Auch wenn der Begriff „Heteronormativität“ bereits 1991 formuliert wurde (vgl. auch Gender-Glossar), lassen sich weiterhin bemerkenswerte und aktuelle Reflexionen hinzusetzen, wie der vorliegende Band zeigt. Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Warner hat seinerzeit den Begriff geprägt, um (Hetero-)Sexualität als „normatives gesellschaftliches Strukturprinzip“ (S. 90; vgl. Gender-Glossar) zu beschreiben und zu untersuchen. Es geht bei „Heteronormativität“ also um den normativen Charakter von Heterosexualität in Gesellschaft, nicht um die Ablehnung von Heterosexualität an sich (wie es mitunter in rechtspopulistischen Zuschreibungen der wissenschaftlichen Theoriebildung unterstellt wird). Der Begriff „Homonormativität“ in der heute gebräuchlichen Form wurde deutlich später – 2002 – von Lisa Duggan geprägt, um neuere Politiken zu beschreiben, mit denen bisher gesellschaftlich stigmatisierte homosexuelle Lebensweisen in die klassischen heteronormativen Bahnen gelenkt werden. Ehe, Kinder, Hausbesitz, Monogamie und das "Recht", im Militär mitzutun, würden nun auch dort Standard und Lesben und Schwule erhielten gesellschaftliche Integrationsangebote, wenn sie sich an der Heteronorm und den klassischen gesellschaftlichen Idealen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ orientierten.
Der 2016 im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienene Sammelband „Über Heteronormativität“, herausgegeben von Maria Teresa Herrera Vivar, Petra Rostock, Uta Schirmer und Karen Wagels, liefert nun ein Upgrade des Analysestandes zu Heteronormativität, den Martin Mlinarić in seinem Überblicksbeitrag zur heteronormativen Situation in Serbien und Kroatien treffend charakterisiert:
„Doch handelt es sich bei dem zeitgenössischen Dispositiv wirklich nur um ein Update von Heteronormativität? In der Selbstwahrnehmung des globalen Nordens erscheint es eher als Upgrade eines heteronormativen Betriebssystems respektive Dispositivs als eine höherwertige Konfiguration, die nicht nur einfach aktualisiert, sondern auf eine ganz neue, überlegenere Stufe gehoben wurde und sich als deutlich effizienter, ‚besser‘ und ‚gerechter‘ als ältere Versionen erweist.“ (S. 215, Hervorhebungen im Original)
Dieses Upgrade werde gerade dadurch erreicht, dass das im globalen Norden etablierte "heteronormative Betriebssystem" über den punktuellen, leicht rückholbaren Einschluss einiger homosexueller Lebensstile gegenüber den normativen Systemen im globalen Süden als „überlegen“ präsentiert werde:Weiterlesen » » » »