwule Paare eingesetzt hatte. Damals – und heute für den Familienbegriff – verkommt der LSVD zum (konservativen) Herzschrittmacher eines „trotz großer Reformversuche hoffnungslos veraltet[en]“ [6: Der Spiegel 1996: 78] Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Heinz-Jürgen Voß

[1] Pressemitteilung des LSVD: „Familien- und Kindeswohl stärken, Familien- und Abstammungsrecht modernisieren“, vom 4. Mai 2018.

[2] Zitiert nach: Stedefeldt, Eike (1998): Ihre Vermählung geben bekannt… Der Abschied von der emanzipatorischen Lebensformenpolitik. In: Stedefeldt, Eike: Schwule Macht – oder: Die Emanzipation von der Emanzipation. Berlin: Elefanten Press. S. 11-40.

[3] Beschluss des 2. Ordentlichen Bundesfrauenrates von Bündnis 90 / Die Grünen: „Für eine gleichstellungsorientierte und geschlechtergerechte Familienpolitik“, 2007.

[4] Verqueert.de: „Zeit für neue Verwandtschaften! – die Parteien zur Bundestagswahl“, 2017. Online: https://verqueert.de/zeit-fuer-neue-verwandtschaften-die-parteien-zur-bundestagswahl/ (Zugriff: 5.5.2018).

[5] Klauda, Georg (2000): Vernunft und Libertinage. In: Bubeck, Ilona (Hg.): Unser Stück vom Kuchen? Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe. Berlin: Querverlag. S. 43-56.

[6] Der Spiegel (1996): Wozu die Quälerei? Beziehung, ja – Ehe lieber nicht. Der Spiegel, 43 (1996): 78-101. Online: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9108027.html  (Zugriff: 5.5.2018).

[7] Buba, Hans P. / Vaskovics, Laszlo A. (2001): Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter Personen und Paare. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz. Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei und Verlag GmbH.

[X] Siehe auch: Voß, Heinz-Jürgen (2013): Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag? In: PROKLA - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 173 (43. Jahrgang, Nr. 4): 615-629. Online: https://heinzjuergenvoss.de/Voss_2013_Homo-Ehe_Solidaritaetsvertrag_.pdf (Zugriff: 5.5.2018).

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