„Es liegt sowohl Wahrheit wie Humor in Lourbets […] Vermutung, dass, wenn man die Beschaffenheit der Genitalzellen [Eizelle, Samenzelle, Anm. HV] umkehrte, es für die Anhänger dieser Entwickelungslehre ein leichtes sein würde, die Kennzeichen für das Geschlecht so abzuleiten, wie sie sie jetzt für den umgekehrten Fall angeben. Es würde dann die weibliche Zelle, kleiner und beweglicher als die männliche, das Weib mit ihrer geringeren Körpergrösse, ihrem erregbaren Nervensystem und ihrer Unfähigkeit zu angestrengter Aufmerksam-keit verkörpern, während die männliche Zelle, gross, ruhig und auf sich selbst beruhend, die Grösse und Kraft, das unparteiische Denken und die leichte Kon-zentration der Aufmerksamkeit des Mannes darstellen würde.“
(Thompson, H. B. [1905, engl. 1903]: Vergleichende Psychologie der Geschlechter. Experimentelle Untersuchungen der normalen Geistesfähigkeiten bei Mann und Weib. Autorisierte Übersetzung von J. E. Kötscher. A. Stuber’s Verlag (C. Kabitzsch), Würzburg.)
Thompson, die für ihre hervorragende Dissertation ausgezeichnet wurde, bringt hier auf den Punkt (Lourbet tat dies keineswegs so deutlich), wie sich androzentrische Sicht in unsere Beschreibungsweisen einprägt. Oft wurde die Eizelle als passiv beschrieben, während die Entwicklung von der Samenzelle ausgehe - Thompson stellt dar, dass auch im umgekehrten Fall der männliche Beitrag aufgewertet worden wäre.
Interessant ist, dass noch im 19. Jh. niemand "Eizelle" oder "Samenzelle" überhaupt als Begriffe genutzt hätte, vielmehr wurde sogar oft Ähnlichkeit und Gemeinsamkeit der Vererbungsbeiträge herausgestellt. Die aktuelle sehr differente Beschreibung verstellt dabei den Blick - gerade darauf, wie Embryonalentwicklung erfolgt.
Das hier nur als kurzer Zugang und Einladung zur Beschäftigung; einführend empfohlen sei: "The Egg and the Sperm: How Science Has Constructed a Romance Based on Stereotypical Male-Female Roles", von E. Martin (1991).