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„Rassismus ist die Verknüpfung von Vorurteil mit institutioneller Macht. Entgegen der (bequemen) landläufigen Meinung ist für Rassismus eine ‚Abneigung‘ oder ‚Böswilligkeit‘ gegen Menschen oder Menschengruppen keine Voraussetzung. Rassismus ist […] ein institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken […].“[1]

Erst seit den 1980er Jahren wird Rassismus in Deutschland – durch das Streiten von Selbstorganisationen von Schwarzen Menschen und Personen of Color – zunehmend thematisiert. Die ‚verharmlosenden‘, weil den institutionalisierten Charakter von Rassismus verkennenden, Begriffe Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass wurden weitgehend abgelöst. Die Veranstaltungsreihe führt in die Thematik ein – auch mit regionalem Blick. Sie wird in Kooperation von Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, Hochschule Merseburg und Arbeit und Leben BV Sachsen-Anhalt e.V. – Mehrgenerationenhaus Merseburg durchgeführt.

  • Einführungsseminar: Rassismus und deutscher Kolonialismus
    # 17. März 2015, 18:30 Uhr, Mehrgenerationenhaus*
    Die Einführungsveranstaltung gibt einen Überblick über deutschen Kolonialismus und Rassismus in Deutschland. Es werden Erinnerungen an die Wende 1989/90 aufgegriffen, die heute kaum im Blick sind und die davon handeln, wie Schwarze Menschen von Mehrheitsdeutschen attackiert und die Pogromstimmung auch von Politikern schnell aufgegriffen wurde.
    Dr. Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg eröffnet die Reihe – und Diskussion.
  • "Fremde in der geschlossenen Gesellschaft - Migranten in der DDR"
    # 26. März, ab 18:00 Uhr, Theater am Campus**
    Durch die islam- und fremdenfeindlichen Demonstrationen in Leipzig und vor allem Dresden ist Ostdeutschland wieder in den Fokus der Debatte um Migration und Integration gerückt. Dieser Vortrag wendet sich der mentalen und kulturellen Prägung zu: Damit wird nicht die Bedeutung der Transformation nach der deutschen Einheit in Frage gestellt, allerdings war schon in der DDR die gesellschaftliche Stellung ‚Fremder‘ prekär.
    Dr. Patrice G. Poutrus arbeitet am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Er publizierte u.a.: „Fremde und Fremd-Sein in der DDR“ und „Ankunft – Alltag – Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnungen in der DDR-Gesellschaft“.
  • Aktivismus in Bewegung: Die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland
    # 16. April, ab 19:30 Uhr, Theater am Campus**
    "Eine Schwarze, Kriegerin und Dichterin, die ihre Arbeit tut und gekommen ist, euch zu fragen, ob ihr die Eure tut." Dieser Aufruf zum politischen Handeln zeigte in Deutschland eine großartige Wirkung: das Erwachen einer Bewegung. Audre Lorde´s Einfluss auf die US-amerikanische Frauenbewegung, ihre aufrüttelnden Texte und ihr brillantes Beleuchten von Sexismus, Rassismus und Homophobie wurden Mitte der achtziger Jahre allmählich auch in der deutschen Frauenbewegung bekannt. Es gelang ihr tatsächlich in Deutschland Schweigen in Sprache und Handeln zu verwandeln. Peggy Piesche stellt den zu Audre Lorde´s zwanzigstem Todestag erschienenen Band „‚Euer Schweigen schützt euch nicht‘ – Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland“ vor. Der Band vereinigt bereits erschienene Texte Lordes mit Beiträgen, Interviews und Gedichten afrodeutscher Frauen.
    Peggy Piesche ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet an der Bayreuth Academy of Advanced African Studies. Weitere Publikation (Mit-Hg.): „Mythen, Masken und Subjekte - Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“.
  • Aspekte der Geschichte des Rassismus in und um Merseburg
    # 28. April, 18:30 Uhr, Mehrgenerationenhaus*
    Für die DDR sind über 8.000 neonazistische, antisemitische und rassistische Propaganda- und Gewaltstraftaten belegt. Der erste Angriff eines deutschen Mobs auf ein Wohnheim, ähnlich dem von 1991 in Hoyerswerda, fand am 13. Februar 1977 in Dessau statt. In Merseburg wurden im August 1979 zwei Kubaner getötet, anschließend verhinderte die Partei- und Staatsführung polizeiliche Ermittlungen. Der Antifaschismus der SED hat diese Entwicklungen nicht verhindern können. Harry Waibel erläutert die Ursachen von Rassismus und Antisemitismus in der DDR – mit Blick auf Geschichte, Ideologie und Politik – und er zeigt Auswirkungen bis heute auf.
    Harry Waibel lebt und arbeitet als Historiker und Publizist in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er „Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED – Rassismus in der DDR“.
  • Separiert und diskriminiert: Zur Situation geflüchteter Menschen im Saalekreis
    # 21. Mai 2015, 18:30 Uhr, Theater am Campus**
    Asylsuchende sind in Deutschland oft menschenunwürdig untergebracht, von Rassismus betroffen und werden immer wieder durch Polizeikontrollen kriminalisiert. Von Flucht und Krieg traumatisiert, erleben geflüchtete Personen auch im Saalekreis die ablehnende Haltung von Mehrheitsdeutschen – von verbalen Attacken bis hin zu physischen Angriffen. Hinzu kommt ein institutioneller Rassismus. Was bedeutet es für Geflüchtete, permanent Angst davor haben zu müssen, ausgewiesen zu werden? Wie gehen die Menschen mit rassistischen Alltagserfahrungen um?
    Im Rahmen eines moderierten Gesprächs berichten geflüchtete Menschen über ihre Erfahrungen in Merseburg und im Saalekreis – und zeigen auf, was sich verändern muss. Zugesagt hat Cheickna Fadiga Hamala, der eine Zeit lang in Krumpa lebte, aktuell seinen Schulabschluss in Halle macht und zuletzt von der Bundesregierung für sein gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet wurde.

Kosten:
Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist kostenlos.

Ort:
**Theater am Campus, Hochschule Merseburg, Eberhard-Leibnitz-Str. 2, 06217 Merseburg, http://www.hs-merseburg.de

*Mehrgenerationenhaus, Rossmarkt 2, 06217 Merseburg

Kontakt und inhaltliche Fragen bitte an:
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß

Anja Kruber

Hochschule Merseburg
Eberhard-Leibnitz-Str. 2
06217 Merseburg

 

[1] Noah Sow, zit. nach: Susan Arndt / Nadja Ofuatey-Alazard (Hg., 2011): Wie Rassismus aus Wörtern spricht: (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast Verlag. S. 37.)

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Zuerst veröffentlicht und zitierbar als: Voß, Heinz-Jürgen (2014): 'Der Mann' und Männlichkeiten in ihrer Einbindung in Herrschaftsverhältnisse. Swissfuture, 1 (2014): 29-31. Hier als pdf-Datei.

 

‚Der Mann‘ und Männlichkeiten in ihrer Einbindung in Herrschaftsverhältnisse
Heinz-Jürgen Voß

Bei der Frage nach „der Zukunft des Mannes“ muss man sich allererst fragen: Wer ist denn eigentlich ‚der Mann‘. Wo kommt er her? ‚Der Mann‘, wie er auch heute – noch immer, bei allen Veränderungen – verhandelt wird, stellt lediglich ein geronnenes Ideal dar. Gefüllt mit vielfältigen Vorstellungen, ist dieses Konzept der bürgerlichen Gesellschaft stets labil gewesen und wurde nur einigermaßen fest in ein Herrschaftssystem aus Rassismus, Geschlecht und Klasse eingewoben. Gleichwohl scheint es zunehmend an seiner Grundanlage zu scheitern: Die vielfältigen Lebensweisen, die individuellen Unterschiede in Merkmalen, in ‚Stärken‘ und ‚Schwächen‘ scheinen sich immer schwieriger in das klare Muster ‚Mann‘ fügen zu wollen. Heute ist von Flexibilisierung und Individualisierung der Lebensweisen die Rede, es wird von der Pluralform, von ‚den Männlichkeiten‘ statt ‚der Männlichkeit‘, gesprochen. ‚Der Mann‘, erst durch Kategorisierung und Kanonisierung bestimmter Merkmale (beim Weglassen anderer) und durch Disziplinierung und Zurichtung hergestellt, scheint zu verschwinden. Die Veränderung passt gut zu den sich wandelnden Anforderungen des im globalen Norden stärker dienstleistungsorientierten Kapitalismus.

Aufgekommen ist ‚der Mann‘ mit der modernen bürgerlichen, der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Als es darum ging, ob auch Frauen, Juden, Menschen aus dem Proletariat und die Kolonialisierten Menschenrechte erhalten sollten, blieb eine Personengruppe unbenannt, für die diese Rechte nicht in Frage stand. Es waren die weißen und bürgerlichen europäischen Männer. Ihre privilegierte Position in der Gesellschaft, ihre öffentliche Präsenz, ihre Werte präg(t)en in besonderem Maße die modernen Gesellschaften und füll(t)en – gerade in Abgrenzung gegenüber anderen Menschen – die Vorstellung davon, was denn ‚der Mann‘ sei.Weiterlesen » » » »

Viele haben bereits länger darauf gewartet, weil die 1. Auflage rasch vergriffen war. Nun gibt es das wichtige Buch *"Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule”"* (hg. von Koray Yılmaz-Günay) in einer NEUAUSGABE. Es wird aktuell schon ausgeliefert, so dass es sich auch durchaus noch als Geschenk anbietet - Bestellung direkt: http://www.edition-assemblage.de/karriere-eines-konstruierten-gegensatzes/ . In einigen Buchläden (wie Eisenherz Berlin und Schwarze Risse Berlin) liegt das Buch auch schon aus.
Ich finde das Buch extrem wichtig, gerade in den aktuellen Debatten und ich möchte sehr dazu anregen, es zu lesen!

Koray Yılmaz-Günay (Hg.)
Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule”
Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001
Neuausgabe, 2014, edition assemblage
216 Seiten, 18.00 Euro
ISBN 978-3-942885-53-9
Infos und Bestellung: http://www.edition-assemblage.de/karriere-eines-konstruierten-gegensatzes/

Anfragen für Rezensionsexemplare: info@edition-assemblage.de

Bisher erschienene Rezensionen u.a.:
- http://www.kritisch-lesen.de/rezension/vom-gay-pride-zum-white-pride
- http://salihalexanderwolter.de/koray-yilmaz-gunay-karriere-eines-konstruierten-gegensatzes-zehn-jahre-muslime-versus-schwule-sexualpolitiken-seit-dem-11-september-2001/

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Forschung_im_QueerformatForschung im Queerformat: Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hg.)
09/2014, 312 Seiten, 24,99 Euro
ISBN 978-3-8376-2702-2
Informationen hier, beim Transcript-Verlag

Ich möchte zur Lektüre und Diskussion anregen:
Das Buch „Forschung im Queerformat“ leistet das, was ein guter wissenschaftlicher Tagungsband machen soll. Es bringt unterschiedliche Perspektiven zueinander und in Diskussion. Und es zeigt auch, dass einige Perspektiven auf der Konferenz weitgehend ausgeschlossen blieben und ermöglicht damit, dass die Organisator_innen von Folgeveranstaltungen solche Ausschlüsse vermeiden. Besonders hervorheben möchte ich zwei Beiträge: Der Aufsatz von Saideh Saadat-Lendle und Zülfukar Çetin „Forschung und Soziale Arbeit zu Queer mit Rassismuserfahrungen“ fokussiert und kritisiert die rassistischen und identitären Zuschreibungen in den Studien der vermeintlichen ‚Opferberatung‘ Maneo, in der Simon-Studie und in LSVD-Kampagnen. Mit Blick auf den Kongress zeigen sie, wie Expertisen von Selbstorganisationen insbesondere von Personen of Color von den Organisator_innen als wissenschaftlich nicht relevant klassifiziert und aus dem Erkenntnisprozess der Konferenz ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig regen sie eine klare Lösung an: „Da sich ein ganzer Block dieses Kongresses mit der ‚Partizipativen Forschung‘ auseinandergesetzt hat, bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Reflexion über unsere Kritik in Bezug auf die Auswahl der Referent_innen des Kongresses die zukünftige Praxis […] zugunsten eines partizipativen Ansatzes beeinflussen kann.“ (S. 248) Der zweite Beitrag, der hier Erwähnung finden soll, ist der Aufsatz „Cruzando Fronteras – zur Heteronormativität von Grenz- und Migrationsregimen am Beispiel von Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren“, der von Elisabeth Tuider und Ilka Quirling verfasst wurde. Sie geben dort einen Überblick über wichtige postkoloniale Arbeiten zum Thema und juristische aufenthaltsrechtliche Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland. Sie zeigen, wie Letztere von „normative[n] Vorstellungen von ‚normaler‘ Sexualität, Familie, Geschlecht und Einwanderung“ (S. 266) geprägt sind sowie „Herkunftsländer homogenisiert und kulturalisiert, nicht selten als ‚traditionell‘ und damit explizit heterosexuell skizziert“ (ebd.) werden. Das wirkt sich exemplarisch so aus, dass einer Antragstellerin – einer Trans*frau – nicht geglaubt wird, dass sie von vier Polizisten vergewaltigt wurde und u.a. deshalb fliehen musste, weil der Sachbearbeiter das Herkunftsland als homophob erkennt, so dass es – so der Sachbearbeiter – „absolut unvorstellbar [sei], dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er [sic! – gemeint ist sie, die Asyl-Antragstellerin, Anm. HV] angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten“ (nach: S. 262). Neben der abstrusen Wertung, geht aus der zitierten Passage die Transphobie des Sachbearbeiters hervor, ebenso die problematische Wirkung, die sich aus starrem Identitätsdenken ergibt.

zum Band

Offenlegung: Die Autor_in dieses Beitrags war selbst auf der Konferenz vertreten und hat auch zum Band beigetragen.

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In den 1990er Jahren war ich froh, als ‚antideutsch‘ aufkam. Einerseits hatte ich die Erwartung, dass damit dem neuen Erstarken von Deutschland und den sich weiter zuspitzenden rassistischen und antisemitischen Ausschlüssen entgegengewirkt werden könnte, andererseits fand ich es gut, dass dem Antisemitismus, wie er sich oft unwidersprochen auch in linken Zeitungen zeigte, entgegnet wurde. Das geschah unter dem Stichwort ‚antideutsch‘ punktuell – wichtiger waren und nachhaltiger zeigen sich die Positionierungen und Aktivitäten jüdischer und migrantischer Selbstorganisationen – und so hat ‚antideutsch‘ auch dazu beigetragen, dass zunächst Antisemitismus, Rassismus und völkisch-deutschem Denken in der Bundesrepublik und dort auch in linken mehrheitsdeutschen Zusammenhängen thematisiert wurden.

Heute hat sich das ins Gegenteil verkehrt. Ich verstehe (noch) nicht, warum, aber insbesondere aus den ‚antideutschen‘ Kontexten kamen und kommen insbesondere und seit dem letzten Jahr die widerlichsten Hetzreden gegen Jüdinnen und Juden, wie auch gegen Musliminnen und Muslime. Ganz alte antisemitische Bilder wie das des ‚genitalverstümmelnden Juden‘ wurden beschrieben und teilweise sehr bildlich ausgemalt. Es ist die gleiche Art von Bildern, wie sie in den 1920er Jahren von völkischen Mehrheitsdeutschen gezeichnet wurden, nur heute werden sie von Leuten erzeugt, die vorgeben, etwas gegen Antisemitismus tun zu wollen. Aber selbst die These der ‚Solidarität mit Israel‘ erscheint seit dem letzten Jahr mehr denn je als vorgeschoben: So machten sich ‚Antideutsche‘ – linke Mehrheitsdeutsche und als solche Enkel_innen der Täter_innen – ernsthaft auf, Israel und den in Israel lebenden Menschen erklären zu wollen, wie man in Israel zu leben habe und wie jüdische (und muslimische) Traditionen aussehen müssten, damit sie für Deutschland und insbesondere für mehrheitsdeutsche Jugendliche in linken Jugendhäusern tolerierbar seien. Geht’s noch? Wie war das mit der Forderung ‚Gegen deutsches Großmachtstreben‘? Wie war das mit dem Streiten gegen Antisemitismus und Rassismus? Wie war das mit deutscher Schuld – und mit der Forderung, als Deutsche einfach mal die Klappe zu halten?

Ich habe in den letzten Monaten den Eindruck gewonnen, dass der aktuelle, der primäre Antisemitismus in ‚antideutschen‘ Zusammenhängen sogar krasser zu finden war; auf jeden Fall zeigte er sich aber in gleichem Maße wie in anderen linken mehrheitsdeutschen und weiteren weißen Kontexten. Und es ist mir ein Rätsel: Warum produzieren und reproduzieren Leute, die sich doch gegen Antisemitismus wenden wollten, in krassem Maße selbst völkisch antisemitische Stereotype? Liegt es an den begrenzten mehrheitsdeutschen linken Kontexten, in denen in der Regel weiße Typen unter sich sind? Kommt die Sozialisation im westdeutschen kleinstädtischen Einfamilienhaus durch, die in der Regel keinen Kontakt zu Jüd_innen und Muslim_innen sowie allgemein zu vielfältigen, offenen Lebenswelten ermöglicht? Ist es alternativ die Sozialisation in ostdeutscher ‚Nach-Wende-Zeit‘, in der sich Ostdeutsche gern als Wende-Verlierer stilisierten (wo doch sie die Wahl hatten) und ihre Kinder in diesem Umfeld aufgewachsen sind und ihr ‚Leid‘ vergleichen wollen? …oder sich selbst erheben und als besser darstellen wollen, was gut auf dem Rücken anderer geht, indem man diese als ‚unzivilisiert‘ erscheinen lässt und man ihnen dann erklärt, wie ‚Gutsein‘ geht, wie man emanzipatorisch ist?

Mehrheitsdeutsche müssen genau ihren eigenen Antisemitismus und Rassismus thematisieren, reflektieren und bekämpfen. Er ist institutionell in diesem Land tief verankert – allein schon das Staatsbürgerschaftsrecht geht auf das völkische Reichsstaatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 1913 zurück und beispielsweise die Körpervorstellungen sind tief christlich (und tief antijudaistisch und antisemitisch) geprägt. Antisemitismus und Rassismus sind damit tief im mehrheitsdeutschen Verständnis verwurzelt. Sie sind so in ‚uns‘, dass ich hier bewusst ‚mehrheitsdeutsch‘  setze und mich einschließe. Auch ich arbeite daran, meine ‚Selbstverständlichkeiten‘ immer weiter zu hinterfragen und dabei rassistische und antisemitische Vorannahmen zu erkennen und daran zu arbeiten, diese zu überwinden. Arbeit gegen Antisemitismus heißt so gerade auch Arbeit an sich selbst und Kritik und politischer Kampf gegen den in Deutschland verbreiteten Antisemitismus und antisemitischen Hass. Und sie bedeutet Offenheit für Sichtweisen fernab der eigenen christlich-säkularen und damit gleichzeitig antisemitisch gewordenen.

Gegen den deutschen rassistischen und antisemitischen Normalzustand!

Und damit auch gegen das, was heute als ‚antideutsch‘ firmiert, aber besser als allzudeutsch zu fassen ist!

balibar_wallersteinÉtienne Balibar, Immanuel Wallerstein
Ambivalente Identitäten: Rasse, Klasse, Nation

Das bereits vor mehr als 20 Jahren erschienene Buch ist in Zeiten der Krise des Kapitalismus nach wie vor hochaktuell.

Die aktuellen und nicht mehr abebbenden Krisenerscheinungen des Kapitalismus machen dringlich deutlich, wie notwendig es ist, eine gerechte Gesellschaftsordnung zu entwickeln. Marxistische Theorien liefern hierfür eine Basis, die es weiterzuentwickeln gilt, wobei gerade aus den praktischen Fehlern und theoretischen Leerstellen des Ende der 1980er Jahre zusammengebrochenen Staatssozialismus zu lernen ist. Durch die „neue Marxlektüre“ im Anschluss an Michael Heinrichs „Kritik der politischen Ökonomie“ (theorie.org) wurde dieser Lernprozess erheblich befeuert und es zeigt sich in Gesprächen, auf Blogs und in Zeitschriften, wieviele Menschen über Herrschaftsverhältnisse nachdenken und dabei auch verstehen wollen, wie Rassismus, Sexismus und Klassenunterdrückung miteinander verschränkt sind und was die Privilegierten von den Unterdrückten und Ausgebeuteten scheidet.

Einige Publikationen – auch aus den 1980er Jahren – können dem Nachdenken neue Impulse geben. Neben den Arbeiten von Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein – von denen eine gemeinsame Schrift im Folgenden vorgestellt wird – sind es gerade die Bücher von Angela Davis, Gayatri Chakravorty Spivak, Kimberlé Crenshaw und Samir Amin, die weitergehende Einsichten versprechen. Sie alle fokussieren Rassismus und Sexismus und ihre Bedeutung für Klassenunterdrückung. Und sie denken global: Nur wenn wir gleichermaßen das kapitalistische Zentrum und die Überausbeutung der Peripherie im Blick haben, wird es uns möglich, Kapitalismus adäquat zu analysieren.

Balibar und Wallerstein untersuchen in „Rasse Klasse Nation: Ambivalente Identitäten“ die Entstehung von Rassismus in den europäischen Staaten und seine Bedeutung. Gab es zuvor regional unterschiedlich immer wieder „Fremdenfeindlichkeit“, so bedeutete Rassismus etwas grundsätzlich Neues und es wurde mit ihm und seinem Aufkommen ab der Reconquista im Jahr 1492 (Balibar, S. 32, 67) die Feindlichkeit gegenüber Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich funktional. Die im Band zusammengestellten Aufsätze, jeweils von einem der beiden Autoren verfasst, geben wichtige Anregungen, um gegen Rassismus streiten zu können, und sie zeigen Diskussionen, die Balibar und Wallerstein – kollegial – untereinander führten, mit dem Ziel, die Verhältnisse verstehen und möglicherweise praktische Antworten entwickeln zu können. weiter bei kritisch-lesen.

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Hier findet sich eine kurze Übersicht über Rezensionen zu "Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte"":

Das Fachportal MiGAZIN, ausgezeichnet mit dem Grimme Online Award 2012, empfiehlt "Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte" als "Buchtipp zum Wochenende". Es stellt dabei einen Exklusivauszug vor, "Die Beschneidungsdebatte bedeutet eine neue Eskalationsebene des Diskurses der »Integration«, der in der Bundesrepublik nach den Pogromen der frühen 1990er Jahre dominant zu werden begann und mit den geistigen und faktischen Brandstifter_innen von damals und heute die Prämisse teilt, dass die Realität von Migration in Deutschland nichts zu suchen habe." weiter

Sonja Vogel hat in taz.die tageszeitung den Band "Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte"" sehr positiv besprochen. Unter dem Titel "In den Hosen der anderen" zeichnet die taz-Kolumnistin die deutsche Beschneidungsdebatte und die dort geäußerten Vorannahmen Mehrheitsdeutscher nach. Zur Besprechung.

Lisa Krall besprach das Buch in der Zeitschrift "analyse & kritik" (Februar 2013). Krall schreibt unter anderem: "Die drei AutorInnen liefern eine kritische Analyse und Hintergrundinformationen zu der Debatte, die von antimuslimischen und antisemitischen Tendenzen sowie Unwissen über Vorhautbeschneidungen geprägt war. [...] Bleibt zu hoffen, dass sich eine kritische Auseinandersetzung gemäß dem Wunsch der AutorInnen über die Fachkreise hinaus etabliert - ein Blick in den kleinen Band lohnt sich dafür allemal." Zur vollständigen Rezension.

Koray Yılmaz-Günay hat Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte" auf der Online-Rezensionsplattform "Kritisch lesen" besprochen. In der Besprechung heißt es unter anderem: "Dem Wesen einer „Intervention“ entsprechend kommt das Buch erst nach einem ganz wesentlichen Teil der Debatte. Es ist aber sicher kein Buch, das „zu spät“ kommt. Denn in der Tat ist die „Beschneidungsdebatte“ weder ohne ihre Vorgeschichte und ihre Kontexte zu verstehen – noch wird sie der Schlusspunkt einer Auseinandersetzung um die Anerkennung der multiethnischen und multireligiösen Zusammensetzung der bundesrepublikanischen Gesellschaft sein. Es gibt keinen Anlass, die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Ende dieser Debatte zu halten. Die immer neue Auseinandersetzung um Geschlecht und Sexualität bei „Muslim_innen“ (Kopftuch, Hypermaskulinität, Homophobie, Zwangsverheiratungen, „Ehrenmorde“ et cetera) wie auch das immer weitere Aufweichen des anti-antisemitischen Grund-Konsenses der BRD stehen in einem Zusammenhang mit Debatten um die Neudefinition der deutschen Nation, die seit dem Ende der West-Ost-Konfrontation stattfinden. Ohne die „Sarrazin-Debatte“, die einer breiten Schicht gezeigt hat, wie viele Dämme schon gebrochen sind und was alles (wieder) denk- und sagbar ist, wäre das Gespräch um den kleinen Unterschied nie entstanden oder aber anders geführt worden. Die Erkundungstruppen dessen, wer unter welchen Umständen und in welchem Umfang zum neuen deutschen „Wir“ gehören darf – so viel lässt sich über den Zwischenstand sicher sagen –, kommen immer ungehaltener daher. Demgegenüber sind die hegemoniekritischen Beiträge in diesem Band nicht geschichtsvergessen. Sie sind nicht blind gegenüber aktuellen Ausprägungen von Rassismus und Antisemitismus. Sie sind patriarchatskritisch und in vielerlei Hinsicht (aus-)wegweisend in einem Umfeld, das zunehmend die Rede über etwas mit dem Etwas selbst verwechselt." zur vollen Rezension

Eine weitere Besprechung verfasste Ralf Buchterkirchen für Freitag.de und Verqueert.de. Darin würdigt er das Buch und schreibt unter anderem: „Das Buch wirft einen spannenden Blick auf eine emotional aufgeheizte und nicht selten rasstisch verlaufende Debatte [...] Egal wie man in der Debatte steht, bietet der Band wichtige – und zudem wissenschaftlich fundierte! – Anregungen zum Weiterdenken. Er bietet zugleich die unabdingbare Grundlage, auf der man überhaupt nachdenken kann, wie emanzipatorische Religionskritik aussehen kann.“ Zur vollen Rezension bei Verqueert.de / bei Freitag.de.

G. Reinsdorf besprach "Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte"" bei "Denkladen" und schreibt u.a.: "Heinz-Jürgen Voß setzt sich mit dem medizinischen Teil der Debatte auseinander, lässt den Forschungsstand Revue passieren, erörtert die Folgen einer Beschneidung für die Sensitivität des Penis und das Infektionsrisiko. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Risiken ernster Komplikationen bei steriler und fachlich geeigneter Ausführung sehr gering sind. Die Stellungnahmen einiger ärztlicher Fachverbände kritisiert er in diesem Zusammenhang."

In seiner Rezension für den "Humanistischen Pressedienst" (hpd) mit dem Titel „Religionskritik als Sprachrohr des Rassismus“ schreibt Gunnar Schedel unter anderem: "Voß’ Argumentation [bereichert] mit seinem kritischen Blick auf die Auseinandersetzung um „medizinische Definitionsmacht“ die Debatte. [...] Çetin & Wolter gehen davon aus, dass die ganze Kontroverse von 'einem ehrgeizigen Juristen, der sich einen Namen machen wollte', lanciert wurde. Indem die Beschneidung in Frage gestellt werde, habe dies für Juden und Muslime zur Folge, 'entweder illegal zu handeln oder das Land zu verlassen'. Die ganze Diskussion sehen sie als 'neue Eskalationsstufe des Diskurses der ‘Integration’', der darauf hinauslaufe, 'dass die Realität von Migration in Deutschland nichts zu suchen habe'." (http://hpd.de/node/14968)

"Gebirgsziege" urteilt bei Amazon: "Wer die Kommentarspalten der letzten Wochen gelesen hat, war schlichtweg schockiert. Dort breitete sich ein vulgärer antimuslimischer und antisemitischer Hass aus. Daher ist dieses Buch wichtig. Es setzt diesem Hass etwas entgegen: Wissen! Den drei Autoren gelingt es sowohl den Debattenverlauf der "Beschneidungsdebatte" in Deutschland minutiös nachzuzeichnen und sich fundiert mit Argumenten in der Debatte - aus Basis "Kritischer Theorie" - auseinanderzusetzen. Im Anschluss daran wird auch den Vorannahmen in Bezug auf Empfindungsfähigkeit unbeschnittener und beschnittener Penisse der aktuelle medizinische Kenntnisstand entgegengestellt. Auch wenn damit letztlich wieder Medizin zentral bleibt, scheint auch die medizinische Argumentation in dieser Debatte nötig. Hochachtung für diesen klugen Band!" (online)

Felix Riedel diskutierte den Band auf seinem Blog. Er formuliert die Assimilation der Juden als Ausweg aus der Problematik, dass in jüdischer Tradition die Vorhautbeschneidung als wichtig genommen wird. Die Forderung danach, dass auch jüdische Tradition in Deutschland möglich sein muss, bezeichnet er als "emanzipationsfeindlichen Zynismus" - die Traditionen selbst als "Folklore", der "in Deutschland ein Plätzchen freigeräumt worden" sei. Konkret schreibt er zur Assimilation: "Historisch hat die Säkularisierung Europas den Juden die Möglichkeit zur Assimilation eröffnet, und dadurch Juden wiederum in Konflikt zum Judaismus treten lassen: Entstehungspunkt unter anderem des säkularen Zionismus und des Reformjudentums. Den gängigen Forschungsbefunden zufolge war es dieser Assimilationsprozess, den die modernen Antisemiten abwehrten und der für diese die nachträgliche rassistische Bestimmung des Jüdischen als Körpereigenschaft erforderlich machte – wozu die Beschneidung den Antisemiten ein eher willkommenes Hilfmittel war." Er fordert eine abstrakte Solidarität mit Israel ein - sowohl das Leben jüdischer Tradition in Deutschland als auch Antisemitismus in Deutschland erscheinen vor diesem Hintergrund zweitrangig; die Positionierungen des Zentralrats der Juden und Israels zur rassistischen deutschen Beschneidungsdebatte müssen vor einer solchen Einordnung nicht zur Kenntnis genommen werden.(http://nichtidentisches.wordpress.com, 25.12.2012)

"Buch des Monats": Christine Buchholz rezensierte die "Interventionen" in marx21 (Februar / März 2013). Sie schreibt u.a.: "Das kleine, handliche und verständlich geschriebene Buch liefert nicht nur wichtige sachliche Argumente. Es ist vor allem deshalb so wertvoll, weil es gezielt in die Debatte innerhalb der gesellschaftlichen Linken eingreift. Denn es gehört zu den Paradoxien der Beschneidungsdebatte, dass Politiker von CDU und FDP Ansichten im Sinne einer toleranten, multikulturellen Gesellschaft vertreten haben, während die Positionen, die praktisch die Religionsfreiheit infrage gestellt haben, aus den Reihen von SPD, Grünen und LINKEN kamen." Die vollständige Besprechung findet sich in der aktuellen "marx21", die es an vielen Kiosken gibt (u.a. überall im Bahnhofsbuchhandel).

In der Online-Zeitschrift verrönscht und zugenetzt wurde das Buch wie folgt besprochen: "Das - schnell gelesene - Heft »will dazu anregen, hegemoniale Elemente in den eigenen Positionen festzustellen und sich selbst zu fragen: Wer kann an welcher Stelle und mit welchem Gewicht sprechen, wer nicht - und warum?« Wichtig ist diese Frage, um zu einer differenzierten Position in der »Beschneidungsdebatte« zu gelangen. Oft genug geht es wird das Problem nämlich auch in sich als emanzipatorisch verstehenden Kreisen auf ein Problem der »körperlichen Selbstbestimmung« gegen »Religion« verkürzt. Der Beitrag von Zülfukar Çetin und Salih Alexander Wolter entwickelt unter anderem über Horkheimer/Adorno und Foucault eine Position für das Recht auf Beschneidung, die von dieser Einfachheit weit entfernt ist."

In Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten besprach Petra M. Springer das Buch „Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“" und schreibt unter anderem: „Die Autoren weisen darauf hin, dass die Beschneidungsdebatte als Teil des Integrationsdiskurses zu sehen ist. Es werde nicht gleichberechtigt diskutiert und man könne nicht körperliche Selbstbestimmung und Religion einfach gegenüberstellen. Die Diskussion finde in einem gesellschaftlichen Rahmen statt, der von normativen Setzungen und von Herrschaft geprägt ist. Vor allem die westliche, weiße, primär männliche, heteronormative und christlich/protestantische Gesellschaft würde sich aufgrund der Beschneidung von Muslimen und Juden bedroht fühlen. Unter dem Deckmantel der Menschen- und Kinderrechte verberge sich letztendlich anti muslimischer Rassismus und latenter Antisemitismus.“ Petra M. Springer, in: Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten, Nr. 86, S.33.

Hagen Blix schreibt in der Zeitschrift der Österreichischen HochschülerInnenschaft unique (4/2013): "Im ersten Teil des Buches zeigen Zülfukar Çetin und Salih Alexander Wolter auf, dass das Verschmelzen von antimuslimischem Ressentiment und Antisemitismus in der Debatte kein Zufall ist. Die Grundstruktur der vorgebrachten Kritik ist von Argumentationsmustern einer protestantischen 'Zivilisierungsmission' durchdrungen. [...] Im zweiten Teil stellt der kritische Biologe Heinz-Jürgen Voß der 'Wissenschaftlichkeit' der Beschneidungsgegner_innen eine Übersicht über medizinische Untersuchungen zur Beschneidung entgegen. Diese zeigen, dass deren Behauptungen so unhaltbar sind wie Vergleiche mit der Zwangsoperation Intersexueller oder weiblicher Genitalverstümmelung unangebracht und misogyn."

In einer Besprechung des Buches in der Zeitschrift Rosen auf den Weg gestreut heißt es: "Mit Adorno, Horkheimer und Foucault arbeiten die Autoren die christliche Prägung des Konzepts der Religionsfreiheit, wie sie gegen die Beschneidung in Anschlag gebracht wird, heraus und kritisieren den normativen Anspruch der Wissenschaft in der kapitalistischen Gesellschaft. Im Alltag schlägt sich dieser in einem nicht nur fach-idiotischen Expertentum nieder [...]. Der Band bietet wertvolle Argumente für Interventionen gegen den Antisemitismus und Rassismus, die in der Beschneidungsdebatte virulent geworden sind. Interventionen, die sich – auch wenn diese Debatte vorläufig vorbei ist – lohnen." (PDF-Volltext des insgesamt sehr empfehlenswerten Heftes)

ZAG – Antirassistische Zeitschrift bietet in Nummer 63 eine doppelseitige Schwerpunkt-Rezension des Buches von Andreas Nowak. Sie widmet sich zum Schluss den "Beschneidungsgegner_innen" und fragt: "Was erhoffen sie sich durch die Abwertung anderer für sich selbst und welche Angebote machen sie an die Dominierenden und die Dominierten. Letztlich bleibt die Frage – und das ist die Gefahr – wie ihre Argumente in den dominanten Diskurs eingespeist werden und sich mit diesem amalgamieren, so dass diese Debatte womöglich nicht nur ein Sommertheater war, sondern eine tiefer greifende Veränderung der Diskurse und der Machtverteilung zuungunsten emanzipativer Kräfte bedeutet." Das Heft kann hier bestellt werden.

Antke Engel hat in der Zeitschrift "femina politica" einen sehr lesenswerten Beitrag zur deutschen Debatte um die Vorhautbeschneidung verfasst. Im Beitrag geht Engel auch deutlich auf das Buch "Interventionen gegen die deutsche 'Beschneidungsdebatte'" ein - dazu ein kurzer Ausschnitt: "Hinsichtlich der Frage, wie die rassistischen Prämissen und Implikationen der bisherigen Beschneidungsdebatte mit Vorstellungen normativer Heterosexualität und rigider Zweigeschlechtlichkeit verknüpft sind, haben Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter mit ihrem Band ‹Interventionen gegen die deutsche Beschneidungsdebatte› (2012) bereits verschiedene interessante Vorschläge präsentiert. [...] Neben einer Analyse der in der Debatte wirksamen rassistischen Subjekt- und Gesellschaftsideale und der Macht- und Herrschaftsinteressen beteiligter Subjekte liefert der Band auch pointierte geschlechterpolitische Verweise" Die Zeitschrift kann hier bestellt werden.

Auf Die Freiheitsliebe - Freihheit und Frieden heißt es unter anderem zum Buch: "Das Buch ist eine wichtige Intervention in eine Debatte, die auch in fortschrittlichen Kreisen zu viel Verwirrung führte und bewusst oder auch unbewusst auch bei einigen fortschrittlichen ZeitgenössInnen rassistisches Gedankengut offenbarte. Die Intervention ist auch mehr als ein Jahr nach Beginn der Debatte noch sehr lesenswert, da sie viel darüber verrät wie Diskussionen in der Gesellschaft geführt werden und wie Medizin als Argument missbraucht wird."

Das Buch "Interventionen gegen die deutsche "Beschneidungsdebatte"" wurde im Dezember 2012 im Berliner Allmende e.V. - Haus alternativer Migrationspolitik und Kultur vorgestellt. Es ergaben sich dort gute Diskussionen. Der Beitrag "Eine Tradition im Fokus" auf der Plattform Mulimische Stimmen - Unabhängiges Projekt für Pluralismus und Austausch gibt nun einen guten Bericht von der Diskussionsveranstaltung, der hier nachzulesen ist.

In ihrer ausführlichen Besprechung in der Freiburger Zeitschrift für Geschlechterstudien, Ausgabe vom Herbst 2013, schreibt Lisa Krall u. a.: "Çetin und Wolter kritisieren im Sinne der Dialektik der Aufklärung, dass Integration in der deutschen Beschneidungsdebatte als Möglichkeit dazu verstanden wird, sich den christlichen Traditionen anzupassen und die eigenen 'Defizite' ablegen zu können. […] Voß kann […] zeigen, dass die Darstellungen der Zirkumzision als schwerwiegend, folgenreich oder traumatisierend nicht gerechtfertigt sind, und vermutet, dass das gesundheitliche Wohlempfinden der Beschnittenen viel mehr von den kulturellen Erwartungen und der Akzeptanz der Gesellschaft abhänge, als von den Eingriffen. […] Die Autor_innen legen insgesamt eine umfassende und tiefgehende Analyse der geführten Diskussion vor […] und ermöglichen so einen kritischen Überblick über alarmierende Positionen und Argumentationen. Bleibt zu hoffen, dass die Publikation des Buches weiterhin auf großes Interesse stößt und sich im Sinne der Autor_innen eine kritische und reflektierte Diskussion über die Fachkreise hinaus etabliert." Das Heft kann hier bestellt werden

Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß, Salih Alexander Wolter:
Interventionen gegen die deutsche «Beschneidungsdebatte»

Edition Assemblage
96 Seiten, 9,80 Euro
ISBN 978-3-942885-42-3
Verlagsinformationen

Erhältlich überall im Buchhandel und beim Verlag.

Kurztext:
Kaum eine Debatte der letzten Jahre wurde in der Intensität geführt, wie die zur Vorhautbeschneidung (Zirkumzision). Interessant ist schon der Debattenverlauf, der nicht mit der Urteilsverkündung des Kölner Landgerichts Anfang Mai 2012 einsetzte, sondern erst sechs Woche später. Dafür gibt es Gründe. Auffallend war die weitgehende Zurückhaltung von Parlamentarier_innen und der medizinischen Fachgesellschaften - im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Akteur_innen, die eine vehemente Position gegen die Zirkumzision einnahmen. Dieser Band interveniert hier fundiert: Zülfukar Çetin und Salih Alexander Wolter beleuchten den Diskursverlauf und erarbeiten im Anschluss an die »Dialektik der Aufklärung« und Michel Foucaults Gouvernementalitätsstudien, wie selbst die geäußerten »atheistischen« Positionen von einem protestantisch-christlichen Religionsverständnis, von Herrschaft sowie rassistischen - antisemitischen und antimuslimischen - Einstellungen durchwoben sind. Heinz-Jürgen Voß untersucht die medizinischen Studien zur Auswirkung der Vorhautbeschneidung und stellt die Ergebnisse klar vor.

Eine Liste der bisher erschienenen Rezensionen findet sich hier.

Der Band „Gemachte Differenz“ muss unbedingter Bestandteil jedes sozial- und kulturwissenschaftlichen sowie biologischen und medizinischen Studiums werden. Historisch, sozialwissenschaftlich und biologisch gleichermaßen fundiert, werden in dem Buch Kontinuität und Neuetablierung rassistischer Konzepte in Biologie und Medizin in den Blick gerückt. Auch BiologInnen und MedizinerInnen werden sich den Kritiken auf Grund der auch biologisch und medizinisch fachlich sehr guten Qualität der Beiträge in Zukunft nicht entziehen können.

Weiter gehts mit der Rezension bei literaturkritik.de: hier

AG gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften (Hg.)
Gemachte Differenz: Kontinuitäten biologischer »Rasse«-Konzepte
ISBN: 978-3-89771-475-5
Preis: 19.80 Euro
Erschienen bei: Unrast-Verlag