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Wenn rechtspopulistische Kreise gewinnen: Zu den Debatten um Sexualpädagogik und Antidiskriminierung (von Heinz-Jürgen Voß; hier als pdf-Datei)

Schon dass in der Debatte um den Bildungsplan zu sexueller Vielfalt im niedersächsischen Landtag der Begriff „Frühsexualisierung“ verwendet wurde, bedeutet einen Punktsieg für rechtspopulistische und rechtskonservative Kreise. In der Landtagsdebatte hoben gleich mehrere Redner hervor, dass es bei dem Bildungsplan „gerade nicht um die von einigen beklagte ‚Frühsexualisierung‘ und auch nicht um Sexualkunde gehe, sondern einfach darum, die Lebensvielfalt angemessen abzubilden.“ (Queer.de 2014) Der FDP-Abgeordnete Björn Försterling führte mit Blick auf sein eigenes schwieriges Coming-Out aus: „Die zahlreichen Schreiben besorgter Eltern nehme man ernst. Wie der 32-Jährige unter großem Applaus erklärte, müsse man ihnen aber antworten, dass es eben ‚nicht um Frühsexualisierung, nicht um Sexualkunde‘“ gehe (ebd.).

Bei der Gruppe von Menschen, die sich in den vergangenen Monaten als „besorgte Eltern“ hervortaten, handelt es sich eher um besorgniserregende Eltern. U.a. riefen sie mit dem rechtspopulistischen Magazin Compact (!) zu Demonstrationen auf. Über Verstrickungen dieser besorgniserregenden Eltern in Kreise, in denen extrem rechte Positionen geäußert werden (etwa die körperliche Züchtigung von Kindern gefordert und der Holocaust geleugnet wird) klärt die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen (Lotta 2014) auf. Erinnern wir uns aber weiter, woher zentral die aktuellen Angriffe gegen Sexualpädagogik und Geschlechterforschung kamen: Da veröffentlichte eine Karla Etschenberg in der extrem rechten Zeitschrift Junge Freiheit, genau wie ein Martin Voigt. Dieser publizierte ebenso in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen Beiträge zum Thema, dort im von Volker Zastrow verantworteten Ressort „Politik“. Zastrow hat sich selbst mit einem Buch 2006 deutlich insgesamt gegen die Gleichstellung von Frauen und Männern und gegen Geschlechterforschung gewandt (vgl. etwa Roßhart 2007). In anderen Medien und gerade von wissenschaftlichen Fachgesellschaften kamen dagegen andere Positionen – eine Übersicht über die lesenswerten Beiträge findet sich hier: Voß 2014b.

Allen Eltern und Fachkräften in Kindereinrichtungen ist klar, dass Kinder bereits als Säuglinge lustvolle Gefühle haben und im Anschluss suchen. Das ist etwa der Fall, wenn sie an der Brust (oder der Flasche) Milch saugen und diesen Vorgang als sättigend und wohltuend erleben. Es ist auch der Fall, wenn sie ab einem bestimmten Zeitpunkt selbst merken, dass sie kacken und pullern und das entstehende Häuflein als ihr eigenes Produkt ansehen und stolz darauf sind. Im Arm gehalten werden, die Nähe von vertrauten Personen spüren, das sind oft als angenehm wahrgenommene Situationen, in denen Eltern wissen, dass sich die Säuglinge und Kleinkinder wohlfühlen. All diese Prozesse werden in der Sexualwissenschaft als „sexuell“ verstanden.[1] Gleiches gilt, wenn Kinder einige Körperstellen häufiger berühren – das können, müssen aber nicht die Genitalien sein –, weil sie auch das als angenehm empfinden. Die heutige Sexualwissenschaft macht hieraus keine ‚Dramen‘, sondern sagt etwa, dass dieses Erkunden okay ist und dass die Pädagogik im Stil der 50er Jahre falsch lag, die dieses Berühren gleich im Sinne erwachsener Sexualität verstand, Moral und Ordnung als bedroht ansah und gar mit körperlicher Gewalt ein ‚Das macht man doch nicht!‘ durchsetzte. (Vgl. Voß 2014a.) Knapp und gut gefasst, wird das ‚neuere‘, seit den 1960er Jahren zunehmend etablierte Verständnis in dem Beitrag „Kindergarten: ‚Das Thema Sexualität ist sowieso da‘“ deutlich, der bei Die Presse erschienen ist (Die Presse 2014). Im Beitrag heißt es u.a.: „Sex und Aufklärung als Thema im Kindergarten – ist das notwendig? Ein Gremium der WHO [Weltgesundheitsorganisation …] empfiehlt die Sexualerziehung ab der Geburt. Da geht es freilich nicht um klassische Aufklärung, sondern um Körperbewusstsein, einen adäquaten Umgang mit Körperlichkeit und Gefühlen. Und um Antworten – das gilt eben auch für den Kindergarten. Da sei etwa die Frage typisch, wie ein Baby aus dem Bauch herauskommt. Da reiche die simple Antwort ‚durch die Scheide‘, sagt Kapella. Sexualität umfassend zu erklären sei nicht nötig. Von sich aus an Kinder herantragen sollte man aber Themen wie Körperteile, Gefühle und Wahrnehmung. ‚Kinder brauchen eine Sprache für Sexualität, keine Details über Geschlechtsverkehr.‘“ (ebd.) Es geht also nicht um vermeintliche ‚Frühsexualisierung‘, wie es rechtskonservative und rechtspopulistische Kreise postulieren, sondern „Das Thema Sexualität ist sowieso da“ – und damit muss umgegangen werden. Das kann entweder geschult passieren, auf Basis sexualpädagogischer Konzepte, oder es passiert ohne Ausbildung der Pädagog_innen, die dann selbst oft nicht wissen, wie sie reagieren sollen. In Befragungen der bundesweiten Fortbildungsoffensive wünschten sich die ca. 7.000 befragten Mitarbeiter_innen der Kinder- und Jugendhilfe Fortbildungen, insbesondere sexualpädagogische Konzepte (86%), Verfahrensleitlinien (82%), interne und externe Beschwerdeverfahren (63%), eine Fortentwicklung des Beschwerdemanagements der Einrichtung (60%) (Eberhardt/Mann 2014).

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