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Protest angekündigt: Wenn Mediziner über „Fehlbildungen“ reden – Symposium „Disorders of Sex Development“ vom 20. bis 22. Mai in Lübeck

In Lübeck findet vom 20. bis 22. Mai das dritte Symposium on Disorders of Sex Development ("...über Störungen der Geschlechtsentwicklung") statt. Es treffen sich Wissenschaftler/innen des europäischen Netzwerks Disorders of Sex Development, das Prof. Olaf Hiort (Lübeck) seit drei Jahren leitet und das von der Europäischen Kommission mit einer Fördersumme von drei Millionen Euro gefördert wird. Proteste gegen die Tagung sind angekündigt.

In der Ankündigung der Tagung werden zwar die "medizinischen" Behandlungen von Kleinkindern uneindeutigen Geschlechts problematisiert - diese Behandlungen stehen von Seiten der betroffen gemachten Menschen seit den 1990er Jahren massiv in der Kritik. In der Ankündigung heißt es: "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung sind seltene, meist vererbbare Fehlbildungen der Hoden, Eierstöcke oder der äußeren Geschlechtsmerkmale. Die Ursache lässt sich bislang nur bei etwa der Hälfte der Patienten herausfinden. Bei betroffenen Kindern müssen oftmals schwierige Entscheidungen getroffen werden, in welchem Geschlecht die Kinder aufwachsen und welche Behandlungen vorgenommen werden sollen. Früher wurde oftmals auf Geheimhaltung gedrängt, und es wurden frühe radikale Operationen durchgeführt. Diese Umgangsweisen und Behandlungsmethoden sind zu recht kritisiert worden."

Aber von diesen Behandlungsmethoden wurde bis heute nicht grundsätzlich abgerückt. Genau wie auch die Sprache bleibt: Es wird von "Fehlbildungen" gesprochen, da wo (vermeintlich) nicht so häufige Ausbildungen des Genitaltraktes gemeint sind. Menschen werden also nach wie vor nicht in ihren individuellen Merkmalen beschrieben, dort wo nötig ggf. ein lebens- oder gesundheitsbedrohlicher Zustand behandelt, sondern es wird eine geschlechtliche Norm aufgebaut - interessanter Weise gerade über die "Fehlbildungen". Werden wir doch endlich tolerant - auch in Biologie und Medizin! (In der Biologie und Medizin der 1920er Jahre war vielen Wissenschaftlern bewusst, dass ihre Modell- und Theoriebildungen eine massive Abstraktion bedeuten und der sich tatsächlich bei Menschen zeigenden - auch geschlechtlichen - Vielfalt bei Menschen nicht gerecht werden. Helga Satzinger legte in "Differenz und Vererbung" sehr gut dar, wie verbunden mit dem deutschen Faschismus, solche auf Vielfalt orientierenden Ansichten aus der Forschung verdrängt wurden und sich simpelste Theorien durchsetzten. Die entstandene Lücke zu den konkurrierenden Theorien konnte nach 1945 nicht wieder aufgeholt werden; erst seit den 1980er Jahren rückt Komplexität wieder etwas mehr in den Blick.)

Interessant ist aber immerhin, dass selbst Hiort darauf verweist, dass nur bei etwa der Hälfte der Untersuchten eine "eindeutige Diagnose" gestellt werden kann. So schließt auch Hiort die Einladung zur Tagung mit den Worten, dass mit den von ihm durchgeführten weiteren Hormonuntersuchungen mehr Einblicke in die Geschlechtsentwicklung zu erwarten wären. Doch: Hormone werden seit nunmehr etwa 100 Jahren im Hinblick auf Geschlechtsentwicklung untersucht, Günter Dörner aus der DDR stand massiv in der Kritik, weil er sie mit der Entwicklung von (Homo)Sexualität in Verbindung gebracht hatte - er rückte später selbst von dem Standpunkt ab und erhielt für seine Forschungen und Lebensleistung das Bundesverdienstkreuz der BRD... Es stellen sich andere Fragen: Warum konnten über so lange Zeit keine eindeutigen Mechanismen der Geschlechtsentwicklung beschrieben werden? Warum muss ein Forschungsprojekt dennoch so aufgehübscht werden, dass nun in den nächsten wenigen Jahren nennenswerte Erkenntnisse zu erhalten wären? - sicherlich um die nächste Förderung rechtfertigen zu können.

Links: Pressemitteilung beim IDW.

Ein Überblick über Forschungen der Geschlechtsentwicklung, mit einem verlinkten Aufsatz. Dort finden sich auch Tipps zum Weiterlesen.

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