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Anlässlich des Aktionstages #4genderstudies gegen die derzeitigen Angriffe auf bzw. Abwertungen von Gender Studies mache ich den folgenden Aufsatz "Angriffe, Gegenwehr und die nötige Debatte über Diskussionskultur" online zugänglich. Er wurde zuerst im Jahr 2015 im Magazin der Hochschule Merseburg veröffentlicht, um für eine wertschätzende Diskussionskultur zu werben.

 

Angriffe, Gegenwehr und die nötige Debatte über Diskussionskultur

Ausgangspunkt: Rechte Angriffe auf Geschlechterforschung und Sexualpädagogik

In den vergangenen Wochen und Monaten waren Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen, die sich mit Fragen der Geschlechterforschung und der Sexualpädagogik befassen, teils massiven verhöhnenden und beleidigenden Attacken ausgesetzt. Diese kamen aus einem rechtskonservativen und rechtspopulistischen Umfeld. So handelt es sich etwa bei der Gruppe von Menschen, die sich in den vergangenen Monaten als „besorgte Eltern“ hervortaten und die Demonstrationen gegen eine emanzipatorische, Vielfalt akzeptierende Sexualpädagogik organisierten, eher um besorgniserregende Eltern.[1] Sie riefen u. a. gemeinsam mit dem rechtspopulistischen Magazin Compact (!) zu ihren Aktionen auf. Über Verstrickungen dieser besorgniserregenden Eltern in Kreise, die extrem rechte Positionen äußern, den Holocaust leugnen und die körperliche Züchtigung von Kindern fordern, klärte die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen auf. [2]

Erinnern wir uns aber weiter, woher zentral die aktuellen Angriffe gegen Sexualpädagogik und Geschlechterforschung kamen: Da gab Karla Etschenberg der extrem rechten Zeitung Junge Freiheit ein Interview, in der auch Martin Voigt schreibt. Dieser publizierte ebenso in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen Beiträge zum Thema, dort im von Volker Zastrow verantworteten Ressort „Politik“. Zastrow hat sich selbst mit einem Buch 2006 deutlich insgesamt gegen die Gleichstellung von Frauen und Männern und gegen Geschlechterforschung gewandt. [3]

Andrea Diener hielt in einem ebenfalls in der FAZ erschienen, aber lesenswerten Beitrag bzgl. der Verursacher von Hass-Attacken fest – explizit mit Blick auf Angriffe, die sich im Internet gegen Journalist*innen richteten: Weiterlesen » » » »

Gegen die Versammlung von einigen Rechtspopulist_innen finden in Leipzig zahlreiche und intensive Proteste statt. Nun steht auch eine Gegenkonferenz, die am 22. November in Leipzig stattfinden wird. Aus dem vielfältigen Programm seien kurz zwei Veranstaltungen herausgegriffen:

Florian Illerhaus, vom Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Leipzig referiert zu Antimuslimischem RassismusPetitionen gegen ein geplantes Gebetshaus, NPD-Aufmärsche zur Verbreitung der Verschwörungsfantasie einer “Islamisierung”, jüngst ein Anschlag auf das zukünftige Baugelände: Antimuslimischer Rassismus manifestiert sich aktuell an einem Moscheeneubauprojekt in Gohlis in vielfältiger Form. Im Vortrag wird das Phänomen Islamfeindlichkeit als eine Form von Rassismus beschrieben und Rassismus als Ausgrenzungsdiskurs dargestellt. Einige Interventionsmöglichkeiten sollen aufgezeigt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.

Heinz-Jürgen Voß diskutiert Ein- und Ausschlüsse in (aus) Nation und 'Volk'Abseits der Aufregung über eine offen rechtspopulistische Versammlung und den dort geäußerten Hass, ist es erforderlich, sich einerseits die Bedeutung der Kategorisierung der Menschen und ihres partiellen, temporären Einschlusses in ‚Nation‘ und ‚Volk‘ (bzw. ihres Ausschlusses) bewusst zu machen, andererseits die aktuellen Politiken tiefer zu analysieren. Während derzeit einige Schwule und Lesben, sofern sie sich heteronormativen Standards unterwerfen, in der Bundesrepublik zunehmend institutionell ‚toleriert’ werden, sind andere – solche, die eher einen promisken Lebensstil führen, sich nicht klar geschlechtlich identifizieren, die of Color sind, arm oder Stricher_in – zunehmender Kriminalisierung und Schikanen ausgesetzt. Im vergangenen Jahr führte so das Land Sachsen-Anhalt, unter viel Protest von schwul-lesbischen Medien, die Möglichkeit der ‚Zwangstestung’ auf HIV und Hepatitis bei in Gewahrsam genommenen Personen ein. Nicht einmal während der Aids-Hysterie in den 1980er Jahren war eine solch krasse Regelung durchsetzbar… Ist das Sprechen über Pluralität und Individualität gelebter geschlechtlicher und sexueller Lebensstile nur die Fassade, die denjenigen Schwulen (und Lesben) Integration und Toleranz verspricht, die sich der ‚Hetero-Norm’ der Zweierbeziehung anpassen und zudem in gut abgesicherten Jobs arbeiten, während Menschen mit anderen Lebensstilen weiterhin – u.a. homophob – ausgegrenzt werden? Folgt ein solcher partieller Einschluss zudem klarem Machtkalkül, Deutschland emanzipatorisch erscheinen zu lassen und Kriege als ‚Zivilisierungsmission’ in Richtung anderer Länder betreiben zu können? Selbst Konservative und Rechtspopulist_innen, die sich im Land stets gegen Frauenrechte und Homosexuellenrechte wendeten und wenden, führten etwa den vermeintlichen Schutz von Frauen/Lesben und Schwulen als zentralen Grund für den Krieg gegen Afghanistan an. Emanzipatorische Antworten bedürfen komplexer, intersektionaler Analyse. Der Input von Heinz-Jürgen Voß bietet einige Zugänge. Voß hat zuletzt, gemeinsam mit Salih Alexander Wolter, den Band „Queer und (Anti-)Kapitalismus“ veröffentlicht.