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Von Heinz-Jürgen Voß. Die Rezension erscheint in den „Rosigen Zeiten“, Oldenburg.

Zwei aktuelle Bücher wenden sich Fragen von Dominanz und Marginalisierung zu. Dabei ist Trans* ein zentraler Fokus, der im Band von Mika Murstein in Verwobenheit mit anderen Herrschaftskategorien gedacht wird.

In dem Buch „Trans. Frau. Sein. – Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ geht Felicia Ewert Diskriminierungen nach, denen Frauen, die auch trans* sind, gesellschaftlich unterliegen. Dabei nimmt sie die Leser*innen von Anfang an mit, auch diejenigen, die sich noch nicht so intensiv mit Fragen um Trans*- und Cis-Geschlechtlichkeit befasst haben. So erläutert Ewert zunächst ihren Zugang zum Thema und die verwendeten Begriffe, um sich danach Fragen zuzuwenden, wie Geschlecht in der deutschen Gesellschaft gedacht wird. Dabei erläutert sie, wie oft ein Biologismus vorherrscht, mit dem schon rechtlich – gleich nach der Geburt – auf ein Geschlecht erkannt wird. Im alltäglichen Umgang in der Gesellschaft wirke dieser Biologismus fort: So suchten Menschen im alltäglichen Umgang nach Kennzeichen an den Menschen, mit denen sie Umgang haben, um sicher ein Geschlecht erkennen zu können. Dabei nutzten sie insbesondere körperliche Merkmale, um Sicherheit zu erlangen. Möglichkeiten geschlechtlicher Selbstbestimmung werden so begrenzt, wie Ewert plausibel darlegt: Menschen müssen stets erst gegen die stereotypen Vorannahmen angehen, bevor eine Offenheit beim gegenüber entsteht, die tatsächliche individuelle Geschlechtsidentität wahrnehmen zu wollen und zu können. Ausführlicher erläutert die Autorin die medizinisch-juristische Begutachtungspraxis, der Personen nach dem Transsexuellengesetz unterzogen werden, bis sie auch staatlich und rechtlich in ihrem eigenen Geschlecht anerkannt werden. Ewert stellt dabei auch dar, welchen Einfluss diese Begutachtungspraxis auf die Darstellungs- und Sprechweisen von trans* Personen haben.

Dieser gesellschaftliche Rahmen, der die Ordnungskategorie „Geschlecht“ in der deutschen Gesellschaft im Blick hat, wird von der Autorin in Richtung von Diskriminierungserfahrungen insbesondere von Frauen, die auch trans* sind, erweitert. Dabei geht es u. a. um Erfahrungen im akademischen Betrieb, bei der Toilettennutzung, aber auch in linken und feministischen Kontexten. So herrschten auch in einigen aktuellen feministischen Strömungen deutlich trans*-feindliche Setzungen vor. Das gehe oft insbesondere mit einem unreflektierten Bezug auf biologischen Essentialismus zusammen, mit dem die Unterschiedlichkeit der Frauen untereinander negiert werde.

Ewert legt damit ein starkes und auch kritisches Buch vor, dass einerseits Diskussionen anregen soll. Andererseits soll es Frauen stärken, die auch trans* sind und allen anderen Leser*innen einen Zugang ermöglichen, Marginalisierungserfahrungen von Trans*-Personen und deren Kämpfe gegen Diskriminierungen zu verstehen – und diese zu unterstützen.

Mika Murstein zeigt im Buch „I'm a queerfeminist cyborg, that's okay: Gedankensammlung zu Anti/Ableismus“ die Verwobenheit von Herrschaftsverhältnissen auf. Dabei fokussiert Murstein auf Be_Hinderung. Mit der Großschreibung von „Hinderung“ macht sie*er deutlich, dass die Gesellschaft Menschen „hindert“, ihnen also Grundrechte verwehrt. In den aktuellen Diskussionen um Be_Hinderung fehle bisher vollkommen „die Vorstellung von Be_Hinderung als andauerndem und lebenswertem Zustand […]. Als erstrebenswerte Zukunft gilt meist die Zukunft ohne Behinderung.“ (S. 11f.) Als Gegenmodell formuliert Murstein den Ansatz der „Crip future“:

„Crip future ist eine Zukunft, in der Behinderung und ein lebenswertes, erfülltes Leben, wie es schon heute be_hinderte Menschen führen, nicht als Gegensatz konstruiert werden. In meiner Vision von crip future besitzen wir alle Werkzeuge und Hilfsmittel, die wir brauchen, die Teilhabe, Partizipation und Mobilität bedeuten würden. Diese Werkzeuge, Technik und Hilfsmittel gibt es schon reichlich, aber in der Gegenwart ist der Zugang zu ihnen beschränkt. […] Hilfsmittel sind cool. Nur leider nicht im herrschenden Diskurs. Zum Beispiel sagt die Redensart „Das ist doch nur eine Krücke!“ viel über die Sicht auf gesundheitliche Einschränkungen aus. Sie spiegelt die Wahrnehmung, es sei eine Schwäche, eine Krücke zu brauchen, wider. Dabei ist eine Krücke hilfreich, weil sie Halt und Mobilität bedeutet, genauso wie eins nicht an den Rollstuhl ‚gefesselt‘ ist, sondern dieser ermöglicht, von A nach B zu kommen und an der Welt teilzuhaben.“ (Ebd.)

Ausführlicher geht Murstein auf psychische Erkrankungen ein. Die Einschränkungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen werden in der Gesellschaft oft nicht gesehen oder, sofern sie gesehen werden, werden sie aufgeladen und teilweise sogar Berufsverbote etwa gegen Menschen, die an Depressionen leiden, diskutiert – anstatt Voraussetzungen zu schaffen, in denen ein Mensch gut mit dieser Erkrankung umgehen kann. Wie negativ psychische Erkrankungen gesellschaftlich besetzt sind, macht Murstein mit Blick auf Debatten nach Amokläufen deutlich:

„Nach sogenannten Amokläufen meist weißer Männer wird schnell nach einer psychischen Erkrankung und Ähnlichem als Auslöser gesucht. Da kann jemensch vorher ellenlange hasserfüllte Pamphlete ins Internet gestellt haben, plötzlich ist die Person, ohne vorher jemals diagnostiziert worden zu sein, angeblich ‚geisteskrank‘, ‚persönlichkeitsgestört‘ oder, auch sehr beliebt: ‚autistisch‘. Für Betroffene der disability community (Gemeinschaft) ist es immer sehr furchtbar, wenn eine solche Tat passiert und wenn bei der darauffolgenden Berichterstattung auf diese ableistischen Tropen (Sprachfiguren) zurückgegriffen wird.“ (S. 34)

Bereits aus den kurzen Zitaten wird die sensible Sprachverwendung deutlich, die die*der Autor*in nutzt: Gut lesbar und unaufdringlich werden Erläuterungen gegeben; Begriffe werden so genutzt, dass sie klar sind und gleichzeitig nicht diskriminieren. Be_Hinderung in Gesellschaft wird nicht allein, sondern verwoben mit anderen gesellschaftlichen Strukturkategorien – Herrschaftskategorien – betrachtet. Dabei sind Rassismus, das Geschlechter- und das Klassenverhältnis im Blick. Im besten Sinne wird Intersektionalität vorgestellt und erläutert und dabei die einschlägige Literatur eingewoben – so u.a. Edward Said, Kimberlé Crenshaw, Étienne Balibar, Maisha Eggers, May Ayim, Grada Kilomba und Christiane Hutson. Es werden historische Perspektiven auf Kolonialismus, die deutsche „Rasseforschung“ und sozialdarwinistische / eugenische Wissenschaft eröffnet.

Neben der gesamtgesellschaftlichen Einordnung, kommt Murstein in den weiteren Kapiteln auf die ganz konkreten Auswirkungen der Herrschaftskategorien – in ihrer Verwobenheit – auf Menschen zu sprechen. Dabei bringt sie*er auch eigene biografische Erfahrungen ein. Für das Verständnis der Herrschaftskategorien und ihrer Wirkung auf ganz konkrete Menschen hat Murstein überdies ein Interview mit der* Aktivist*in und Schriftsteller*in SchwarzRund geführt und in den Band eingebunden, das ebenfalls sehr lesenswert ist. Abschließend werden „reaktionäre Diskurse“ (S. 410) gewürdigt, die gerade hinter die aktuellen intersektional entwickelten kapitalismuskritischen Analysen zurück und weiße Menschen als Standard belassen wollen. Wohltuend ist es, dass Murstein – wie auch Ewert im zuvor angeführten Band – sich als von Diskriminierungen und Gewalt betroffen benennen, aber gleichzeitig deutlich machen, dass sie in Bezug auf Kolonialismus und Rassismus als weiße Personen zur privilegierten Seite zu zählen sind. Solche Analyse und (Selbst-)Reflexion ist für mehr Arbeiten wünschenswert!

Kurz: Bei „I'm a queerfeminist cyborg, that's okay“ handelt es sich um einen äußerst gelungenen Band, der gut lesbar ist und viele Perspektiven eröffnet. Ihm ist ein großes Publikum zu wünschen.

Felicia Ewert
Trans. Frau. Sein. – Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung
Münster: edition assemblage
Oktober 2018, 176 Seiten, 14,80€
ISBN: 978-3-96042-040-8

Mika Murstein
I’m a queerfeminist Cyborg, that’s okay – Gedankensammlung zu Anti/Ableismus
Münster: edition assemblage
Juli 2018, 464 Seiten, 14,80€
ISBN: 978-3-96042-031-6

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Eine Kritik kann bereichernd sein. Sie kann dazu führen, dass Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden. Sie kann gut formuliert sein, und sie kann, obwohl oder gerade weil sie scharf ist, Spaß bereiten. Es ging mir schon so, dass ich eine Kritik als so beißend und unzutreffend erlebte – und ihr gleichzeitig Respekt zollen musste, auf Grund ihres Stils und einer bemerkenswerten Wortgewandtheit. Eine solche Kritik bedeutet für mich aber auch stets, dass eine gewisse Ebene gewahrt wird: Es geht einer Kritik um die Sache, um die Auseinandersetzung – nicht um Denunziation, Verleumdung und Beleidigung der Diskussionspartner_innen oder eben auch einmal der Gegner_innen.

Eine solche Kritik sucht man in dem Buch „Beißreflexe“ vergebens. Die dortige Kritik hat keinen intellektuellen Biss, sondern will nur verletzen. Statt sich die Mühe zu machen, sich mit Argumenten von Diskussionspartner_innen oder „Gegner_innen“ pointiert auseinanderzusetzen, werden sie verzerrt, unvollständig und unaufrichtig dargestellt. Bereits der Titel „Beißreflexe“ – und wie er vom Herausgeber und den Autor_innen eingeführt wurde – nimmt den Diskussionspartner_innen und den stilisierten Gegner_innen das Argument aus dem Mund: Es sei ja doch nur eine – so wird unterstellt – der „üblichen“ und „nicht gerechtfertigten“ Positionen, die da kommen würde, eben „Beißreflexe“. Wer die von den Macher_innen von „Beißreflexe“ lancierte Twitter-Diskussion verfolgt hat, merkte rasch, wie sie sich geradezu nach der Selbstverteidigung der Angegriffenen sehnten, um dann gleich zu SCHREIEN, dass das ja alles Beißreflexe seien.

Johannes Kram führte in einer Auseinandersetzung mit einer Vorstellung des „Beißreflexe“-Buches aus, dass auch „ein LGBTIQ*-Populismus“ nicht grundsätzlich „schlecht sein muss“ (1). Gerade in der aktuellen, durch Rechtspopulismus getragenen Entwicklung könne er in der Lage sein, die Interessen von LGBTIQ* so zuzuspitzen, dass sie gesellschaftlich weiterhin verstanden würden. Doch der Herausgeber des Sammelbandes „Beißreflexe“, Patsy l’Amour laLove, „belässt es nicht beim Zuspitzen“ (ebd.). Kram führt weiter aus: „Ein Argument ist dann falsch, wenn es nicht argumentiert, sondern behauptet, wenn es so tut, als ob man sich mit der Annahme seiner Unrichtigkeit gar nicht beschäftigen muss. Aber es ist nicht nur die Wortwahl rund um den Vorwurf vermeintlicher ‚Sprechverbote‘, der Pose des ‚das wird man doch wohl endlich mal sagen dürfen‘, mit der sich Patsy hier verirrt, es ist das Prinzip dahinter: Ein Populismus, der nicht zuspitzt, sondern verzerrt.“ (Ebd.)Weiterlesen » » » »

FaulenzA ist vielen von ihren Alben bekannt. Zuletzt erschienen ist ihr Album „Einhornrap“, von dem einige Songtexte auch in das Buch „Support your sisters not your cisters: Über Diskriminierung von Trans*Weiblichkeiten“ eingegangen sind.

Wie in den Songs auch, stößt FaulenzA in dem bei edition assemblage erschienenen Buch Interessierte nicht zurück, sondern nimmt die ernsthaft Interessierten "an die Hand" und erläutert geduldig, was es mit Feindlichkeit gegenüber Trans*Weiblichkeiten auf sich hat. Dabei wendet sie sich in erster Linie an mögliche cis-weibliche, cis-männliche und trans*-männliche Unterstützer_innen von Trans*Frauen und stellt die spezifische Situation von Trans*Weiblichkeiten vor, die sich jeweils auch individuell unterscheidet. FaulenzA fokussiert bei den betrachtungen einerseits auf die gesellschaftliche Situation, mit zweigeschlechtlich-sexistischer Sozialisation etc., andererseits auf spezifische Diskriminierungen, wie sie in emanzipatorischen linken (oft cis-männlich dominierten) und queer-feministischen Kontexten vorkommen:

Trans*misogynie – das ist die Gewalt, die ich erlebe, seit ich denken kann. Ich bin mit ihr aufgewachsen, sie hat mich geprägt und geformt. Sie hat mich tief verwundet und klein gemacht. Immer wieder, jeden Tag, in unterschiedlichsten Formen. Mal durch offene aggressive körperliche, mal durch unterschwellige Gewalt. Ausgeschlossen werden, verlacht und respektlos behandelt werden gehört dazu. (S. 13)

Ausführlich erläutert sie, dass in Bezug auf FLT*I-Räume oft gerade diskutiert wird, ob Trans*-Weiblichkeiten zu diesen Räumen Zugang haben sollten. Trans*-Frauen wird dabei eine männliche Sozialisation unterstellt – FaulenzA fordert ein, dass die spezifische weibliche Sozialisation von Trans*Frauen hier anerkannt werden muss. Durch die elterliche Anforderung, männlich sein zu sollen, wobei das Kind für Fehlverhalten sanktioniert wird, erleben Trans*Weiblichkeiten massive Diskriminierung und Gewalt bereits in ihrer frühen Sozialisation. FaulenzA fordert, dass auch emanzipatorische Räume das zur Kenntnis nehmen und nicht durch den Ausschluss von Trans*Weiblichkeiten neue Diskriminierungserfahrungen dem bisher Erlebten hinzufügen sollten.

Diskriminierungen und Gewalt geht FaulenzA im Buch ausführlich nach: in Bezug auf Sozialisation, in Bezug auf Passing zur sexistisch-zweigeschlechtlichen Norm, in Bezug auf Arbeitsleben und Schutzräume. Dabei ist der Schreibstil wohltuend erläuternd und freundlich; das Buch ist insgesamt sehr achtsam formuliert und ermöglicht es damit auch Personen, die nicht von der Diskriminierung von Trans*-Weiblichkeiten betroffen sind, die erlebten Diskriminierungen und Gewalt ein Stück weit nachzuvollziehen – und die eigene Rolle zu reflektieren. Wo werden etwa stets spezifische Körperlichkeiten vorausgesetzt – gerade im Hinblick auf Genitalien und physiologische Prozesse wie Menstruation und Ejakulation? Wo werden bestimmte Verhaltensweisen unterschiedlich gewertet, nur weil sie von einem Cis-Mann, einer Cis-Frau, einem Trans*-Mann oder einer Trans*-Frau kommen? An die Beschreibungen anknüpfend können Klischees und Vorurteile reflektiert – und bearbeitet werden. Das Schlusskapitel macht hierfür konkrete Vorschläge für Unterstützer*innen – Empowerment von Trans*-Weiblichkeiten möchte FaulenzA hingegen an anderer Stelle leisten (bzw. leistet sie bereits an anderer Stelle).

Wohltuend an dem Band ist auch, dass FaulenzA Diskriminierungen und Gewalt entlang unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse reflektiert. So positioniert sie sich selbst als weiße Person, die die Möglichkeit zum Studium der Sozialen Arbeit hatte und weist immer wieder auf Diskriminierung und Gewalt hin, die mit Rassismus und Klassenverhältnissen verbunden sind:

Ich finde es super wichtig, sich die eigenen Privilegien klar zu machen und einen achtsamen Umgang damit zu finden! Dazu gehört auch, sich mit eigenem Diskriminierungsverhalten auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, dass ich über meine Privilegien als Weiße, über weiße Dominanz und verinnerlichten Rassismus reflektiere. (S. 116)

Für den verschränkten Blick und für die deutliche Thematisierung von Trans*misogynie ist das Buch sehr lesenswert. Die Songtexte aus „Einhornrap“ und die von Yori Gagarim stammenden Illustrationen machen das Buch kurzweilig – und sprechen die_den Lesende_n auf vielfältige Weise an und ermöglichen so facettenreich Räume zum Nachdenken und zur produktiven Selbstreflexion.

Buch: FaulenzA: Support your sisters not your cisters - Über Diskriminierung von trans*Weiblichkeiten. Mit Illustrationen von Yori Gagarim. edition assemblage 2017. Informationen zum Buch.